Annalena Baerbock stellt ihr Buch vor: Und dann noch ein Autogramm für den Sohn der Moderatorin
Mit dem Kanzleramt als Kulisse präsentiert Annalena Baerbock ihr Buch. Wie die grüne Kandidatin einen Moment lang ein bisschen Pop-Star wird.
Es streicht, glücklicherweise, ein leichter Wind über die Dachterrasse des Hauses der Kulturen der Welt, sonst wäre es in der Mittagshitze dieses Sommerdonnerstags hier kaum auszuhalten. Der Wind zupft auch ein wenig an der Frisur der grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, sie streicht schnell noch ein paar Strähnen wieder glatt, dann setzt sie ein professionell-freundliches Lächeln auf, hält ihr Buch auf Brusthöhe und schaut ruhig in die Fernseh- und Fotokameras, die sie umringen. Rechts hinter ihr lächelt eine zweite Baerbock von einem Aufsteller, der das Cover ihres Buches „Jetzt“ zeigt, das Buch, das sie hier vor Journalisten präsentiert. Im Hintergrund links ragt das Kanzleramt auf.
Baerbock inszeniert sich mit dem Kanzleramt im Rücken
Von einem Journalisten nach dieser Inszenierung gefragt und wie sich das so anfühle, in Sichtweite jenes Gebäudes, von dem aus sie gern Deutschland regieren würde, sagt sie: „Nun ja, also ich sehe von meiner Position aus die Europafahne, den Zipfel davon“. Profilächeln, Profiantwort.
Die Kameras klicken. „Noch einmal zu mir“, ruft ein Fotograf und Baerbock dreht sich um. Dann drücken ihr Menschen Bücher in die Hand. „Stephan“, ruft eine Kamerafrau einem Kollegen zu, „komm mit dem Buch, sie unterschreibt jetzt!“ Schon die Moderatorin, die frühere RTL-Journalistin Janine Steeger, hat gesagt, ihr Sohn wolle gern ein Autogramm, nur für den Fall, dass Baerbock wirklich Kanzlerin wird. Baerbock signiert geduldig eines nach dem anderen.
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Das Buch, ihr Buch, das Baerbock hier vorstellt, heißt Jetzt enthält vor allem ihr politisches Programm, ein bisschen ausführlicher natürlich. An einigen Stellen erzählt Baerbock auch von sich selbst – wobei die Anekdoten so gewählt sind, dass sie ihr politisches Tun begründen, unterstreichen oder Eigenschaften herausstellen, die Baerbock so zeigen, wie sie gern gesehen werden möchte.
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Auch bei der Buchvorstellung streicht die Kanzlerkandidatin noch einmal heraus: Sie wolle geerdet bleiben. „Ich bin ein praktischer Typ“, sagt sie. „Ich kann auch einen Nagel einschlagen.“ Und dass ihr sehr bewusst sei, wie schnell man in diesem Leben, in dem man morgens um 7.30 Uhr vom Fahrdienst abgeholt und am Abend um 23 Uhr wieder nach Hause gebracht wird, den Kontakt „zum echten Leben“ verliere, dass es ihr aber sehr wichtig sei, zumindest über ihre Töchter noch ein bisschen Alltag zu haben. Allerdings ist diese Veranstaltung, eine der ersten, bei denen sie dank niedriger Inzidenzen live auftritt, eigentlich der beste Beleg, wie schwierig das wird. Baerbock hat keine Star-Allüren, aber ein leichter Vorgeschmack auf einen gewissen Star-Faktor ist schon zu spüren.
Baerbock schleift sich immer mehr Unebenheiten ab
„Ein ganz schmaler Grad“, sei das, sagt Baerbock, zwischen der notwendigen Professionalität, „jetzt noch mehr, mit der Kandidatur“ und dem Versuch, offen und authentisch zu bleiben. Auch Baerbock schleift sich immer mehr Unebenheiten ab, die gelegentlich etwas schnoddrige Sprache zum Beispiel. Sie sagt an diesem Donnerstag nicht mehr, sie haben sich „tierisch“ über die Fehler in ihrem Lebenslauf geärgert, sondern „sehr“. „Ebent“ sagt sie in dem einstündigen Gespräch auch nicht.
Ganz vorsichtig spricht sie auch über die notwendige harte Schale, die man sich zulegen muss, um im Wahlkampf nicht emotional unter die Räder zu geraten. Auf die Frage, ob es „mehr Weiblichkeit“ in der Politik bedürfe, sagt sie zunächst, sie halte die Unterscheidung zwischen „weiblicher“ und „männlicher“ Politik für falsch, da gebe es keinen Unterschied und es sei ihr wichtig, „nicht über Gruppenidentitäten zu sprechen“. „Aber man wird hart angegriffen, das ist etwas, das Männer nicht so erfahren. Man erfährt, was das mit Menschen machen.“
"Man wird hart angegriffen. Man erfährt, was das mit Menschen macht."
Wie das Buch auch, ist das Gespräch mit der Moderatorin und den Journalisten insgesamt eine Tour d’Horizon. Baerbock sagte, was sie an Merkels Stelle in der Belarus-Politik anders gemacht hätte (wegen der russischen Unterstützung für den belarussischen Autokraten Lukaschenko Nordstream 2 die politische Unterstützung entzogen, früher mehr Regimeangehörige auf die Sanktionsliste gesetzt) und wie es nach den Sommerferien in den Schulen weitergehen sollte.
Sie sagt, sie halte gerade in der Außenpolitik den Moment für einen sehr wichtigen, es gebe nur ein kurzes Zeitfenster zwischen der deutschen Wahl im Herbst, der Wahl in Frankreich im April 2022 (die womöglich die Rechtspopulistin Marine Le Pen an die Macht bringen könnte) und der Senats- und Abgeordnetenhauswahl in den USA im Herbst 2022, in der echte transatlantisch-europäische Fortschritte sicher möglich seien. Gefragt nach dem Greenpeace-Aktivisten, der das EM-Spiel am Dienstag störte, sagt sich, dass sei "unverantwortlich" gewesen, bringt aber auch noch eine Spitze gegen Friedrich Merz unter, der gefordert hatte, Greenpeace deshalb die Gemeinnützigkeit zu entziehen ("Dafür gibt es klare Regeln, die sollte jeder Politiker kennen.") Detailfragen zu ihrer Familie und den Töchtern weist sie zurück.
"Das ist ein ganz toller Rock, den Sie da anhaben."
Dann ist die Stunde auch schon rum. Zwei Sicherheitsleute mit Knopf im Ohr, einer vorn, einer hinter ihr, geleiten Baerbock zu einer Treppe, die ins Innere des Gebäudes führt. „Das ist ein ganz toller Rock, den Sie da anhaben!“, lobt eine Frau noch im Vorbeigehen. Dann ist die Kandidatin wieder weg.