zum Hauptinhalt
Gartencenter? Nein, Grünen-Parteitag in Berlin.
© Kay Nietfeld/dpa

Disziplin im Gartenparadies: Wie die Grünen ihr Wahlprogramm über die Bühne brachten

Auf ihrem Parteitag wollten sich die Grünen geschlossen und regierungsfähig zeigen. Radikal-Forderungen fanden bei den Delegierten keine Mehrheit.

Berlin - Es war nur ein kleines Wörtchen, doch es stach jäh heraus bei diesem straff durchorganisierten Parteitag der Grünen. „Scheiße“, hatte Annalena Baerbock geflucht, als sie am Samstag nach ihrer Rede von Robert Habeck an der Bühne abgeholt wurde. Für die Ohren der Öffentlichkeit war das nicht bestimmt, das Mikrofon war nur versehentlich noch offen. Doch es zeigte, wie perfektionistisch die Kanzlerkandidatin tickt. „Scheiße“ fand sie nämlich offenbar, dass sie gegen Ende ihrer ohnehin meist vom Blatt abgelesenen Rede bei einem Satzanfang neu ansetzen musste.

Kaum etwas haben die Grünen bei diesem Parteitag dem Zufall überlassen, denn es stand viel auf dem Spiel: Neben der Kür Annalena Baerbocks zur offiziellen Kanzlerkandidatin sollte das Wahlprogramm verabschiedet werden. Wenn es nach den Grünen geht, ist das das Programm einer künftigen Regierungspartei. Zu radikale Änderungen am Wahlprogramm, die am Ende die Regierungsfähigkeit der Grünen in Frage stellen könnten, wollte die Parteispitze unbedingt vermeiden. Stattdessen wollten die Grünen in Geschlossenheit in den Wahlkampf starten und ihrer zuletzt in Turbulenzen geratenen Kanzlerkandidatin neuen Rückenwind verschaffen.

Die knapp 3300 Änderungsanträge der Basis hatten vor dem Parteitag Schlagzeilen gemacht. Doch das Team um Bundesgeschäftsführer Michael Kellner hatte es mit großem Energieaufwand geschafft, dass davon nur noch sehr wenige auf dem Parteitag verhandelt werden mussten. Bei einigen wurden Kompromisse gefunden, bei anderen zogen die Antragsteller freiwillig zurück. So blieb am Ende auch die Kampfabstimmung über den Antrag aus, das Wort „Deutschland“ aus dem Titel des Wahlprogramms zu streichen. Einige Gegner der Formulierung hatten argumentiert, der Begriff Deutschland lasse eher an „eine nationalistische Politik“ denken. Für den Antrag hatte es im Vorfeld Spott und Kritik gehagelt. Die Antragsteller:innen verzichteten auf die Abstimmung, der Titel blieb.

Der Großteil der Änderungsanträge, die schließlich debattiert wurden, setzte sich nicht durch. Das dürfte auch daran gelegen haben, dass der Bundesvorstand jeweils prominente Gegenredner:innen ins Rennen schickte, um die eigene Position zu begründen.

Eine der kontroversesten Abstimmungen fand am Sonntag zu bewaffneten Drohnen statt. Eigentlich tauchte das Wort „Drohnen“ im Entwurf des Wahlprogramms gar nicht drauf. Auf dem Parteitag setzte sich sehr knapp ein Kompromissantrag durch, der forderte, zunächst zu klären, „für welche Einsatzszenarien der Bundeswehr die bewaffneten Drohnen überhaupt eingesetzt werden sollen“. Dass die Grünen die Beschaffung bewaffneter Drohnen also nicht mehr kategorisch ablehnen, werten politische Beobachter:innen als Zeichen dafür, wie stark die Grünen ihre Regierungsfähigkeit unter Beweis stellen wollen. Die Union etwa befürwortet bewaffnete Drohnen mit der Argumentation, dass diese Soldaten bei Auslandseinsätzen schützen könnten.

Am Ende verabschiedeten die Grünen ein Wahlprogramm mit einem starken öko-sozialen Fokus. Die Erhöhung des CO2-Preises auf 60 Euro wollen die Grünen auf 2023 vorziehen. Um die Einnahmen aus dem CO2-Preis direkt an die Bürger zurückzugeben, sollen die EEG-Umlage gesenkt und ein Energiegeld eingeführt werden, das jeder Bürger erhält. Mittelfristig wollen die Grünen Hartz IV überwinden und durch eine sogenannte Garantiesicherung ersetzen, die ohne „bürokratische Sanktionen“ gewährt werden solle. In einem ersten Schritt wollen die Grünen die Hartz-IV-Regelsätze um mindestens 50 Euro anheben. Die Partei macht sich außerdem für eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes von 48 Prozent stark – bei Einkommen über 250 000 Euro. Ein Antrag für einen deutlich höheren Spitzensteuersatz von 53 Prozent scheiterte allerdings, genauso wie ein Vorstoß, die sogenannte Schuldenbremse aus dem Grundgesetz zu streichen. Auch das hätte in möglichen Koalitionsverhandlungen zum Problem werden können.

Trotz des straff organisierten Programms bemühten sich die Grünen sichtbar um eine Wohlfühlatmosphäre und um Harmonie. Grüne Vorhänge, etliche Pflanzen auf der Bühne, eine riesige Sonnenblume und gut gelaunte Moderatoren bestimmten das Bild im Livestream. Mal ging es in den Abstimmungspausen um eine digitale Parteitagsparty, mal um Tipps für den Haustürwahlkampf.

Gewicht verliehen dem Parteitag die zahlreichen Gastredner. Das Highlight für viele der Anwesenden war am Sonntag der Auftritt der belarussischen Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja, die mit Standing Ovations gefeiert wurde.

Das Signal, das von diesem Parteitag aber vor allem ausgehen sollte: Die Grünen stehen geschlossen hinter ihrer Annalena Baerbock. Auch Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann sprach ihr am Sonntag Mut zu: „Ich bin mir sicher: Du wirst das schaffen.“ Die Kanzlerkandidatin wirkte da schon wieder etwas entspannter.

Zur Startseite