Wahlkampf in den USA: Umfrage: Trump zieht nach neuen Mail-Vorwürfen an Clinton vorbei
Die FBI-Veröffentlichung zu E-Mails aus Clintons Umfeld und ein abnehmender Enthusiasmus sind laut "Washington Post" Grund für das Ergebnis.
Wenige Tage vor der US-Präsidentschaftswahl ist Donald Trump in einer neuen Umfrage an Hillary Clinton vorbeigezogen. Die am Dienstag veröffentlichte Befragung des Fernsehsenders ABC und der „Washington Post“ sieht Trump bei 46 und Clinton bei 45 Prozent. Im Schnitt der jüngsten Umfragen behauptet Clinton einen geschrumpften Vorsprung von rund 2,5 Prozentpunkten vor Trump.
Die Einzeldaten der neuen Erhebung zeigen, dass Clinton seit etwa einer Woche stark an Rückhalt verliert: Sie ist von 50 auf 45 Prozent Unterstützung gesunken. Gleichzeitig legte Trump von 38 auf 46 Prozent zu. Die Entwicklung ist demnach nicht allein auf die Bekanntgabe neuer Ermittlungen der Bundespolizei FBI wegen Clintons Mail-Affäre am vergangenen Freitag zurückzuführen.
Die neuen Vorwürfe spielen jedoch zweifellos eine Rolle. So ist die Begeisterung der Clinton-Anhänger seit Freitag stark gefallen. Dagegen hat sich Trump laut der Umfrage in jüngster Zeit eine gesteigerte Zustimmung bei klassischen republikanischen Wählergruppen wie weißen Protestanten und Wählern aus dem ländlichen Raum gesichert.
Offen blieb am Dienstag, ob sich hier kurz vor dem Wahltag am 8. November eine grundsätzliche Wende andeutet; andere aktuelle Erhebungen weisen einen Vorsprung von Clinton von bis zu sechs Prozentpunkten aus. Trump ist in einigen für den Wahlausgang wichtigen Bundesstaaten wie Ohio im Aufwind. In anderen Schlüssel-Staaten wie North Carolina und Pennsylvania kann Clinton dem Umfrage-Durchschnitt der Internetseite RealClearPolitics zufolge ihren Vorsprung auf Trump halten.
In der ABC/“Post“-Umfrage führt Clinton klar bei der in vielen Bundesstaaten möglichen Stimmabgabe vor dem eigentlichen Wahltag. Schon jetzt haben rund 21 Prozent aller Wähler abgestimmt, wobei eine Mehrheit von 54 Prozent auf Clinton entfällt. Bei Bürgern, die erst am Wahltag zur Urne schreiten wollen, liegt Trump dagegen mit 50 zu 39 Prozent vorn.
Sorgen bereitet dem Clinton-Lager unter anderem die bisherige Zurückhaltung afro-amerikanischer Bürger bei den Früh-Wählern. Die starke Unterstützung von Afro-Amerikanern, Hispaniern und anderen Minderheiten hatten 2008 und 2012 entscheidend zu den Siegen von Barack Obama beigetragen.
Die Einzelergebnisse der Bundesstaaten sind deshalb wichtig, weil der amerikanische Präsident formell von Wahlmännern aus den einzelnen Staaten gewählt wird. Die Zahl der Wahlmänner-Stimmen eines Staates richtet sich nach der jeweiligen Bevölkerungszahl; in den meisten Fällen gehen alle Wahlmänner-Stimmen in einem Staat an den Sieger. Es ist also möglich, die Wahl auch ohne eine landesweite Mehrheit aller Wählerstimmen zu gewinnen.
Laut RealClearPolitics kann Clinton derzeit mit 263 Wahlmänner-Stimmen rechnen und ist damit nur noch wenige Stimmen von der für den Sieg entscheidenden Marke von 270 Stimmen entfernt. Trump liegt bei 164 Stimmen, hat aber noch eine Chance, weil 111 Stimmen noch nicht vergeben sind; Ohio allein würde ihm 18 Stimmen bringen.
Eine Woche vor der Wahl hört man bei Amerikanern vor allem einen Satz: Hoffentlich ist es bald vorbei. Der erbitterte Wahlkampf zwischen zwei unbeliebten Kandidaten stößt viele Normalbürger ab, und in der Endphase im Kampf um das Weiße Haus wird die Auseinandersetzung nur noch heftiger. Vorwürfe gegen Hillary Clinton wegen der Mail-Affäre und gegen Donald Trump wegen fragwürdiger Steuertricks bestimmen die Diskussion – ob einer der beiden Bewerber davon profitieren kann, ist unsicher.
Trump dagegen lobte FBI-Chef Comey für dessen Verhalten
Ein Wahlerfolg Clintons würde den Demokraten zum dritten Mal in Folge das Weiße Haus sichern. Ein solcher Serien-Erfolg war zuletzt den Republikanern unter Ronald Reagen und dem älteren George Bush von 1981 bis 1993 geglückt.
Es ist noch einmal spannend geworden vor dem 8. November, doch im täglichen Austausch gegenseitiger Vorwürfe zwischen Clinton und Trump sind Sachthemen wie die Wirtschafts- oder die Sicherheitspolitik fast völlig in den Hintergrund gerückt. Es geht fast nur noch um angebliche charakterliche Mängel. Sowohl für Clinton als auch für Trump sind das offene Flanken. In Umfragen zeigt sich regelmäßig, die beide Kandidaten bei mehr als 50 Prozent der Amerikaner unbeliebt sind, wobei Trump noch schlechter abschneidet als Clinton.
Die ehemalige Außenministerin schlägt sich seit dem vergangenen Freitag mit der Ankündigung neuer FBI-Ermittlungen wegen ihres Umgangs mit amtlichen Mails in ihrer Ministerzeit herum. Kritiker halten ihr vor, zehntausende Mails gelöscht zu haben, um potenziell illegale Machenschaften im Amt zu verschleiern.
James Comey, der Chef der Bundespolizei, hatte am Freitag von neu aufgetauchten Mails gesprochen, ohne jedoch konkrete Vorwürfe zu nennen. Deshalb wird Comey eine Parteinahme gegen Clinton vorgeworfen: Während er mit seiner Mitteilung über die Clinton-Mails den Wahlkampf aufmischte, hatte er sich vor wenigen Wochen gegen die Veröffentlichung einer anderen Mitteilung ausgesprochen, die Trump in ein schlechtes Licht rückte.
Die meisten Wähler hätten sich ihre Meinung über die Mail-Affäre längst gebildet, sagte Clinton bei einer Kundgebung in Ohio; sie hatte in den vergangenen Monaten die Nutzung eines privaten Mail-Servers als Außenministerin mehrmals als Fehler bezeichnet. Es gehe nun darum, den richtigen Oberkommandierenden über die US-Streitkräfte zu wählen, sagte Clinton in Anspielung auf Trumps Mangel an Fachwissen und auf sein Image eines Mannes, der impulsiv und aus dem Bauch heraus handelt.
Trump dagegen lobte FBI-Chef Comey für dessen Verhalten. Wenn Clinton ins Weiße Hause gewählt werde, drohe eine „Verfassungskrise“, weil gegen die Politikerin möglicherweise ein Strafverfahren wegen der Mail-Affäre eröffnet werde. Der Unternehmer unterstellt zudem den Medien, Clinton zu favorisieren. Diese Vorwürfe des Trump-Lagers erhielten neue Nahrung durch die Nachricht, dass eine Mitarbeiterin des Nachrichtensenders CNN das Clinton-Team heimlich mit vorbereiteten Fragen einer Wahlsendung in Fernsehen versorgt hatte.
Gleichzeitig muss sich Trump jedoch gegen neu aufgetauchte Steuervorwürfe wehren. Der schwerreiche Unternehmer, der sich im Wahlkampf damit brüstet, keine Einkommensteuer zu zahlen, nutzte nach einem Bericht der „New York Times“ rechtlich sehr fragwürdige Steuertricks, um dem Finanzamt zu entkommen. Trumps eigene Anwälte hätten dem Milliardär von diesen Winkelzügen abgeraten, meldete das Blatt.
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