Festnahme in Ankara: Türkische Polizei observierte Anwalt der deutschen Botschaft über Monate
Seit September sitzt ein Anwalt, der Informationen über Asylbewerber in Deutschland sammelte, in der Türkei in Haft. Jetzt werden Details zum Fall bekannt.
Monatelang hatte die türkische Polizei den Kooperationsanwalt der deutschen Botschaft in Ankara im Visier. Als Yilmaz S. im September mit dem Fernbus von Istanbul in die türkische Hauptstadt fuhr, um der Botschaft einen Stapel Dokumente zu übergeben, saß hinter ihm unerkannt ein Beamter in Zivil. Am Zielort schlug die Polizei zu. „Sie haben ihn damals am Busbahnhof von Ankara festgenommen“, sagte ein Freund von S., der Anwalt Baki D., am Freitag dem Tagesspiegel in Istanbul.
D. wurde ebenfalls festgenommen, ist inzwischen aber wieder auf freiem Fuß. Eine Anklage liegt nach seinen Worten noch nicht vor. Zu den Details darf sich D. nicht äußern, weil die Prozessakten als geheim eingestuft wurden. Aus anderen Quellen werden aber immer mehr Einzelheiten über einen Fall bekannt, der den deutsch-türkischen Beziehungen einen neuen schweren Schlag versetzt hat.
Aus Sicht der Bundesregierung ist der Haftbefehl gegen Yilmaz S. eine Provokation. Der Präsident des Bundesamts für Migration (BAMF), Hans-Eckhard Sommer, sprach von einem „außenpolitischen Skandal“. Auch Bundesaußenminister Heiko Maas sagte am Freitag, die Festnahme sei „in keinster Weise nachvollziehbar“. Maas wollte mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu am Rande eines G20-Außenministertreffens in Japan sprechen.
Deutschland sieht Anwälte wie S. als Helfer, die in Asylverfahren verlässliche Erkenntnisse über Antragsteller in Erfahrung bringen können. S. sollte unter anderem herausfinden, ob einem Asylbewerber aus der Türkei bei einer Rückkehr in die Heimat eine schwere Haftstrafe drohen würde.
Auch deshalb hatte Yilmaz S. bei seiner Festnahme viele Unterlagen bei sich, die private Angaben über Asylbewerber aus der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen enthielten. Die Gruppe wird von Ankara für den versuchten Staatsstreich von 2016 verantwortlich gemacht. Polizisten durchsuchten das Büro von S. in Istanbul und fanden „tausende“ weitere Dokumente, wie türkische Medien berichteten. Die Bundesregierung befürchtet, dass die türkischen Behörden und der Geheimdienst an Daten von 50 Asylbewerbern gelangt sein könnten.
Botschafter: „Aus unserer Sicht unstrittig zulässige Unterstützung“
„Kooperationsanwälte sind für unsere Auslandsvertretungen wie unsere Botschaft Ankara wichtige Ansprechpartner, um Fragen des örtlichen Rechts zu klären und besser einschätzen zu können“, sagte der deutsche Botschafter in Ankara, Martin Erdmann, nach Angaben der Vertretung jetzt vor türkischen Journalisten. „Der Kooperationsanwalt hat für unsere Botschaft die international übliche und aus unserer Sicht unstrittig zulässige Unterstützung geleistet. Eine solche Zusammenarbeit muss ohne Behinderung möglich sein.“
Die Türkei sieht den Fall allerdings ganz anders – nämlich als illegale Schnüffelei und Hilfe für Gülen-Anhänger. Der regierungsnahe Fernsehsender A-Haber berichtete, Yilmaz S. habe „Spionage gegen die Türkei“ betrieben. Erste Hinweise auf illegale Machenschaften des Beschuldigten seien vier Monate vor der Festnahme aufgetaucht.
Der Anwalt habe geheime Unterlagen gehabt, berichten türkische Medien
Die türkische Polizeiabteilung zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität habe den Anwalt daraufhin lange observiert. Yilmaz S. arbeitete demnach vor allem für Deutschland, aber auch für Schweden, Norwegen und die Niederlande. Der Anwalt habe türkischen Regierungsgegnern geholfen und sei zudem im Besitz von Geheimunterlagen gewesen, meldete A-Haber.
In Verhören durch die Staatsanwaltschaft habe S. alle Vorwürfe zurückgewiesen, berichtete die regierungstreue Zeitung „Günes“. Noch werde untersucht, wie der Anwalt an Informationen aus dem türkischen Justiz-Informationssystem UYAP kommen konnte. Fallspezifische Daten aus UYAP sind auch für Anwälte nicht ohne weiteres zugänglich.
„Günes“ verwies auch darauf, dass Deutschland auch auf offiziellem Wege die Türkei um Auskunft über etwaige Vorwürfe gegen Asylbewerber bitten könne – doch das habe die Regierung in Berlin nicht getan. Auch deshalb sieht sich Deutschland jetzt in der Türkei dem Vorwurf ausgesetzt, mutmaßlichen türkischen Staatsfeinden geholfen zu haben: „Berlin ist in Panik“, hieß es in der Zeitung „Aksam.“
Susanne Güsten