„Es sind Schlangen, die süße Worte flüstern“: Trump hat verloren, der Trumpismus geht trotzdem weiter
Über 70 Millionen Menschen haben für Donald Trump gestimmt. Dessen Anhänger wollen Joe Biden nicht akzeptieren und erwarten „unheimliche Zeiten“.
Donald Trump hat es am Tag von Joe Bidens Triumph noch einmal in seiner ihm ganz eigenen Art bei Twitter betont: „71,000,000 Legal Votes. The most EVER for a sitting President!" (71 Millionen legale Stimmen, die meisten jemals für einen amtierenden Präsidenten).
Genau genommen sind es rund 70,4 Millionen bisher, das Paradoxe: Trump hat weit mehr Stimmen gewonnen als bei seiner Wahl zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten 2016. Hinter jeder Stimme steht eine Frau oder ein Mann mit einem klaren Motiv.
Wenn Joe Biden sagt, er will „mehr vereinen als spalten“, wird er auch daran gemessen werden, ob er mit seiner Politik bisherige überzeugte Trump-Anhänger wird überzeugen können.
Wie schwer das wird, zeigt Kelley Finn. Trump hat verloren, der Trumpismus nicht. Sie ist eine der ganz wenigen treuen Trump-Wähler, die sich am Wochenende unter die tausenden tanzenden Anhänger des künftigen Präsidenten Biden in Washington getraut hat. Sie hat sich als Richterin verkleidet, mit Perücke und schwarzer Robe - denn für sie ist die Wahl längst nicht entschieden, sondern das werde vor Gericht geschehen. Ihr Twitter-Account lautet „alwaystrumporg“, für immer Trump.
Während spontane Konzerte gegeben werden und in Sichtweite des Weißen Hauses hunderte „Come togehter, right now“ von den Beatles singen, denkt sie gar nicht daran, sich der neuen Lage zu fügen. Sie teilt auch die Meinung, Trumps bisheriger Haussender Fox News sei „tot“, weil der zuletzt deutliche Absetzbewegungen gezeigt hatte.
„Die Wahl wurde Trump gestohlen“
Sie trägt ein pinkes Plakat, auf das sie in schwarzer Schrift ein Zitat Trumps geschrieben hat, es ist für sie eine Mission: „America will never be a socialist Country " (Amerika wird niemals ein sozialistisches Land sein). Das werde alles am Obersten Gerichtshof landen, sagt sie mit Blick auf den Wahlausgang. „Die Wahl wurde Trump wegen falscher und zu Unrecht berücksichtigter Stimmzettel gestohlen.“
[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen nach der US-Wahl live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Finn ist eine pensionierte Anwältin, hat lange in Florida gelebt und wohnt heute in Virginia. Was aber wenn Trump damit nicht durchkommt und auch richterlich besiegelt seine Abwahl feststeht, unterstützt sie dann Biden? „Never“, sagt sie. Er sei zwar kein Sozialist, aber er ist für sie nur eine Marionette einer zunehmend nach links gerückten demokratischen Partei.
Sie betont, auch keine Rassistin zu sein, aber dass Biden Kindern von Migranten einen legalen Status verschaffen und die von Trump verfügten Einreisesperren für Menschen aus muslimischen Ländern aufheben will, findet sie falsch.
Und es nervt sie, dass Trump-Wähler oft in Klischee-Schubladen gesteckt werden. „Unser Einwanderungsproblem hat nicht erst gestern begonnen. Es ist einfach nicht wahr, dass wir 70 Millionen Rassisten oder White Supremacists sind. Das sind wir nicht. Und wir lehnen es ab, so genannt zu werden.“ Es wird eine Schlüsselfrage für Erfolg oder Misserfolg seiner Präsidentschaft sein, ob Biden zu einer ausreichenden Zahl an Wählern der Republikaner Brücken bauen kann.
Die Wahl hat Stadt-Land-Unterschiede gezeigt
Trump stehe für den freien Marktkapitalismus, betont Kelley Finn. „Wir bevorzugen Freiheiten. Unsere Vorfahren, haben für die Freiheiten gekämpft.“ Ihre Vorfahren stammen aus Wales und die Geschichte ihrer Familie von Aufstieg und Enttäuschung erinnert an den Bestseller-Roman „Hillbilly Elegy“ von J. D. Vance, über die sozialen Probleme von Arbeiterfamilien in ländlichen Regionen Ohios. Es wurde zur Handreichung, um die „Hinterwäldler“, den Zorn gerade weißer Männer zu verstehen, die plötzlich Trump wählten. „Mein Großvater John Finn war ein Bergmann aus West Virginia war und mein Vater trug im Sommer keine Schuhe, er bekam erst ein neues Paar, als er in die Schule kam“, berichtet Finn.
[Mehr zum Thema: Donald Trump - ein Nachruf zu Lebzeiten - der Zerstörer wird gehen müssen, sein Schutt bleibt]
„Aber mein Vater wurde erfolgreich. Jeder in diesem Land hat die Fähigkeit, eine erfolgreiche Person zu sein.“ Sie glaubt, dass sie für den Großteil der Trump-Wähler spricht: „Sie werden die Präsidentschaft der Demokraten auch nicht akzeptieren“, sagt die 62-Jährige und fügt wenig ermutigend hinzu: „Das ist eine unheimliche Zeit für unser Land.“
Die Wahl hat gewaltige Stadt-Land-Unterschiede gezeigt – ähnlich wie in Deutschland bei sozialdemokratischen und linken Parteien kritisieren Trump-Anhänger immer wieder bei den Demokraten eine Dominanz von Identitätspolitik zugunsten von Minderheiten und ihre Migrations- und ihre Klimaschutzpolitik werden oft als Bedrohung empfunden.
Zudem loben dessen Wähler immer wieder Trumps wirtschaftsliberalen Kurs und seine Steuersenkungspolitik. Und gerade weil Trump so anders ist und man seine Botschaften versteht, kommt er bei vielen US-Bürgern so gut an.
Fünf Typen von Trump-Wählern
Die Wissenschaftlerin Emily Ekins vom Cato-Institute hatte schon nach seiner Wahl 2016 fünf Typen von Trump-Wählern ausgemacht, basierend auf der Befragung von 8000 Personen. Die größte Gruppe waren dabei mit 31 Prozent loyale Republikaner mit traditionell konservativen Positionen in sozialen und wirtschaftlichen Fragen, diese dürften noch am ehesten für Biden erreichbar sein, in seinem Bemühen Gräben zuzuschütten.
Dahinter folgt die Gruppe der sogenannten American Preservationists: Den Bewahrern, die sich durch die Globalisierung in ihrem Wohlstand bedroht fühlen, etwa die Kohle- Fracking- und Stahlarbeiter, die sich vor allem gegen zu viel Klimaschutz- und Umweltauflagen wehren; die mit Trump wieder an das uramerikanische Versprechen des Aufstiegs geglaubt haben.
Allerdings hat sich für viele Kohle- und Stahlarbeiter wenig zum Besseren verändert. Daneben gibt es einen hohen Anteil an Wählern, die das Washingtoner Establishment ablehnen.
Mehr zur Wahl in den USA
- Wer sind Joe Biden und Kamala Harris? Ein Doppelporträt des mächtigsten Duos der Welt
- Warum Trumps Coupversuch misslungen ist – ein Essay
- Party in Washington – wie das Land feiert
- Joe Biden und Kamala Harris – zwei, nach denen sich auch viele Deutsche sehnen
Viel wird darauf ankommen, ob Biden als Ausweg aus der Corona-Rezession eine Art New Deal, ein gewaltiges Konjunktur- und Infrastrukturprogramm, in Gang setzen kann. Und ob er wie Trump dem Hauptkonkurrenten China die Stirn bietet.
Doch Nedalee Thomas, eine Geschäftsfrau mit Collegeausbildung, glaubt nicht, dass Biden überhaupt Präsident wird. „Die Medien haben 2000 auch Al Gore zum Präsidenten ausgerufen, aber die Amtseinführung hat nie stattgefunden.“ Sie sei Großmutter, war Pflegemutter von 17 Kindern unterschiedlicher Herkunft, hat einen schwarzen Sohn adoptiert und ist mit einem Mexikaner verheiratet. „Ich lache, wenn Leute mich als rassistisch oder ungebildet bezeichnen, weil ich Trump unterstütze.“
Ihr Mann sei damals legal mit Arbeitsvisum ins Land gekommen. „Er ist sehr gegen Illegale, weil sie mit ihrem Lohndumping unserem Land schweren Schaden zufügen.“
Republikaner seien größtenteils gewaltfrei und „werden sich nicht so aufregen oder verhalten, wie es die Demokraten seit Jahren getan haben“, betont sie. Aber die Wahl sei manipuliert. „Ich kann nur für mich sprechen und sagen, dass ich Joe Biden und diese schreckliche Kamala Harris, die ihn ersetzen wird, nicht akzeptieren werde“, sagt Thomas und fügt hinzu: „Es sind Schlangen, die süße Worte flüstern.“
Präsident Trump sei mit Abstand „der beste Präsident meines Lebens“. Er habe seine Versprechen gehalten „und wird weit und breit geliebt“. Sie ist sich sicher: „Donald J. Trump wird seine Hand auf der Bibel haben und am 20. Januar den Eid schwören.“
Die spannende Frage wird sein, wie sich diese Trump-Wähler verhalten, wenn statt ihm Joe Biden den Amtseid ablegt, im Moment erscheint der Zustand noch einer des Abwartens und Hoffens auf die Gerichte zu sein. Das sicher gefährlichste Erbe - und für einen Dialog kaum zu gewinnende Gruppen - sind extrem rechte und sektenartige Bewegungen, die in Trumps Amtszeit an Zuspruch gewonnen haben.
Die Proud Boys könnten sich weiter radikalisieren
Gruppen wie die mehrere tausend Leute umfassenden Proud Boys, die Trump aufgefordert hatte, sich zurück-, aber auch bereitzuhalten („Stand back and Stand by“) könnten sich weiter radikalisieren. Und selbst der deutsche Verfassungsschutz blickt genau darauf, wie sich auch hierzulande die in der Trump-Zeit entstandene, inzwischen internationalisierte QAnon-Bewegung entwickelt.
Diese meint, eine Elite – darunter führende Demokraten - entführe und töte Kinder, um aus ihrem Blut eine Verjüngungsdroge zu gewinnen. Trump gilt ihnen als ein Erlöser.
So gab es vor dem Wahltag in Washington mehrere evangelikale Events. Melanie Petrowski, 44 Jahre alt, ist ein gutes Beispiel, wo die Welt nach vier Jahren Trump steht. Sie versteht gar nicht, dass Joe Biden überhaupt Kandidat sein durfte, sie erzählt die Geschichte der „Biden 5“, ein Bericht der rechten Plattform Breitbart über „eine von Amerikas korruptesten Familien“.
Sie war extra aus Neuseeland angereist und trank am Wahlabend voreilig schon Champagner - sie hat laut eigenen Angaben rund 20.000 US-Dollar auf Trumps Wiederwahl gewettet. Ähnlich wie viele Trump-Wähler sieht sie einen gewaltigen Betrug am Werk und bittet um Gottes Hilfe. Sie hat im Finanzbusiness viel Geld verdient, ist viel in der Welt herumgereist, intelligent. Aber gefangen in ihrer sorgsam abgeschotteten Denk- und Informationswelt.
Sie glaubt fest an die QAnon-„Ideologie“, mit echten Fakten dringt man im Gespräch nicht durch. Das Corona-Virus ist für die eine biochemische Waffe, hinter der China, die Demokraten und Bill Gates stecken. Ford Knox sei im Übrigen leer, die Obamas hätten das Gold abtransportiert. Und Michelle Obama sei in Wahrheit ein Mann. „Der wahre Name ist Michael Robinson.“