US-Präsidentschaftswahl: Trumps Narzissmus hat Amerika gerettet
Donald Trump hat getan, was er Biden vorwirft: Er hat probiert, die Wahl zu stehlen. Doch er kam sich selbst in die Quere.
Es endete mit einem Coupversuch. In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch – in vielen Staaten war erst ein Bruchteil der Stimmen ausgezählt, und es wurde deutlich, dass die Wahl in dieser Nacht nicht mehr entschieden werden würde – trat Donald Trump vor die Presse.
Er erklärte sich zum Wahlsieger und sagte, er wolle, dass die Auszählung der restlichen Stimmen angehalten werde. Seit Wochen hatte der Präsident ohne jeglichen Beweis gegen vermeintlichen „Wahlbetrug“ bei der Briefwahl gewettert. Und als dann die „blaue Welle“ der Briefwahlstimmen Joe Biden in Führung zu bringen drohte, versuchte er, die Stimmen von Millionen amerikanischer Briefwähler zu annullieren.
Er tat, was er den Demokraten in den folgenden Tagen in unzähligen Tweets und SMS an seine Unterstützer vorwerfen würde: Er versuchte, die Wahl „zu stehlen“.
Es ist ihm nicht gelungen. Die Wahlhelfer machten stoisch weiter – und am Samstag kurz vor 18 Uhr deutscher Zeit wurde Joe Biden zum Sieger erklärt.
Donald Trump tat, was er Biden vorwirft: Er versuchte, die Wahl zu "stehlen"
Die Tage seit der Wahl am Dienstag waren wie eine Miniaturausgabe der vergangenen vier Jahre, eine Verdichtung all dessen, was Donald Trumps Präsidentschaft ausgemacht hat: Geprägt von Lügen, Rechenschaftsverweigerung, Realitätsleugnung, Proto-Autoritarismus und Herrscherkult, Komplizenschaft.
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Für die liberale Demokratie in den Vereinigten Staaten wird von Donald Trump und von diesen letzten Tagen vor allem eines bleiben: die Erkenntnis, dass sie an Stellen verwundbar ist, die die Verfassung nicht schützt und nicht schützen kann. Aber auch, dass die amerikanische Demokratie resilienter ist als gedacht. Trump hat den Coup versucht. Er ist gescheitert.
Donald Trump ist ein Populist mit autoritären Zügen. Er glaubt an die Herrschaft der Masse durch seine Person. Das Liberale an der liberalen Demokratie – Verfahren, Minderheitenschutz, Checks und Balances – hält er für überflüssig. Trump eiferte europäischen Populisten wie dem ungarischen Premierminister Viktor Orbàn und dem Chef der polnischen PiS-Partei Jaroslaw Kaczynski nach. Er versuchte, sich über das Recht zu setzen und die Wahl zu manipulieren. Er tat das mit formal legalen Mitteln und doch in einer Weise, die den Begriff Coup rechtfertigt.
Im Mai setzte Donald Trump einen Wahlkampfspender, Louis DeJoy als Postmaster General ein, als Kopf des amerikanischen Staatsunternehmens United States Postal Service – kurz vor einer Wahl, die wegen der Pandemie in großen Teilen eine Briefwahl sein würde. DeJoy sorgte dafür, dass die Post noch langsamer wurde. Gleichzeitig starteten Donald Trump und die Republikaner in kritischen Bundesstaaten – in Texas, North Carolina, Pennsylvania – eine juristische Kampagne, um gerichtlich zu erwirken, dass Briefwahlstimmen, die nach dem Wahltag ankommen, nicht gezählt würden. Es war der Versuch, die überwiegend demokratischen Briefwahlstimmen ungültig zu machen.
Trump hatte da durch vier Jahre Lügen und mit Unterstützung von Medienfiguren wie dem Fox-Talkmaster Sean Hannity die Kategorien „wahr“ und „falsch“ schon so weit aufgelöst, dass viele seiner Unterstützer bereit sind, seiner Behauptung zu glauben: dass nach dem Wahltag ankommende Stimmen in irgendeiner Form weniger „legitim“ seien als persönlich abgegebene Stimmen.
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Ähnlich wie in Ungarn und Polen versuchte Donald Trump, das Recht mit den Mitteln des Rechts und einer manipulierten öffentlichen Meinung zu unterminieren. Diesen Zangenangriff auf die amerikanische Wahl hätte sich wohl keiner der Gründerväter der amerikanischen Demokratie ausmalen können.
Natürlich, Trump schickt nicht das Militär auf die Straße, er lässt seine Gegner nicht von Geheimdiensten ermorden. Aber er verfolgte doch klar das Ziel einer illegitimen Machtergreifung. Die Verfassung kennt dafür keinen Abwehrmechanismus.
Drei Gründe, warum Trumps Coupversuch gescheitert ist
Diese Strategie gescheitert, aus drei Gründen: Der erste ist Trumps Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom. Trumps Agieren ist stets auf den Moment gerichtet ist. Das war einerseits gefährlich. Er sperrte Amerika mit seinem Tweet-Stakkato in der Gegenwart ein. Doch auch er selbst ist ein Gefangener des Jetzt. Trumps Populismus ist eine Momentokratie. Er beherrschte jeweils nur den Augenblick. Er entschied stets ad-hoc. Er schuf weder langfristig angelegte Seilschaften, noch baute er die Hardware von Recht und Gesetz um, wie es in anderen „illiberalen Demokratien“ zu beobachten ist.
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Trump konnte drei Richterstellen am Supreme Court neu besetzen – und wählte Richter vom äußersten rechten Rand des Spektrums, in der Hoffnung, dass sie seine Politik unterstützen würden. Doch das Oberste Gericht folgte ihm nicht und bestätigte etwa für North Carolina die Legitimität spät ankommender Briefwahlstimmen. Ebenso entschied ein republikanisch besetztes Gericht in Texas. Das mag am Ethos und an der Präzedenztreue der Richterinnen und Richter liegen.
Es mag aber auch daran liegen, dass Trump zwar die Regeln der Richterbesetzung für seine Pläne ausnutzte, die Regeln selbst aber intakt ließ. Das unterscheidet Amerika von Polen, wo die Justiz mittlerweile im Wesentlichen der Exekutive unterstellt ist und Richter um ihre Abberufung fürchten müssen, wenn sie politisch nicht genehme Entscheidungen treffen.
Auch die Medien hat Trump, anders als in Ungarn, nicht „umgebaut“. Das Medien-Universum von Rupert Murdoch, zum dem Fox gehört, folgte ihm freiwillig, weil die Gesetze des Marktes es wollten: Es gab eine Nachfrage. Der plötzliche Strategiewandel von Murdoch-Marken in den vergangenen Tagen zeigt: Es geht auch rückwärts, wenn die Bedürfnisse des Marktes sich ändern. Rupert Murdochs Zeitung „New York Post“ nannte eine Auftritt Trumps am Mittwoch plötzlich „eine Rede von historischer Unehrlichkeit“, geprägt von „Lügen über Lügen“.
Der zweite Grund für das Scheitern des Trump-Coups ist sein Narzissmus. Donald Trump verfolgt kein langfristiges ideologisches Ziel. Er will keinen Staatsumbau, er will an der Macht bleiben. Nicht, für eine Idee von irgendetwas, sondern nur für sich selbst. Trump ist zuerst Narzisst und dann Populist.
Trump ist zuerst Narzisst, dann Populist
Er liebte den autoritären Gestus, er liebte es, Menschen zu ängstigen und zu bedrohen. Er versuchte, eine Art Herrscherkult aufzubauen. Die Trump-Rallyes hatten ihre eigene, faschistoid-trashige Ästhetik, mit Trump-Tower-hohen amerikanischen Flaggen, von Kranwagen gehisst wie von gigantischen Galgen, in einer Anordnung die an den Nürnberger Reichsparteitag erinnert. Um Trump entstand eine eigene Subkultur mit einem festen Repertoire an Erkennungszeichen: der rote MAGA-Hut, die Frisur, die gereckte Faust, später vier gereckte Finger: „Four more years“ und die „Thin blue line“-Flagge.
Als in Portland nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd Unruhen ausbrachen, ließ Trump außerdem Bundespolizisten ohne Abzeichen in der Stadt aufmarschieren – sowie Putin Soldaten ohne Hoheitsabzeichen in die Ukraine einmarschieren ließ. Vom russischen Präsidenten fühlte er sich angezogen, ebenso wie von Xi Jinping. Aber nicht, weil er ihre Vorstellung teilte, sondern weil er sie um ihren Auftritt beneidete. Trump mochte den autoritären Stil, aber das blieb oberflächlich. Ihm fehlte die Konsequenz zu Schlimmerem.
Drittens ist Trump an der aufrechten Haltung, der demokratischen Gesinnung und der Vernunft der Amerikaner gescheitert, die ihn nicht gewählt haben. Er ist gescheitert an der Ruhe und Professionalität der Wahlbehörden in den Bundesstaaten, dem Engagement der viele Helfer. Und schließlich auch an seiner Partei.
Zwar herrscht bis heute weitgehend bleiernes Schweigen. Doch einzelne, wie der Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, ansonsten einer von Trump willigsten Vollstrecker, hatten deutlich gemacht, dass bei der Wahl ihre rote Linie überschritten wäre. Trumps Partei ist voller Opportunisten – Putschisten sind sie nicht.
Donald Trump konnte den Weg vom Populisten zum proto-autoritären Herrscher nicht zu Ende gehen. Weil er nicht wirklich wollte, und weil er nicht konnte. Aber vor allem, weil die Amerikaner sich ihm in den Weg gestellt haben.
Die Wahl von Joe Biden zum 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten stellt Rechenschaft, Geschichtlichkeit und Perspektive wieder her. Es sieht derzeit so aus, als könne Amerika sich aus der Gefangenschaft der Gegenwart befreien.