zum Hauptinhalt
Krankenhaus neuen Typs: In Cremona wurde ein Feldlazarett aufgebaut, um die vielen Corona-Kranken behandeln zu können.
© Claudio Furlan/dpa

Italien in der Corona-Krise: Trotz Notstandsmaßnahmen – Infiziertenzahl von Mailand verdoppelt sich

Die Kurven der Infizierten und Toten zeigen in Italiens Norden auch nach Wochen weiter steil nach oben. Die Regierung in Rom verschärft die Ausgehsperre.

Eine Naturkatastrophe in Etappen: Für Italien ist diese Vorhersage gerade in den letzten Tagen dieser Woche traurig wahr geworden. Am Mittwochabend die bisher höchste Totenzahl an einem Tag, mehr als China. Einen Tag später hatte man sogar die weltweit höchste Totenzahl insgesamt. Am Freitag nun ein erneuter schrecklicher Rekord: Noch einmal mehr Tote in nur einem Tag. 627 Menschen starben seit Donnerstagabend am Coronavirus. Die Zahl der - bekannten - Infizierten kletterte gleichzeitig auf 37.860.

Ein Schrecken im Schrecken ging dabei fast unter. Am Freitag wurde er auf der Titelseite von "Repubblica" zu einem Aufschrei. Über dem Bild des Mailänder Doms schwebt die Schlagzeile: "Resisti Milano". Mailand, halte durch! 

Die Metropole im Norden, heimliche Hauptstadt und Herz der italienischen Wirtschaft, hatte da einen neuen Horrorrekord verzeichnet - die Zahl der Neuansteckungen in Stadt und Provinz Mailand verdoppelten sich zwischen Mittwoch und Donnerstagabend von 318 auf 634.

Dabei steht Mailand wie der gesamte Norden schon länger unter Notstandsmaßnahmen. Die Regierung reagierte am Freitag auf die erschreckenden Zahlen mit einer Verschärfung der Ausgangssperre. Sport im Freien ist ab Samstag nur noch in nächster Nähe der eigenen Wohnung erlaubt - mit dem nötigen Abstand zu anderen Menschen, mindestens einem Meter. Auch die Touren zum Wochenendhaus werden eingeschränkt. Den Kommunen und der Regionalregierung der Lombardei genügt das nicht. Sie forderten von Rom, dass auch weitere Geschäfte und Aktivitäten geschlossen werden müssten, zum Beispiel Tabakläden, Behörden und Baustellen.

Steinmeier: Großes Mitgefühl für Italien

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier drückte in einem Brief an seinen Amtskollegen Sergio Mattarella am Freitag sein Mitgefühl für Italien aus. Steinmeier, der Mattarella in seiner Amtszeit mehrfach getroffen hat, zuletzt im Herbst 2019, versicherte ihn der "Solidarität meiner Landsleute und meine(r) tiefe(n) persönlichen Anteilnahme". Deutschland selbst sehe "schwierigen Zeiten entgegen, aber zugleich blicken wir mit großem Mitgefühl auf die dramatischen Situation bei unseren italienischen Nachbarn". Der Brief schließt auf italienisch mit der Versicherung, man sei Italien nah: "Vi siamo vicini."

Es gibt Hinweise darauf, dass Italiens Schulen, die bereits am 4. März im ganzen Land geschlossen wurden, den Rest des Schuljahres geschlossen bleiben könnten. Inzwischen ist von September als Termin für die Wiedereröffnung die Rede, also dem Monat, in dem das neue Schuljahr in Italien beginnt. 

Die Warnungen vor riskantem Verhalten werden immer lauter und dringlicher. Bei einer Pressekonferenz mit dem Ministerpräsidenten der Lombardei hatten am Donnerstag chinesische Ärztinnen und Ärzte dringend an die Bevölkerung appelliert, zu Hause zu bleiben. 

Das Team, das seine Erfahrung aus Wuhan einsetzen will, um in Mailand zu helfen, erklärte, man habe beim Weg durch die Stadt eindeutig allzu belebte Straßen gesehen.

"Kranke nicht im Haushalt lassen"

Vor wenigen Tagen war bekannt geworden, dass mehr als ein Drittel der Bevölkerung, 40 Prozent, sogar im schwergeprüften Norden sich gefährlich weit von zu Hause wegbewegen, statt sich dort zu einzuigeln. 

Massimo Galli, Chef der Infektionsabteilung im Mailänder Sacco-Klinikum, sagte "Repubblica": "Der Kampf geht um die Lombardei. Ich bin für die Zukunft extrem besorgt." Die Abstandsregeln hätten die Ausbreitung zunächst gebremst, dafür sehe man aber jetzt viel zu viele Leute auf der Straße.

Er fordert zugleich, die, die zu Hause blieben, per Telemedizin Ärzte zu kontaktieren: "Wenn sich in der Familie jemand ansteckt oder der Verdacht besteht, ist es keine gute idee, dieses Familienmitglied im Haushalt zu lassen. Dann müssen auch sie isoliert und behandelt werden, sonst werden wir das niemals los und die Ansteckung wird ewig weitergehen." Zu viele Infizierte, ja Kranke seien gar nicht entdeckt.

Telefonkontakt mit Arztpraxen

Gallis Kollege Vittorio Demicheli, ein Epidemiologe und Mitglied im Krisenstab der Regionalregierung der Lombardei, äußerte sich im "Corriere della sera" ähnlich. "Wir müssen deshalb unsere Strategie anpassen, um Patienten über die Krankenhäuser hinaus auch zu Hause zu versorgen." 

Die Hausärztinnen und -ärzte müssten aktiv den Kontakt zu betroffenen Patienten suchen und nötigenfalls die spezialisierten Corona-Einheiten zur Hilfe rufen. 

Mehr Telefonkontakt statt normalem Praxisbetrieb - das sollte auch für die ambulante Versorgung der anderen Patienten gelten, sagte Demicheli.

In der dichten Berichterstattung der italienischen Zeitungen haben bei allen Schreckensnachrichten - die beiden großen Blätter brachten am Freitag bewegende Reportagen aus dem von Corona extrem getroffenen Bergamo - auch am Freitag wieder mutmachende Berichte Platz gefunden. 

Corona trifft auch die Mafia

"Il fatto quotidiano" meldete einen deutlichen Rückgang der Kriminalität, freilich ohne Quellenangabe: Weniger Leute auf der Straße, mehr Kontrollen - so seien seit dem 9. März Raubüberfälle, Diebstähle und Drogenhandel um 80 Prozent eingebrochen. 

Selbst die Mafia mache das Leben mit Corona zu schaffen. Vor kurzem sei sogar ein ausgebrochener 'Ndrangheta-Boss wieder gefasst worden. Die Carabinieri hatten einen Komplizen angehalten, der gerade mit der Einkaufstüte zu ihm unterwegs war.

Wie das Virus die Schule verändern könnte

Auch die Schulen könnte die Zwangspause verändern - zum Besseren, wie manche meinen. Die Neapel-Korrespondentin der "Repubblica", Conchita Sannino, interviewte Marco Rossi-Doria, der jahrzehntelange in Neapels sozialen Brennpunkten Lehrer war und zeitweise Staatskretär im Unterrichtsministerium in Rom. 

"In diesen Tagen passieren auch wunderbare Dinge", sagte der Pädagoge, der derzeit die Folgen des Bildungs-Shutdowns in Italien verfolgt. 

Mütter in Neapels kriminalitätsgeplagter Peripherie backten Brot mit ihren Kindern und schickten Rezepte und Videos an die Lehrerinnen, es würden Tablets und Handys an die weitergegeben, die keine hätten, Kinder mit Handicaps erhielten e-Hilfe von Schulkameradinnen. 

Der Italienischunterricht laufe über die große Pest-Literatur, Manzonis "Verlobte" oder Boccaccios "Dekameron". Und es werde noch deutlicher, wie ungleich die Chancen auch in der Bildung verteilt seien. 

Die Krise werde die Schule verändern, meint Rossi-Doria: "Ich habe den aufrührerischen Gedanken, dass die konservative Lehrmethode des reinen Weitergebens der italienischen Schule sich ändern muss."

Zur Startseite