zum Hauptinhalt
Beerdigung in Bergamo – die Zahl der Coronavirus-Toten ist zuletzt dramatisch gestiegen.
© REUTERS/Flavio Lo Scalzo/File Photo
Update

Virus-Todeszahlen steigen sprunghaft: Ein Drittel der Italiener ignoriert die Ausgangssperre

Die Dauer der Corona-Notstands zerrt an den Nerven der Italiener. Wie die Lage: Die Totenzahl eines Tages lag jetzt höher als zuvor selbst in China.

Italien bleibt Hauptbetroffene des Virus. Am Mittwochabend veröffentlichte die Zivilschutzbehörde eine neue schockierende Zahl: In den 24 Stunden seit der letzten Bekanntmachung starben 475 Menschen an Covid-19. Italiens Medien wiesen darauf hin, dass selbst China solche Totenziffern nie an einem einzigen Tag hatte.

Dabei hatte es kurz danach ausgesehen, als gebe es Hoffnungszeichen. Am Montag war die Zahl der Neuansteckungen erstmals gefallen. Am Dienstag allerdings verzeichnete der Zivilschutz schon wieder ein Plus. Am Mittwoch dann der Schreckensrekord der Toten. Dennoch, es gibt Anzeichen für Besserung.

Eine Karte, die die römische „Repubblica“ am Dienstag veröffentlichte, zeigt, dass der Süden des Landes weiter weitgehend von der Epidemie verschont bleiben könnte. Nur Apulien, Ferse und Absatz des italienischen Stiefels, zeigt eine steile Kurve, die andern bleiben flach. 

Der Notstandsbeauftragte der Regierung Angelo Borrelli, zugleich Chef der Protezione Civile, wies zudem darauf hin, dass die Zahl der Infizierten sich inzwischen stabilisiere und auch die Heilungen auf einem Höhepunkt seien.

Schon am Vortag hatte er gemahnt, man sei noch nicht am Scheitelpunkt angelangt, aber: „Für Ende der Woche erwarten wir eine Verbesserung der Kurve“ – immer vorausgesetzt, der ständig wiederholte Aufruf funktioniere:  Nach Möglichkeit zu Hause bleiben und auch dort Kontakte nach draußen möglichst meiden.

"Nur Isolation bremst die Ansteckung"

Da scheint es aktuellen Berichten zufolge noch zu hapern. Innenministerin Luciana Lamorgese ordnete eine Verstärkung der Polizeikontrollen an und drohte den Sorglosen unter ihren Landsleuten jetzt damit,  die Strafen für unbegründetes Spazierengehen zu verschärfen – wer erwischt wird, muss schon jetzt mit einer Anzeige rechnen.

[Mehr zum Thema: 475 Corona-Opfer in Italien – noch nie gab es so viele Tote an einem Tag]

Wie der Mailänder „Corriere della sera“ in seiner Mittwochausgabe schreibt, bleiben in der am massivsten betroffenen Lombardei nicht einmal 60 Prozent der Menschen wirklich zu Hause. Dies kam durch die Auswertung anonymisierter Telefon-Bewegungsdaten heraus.

Der Papst fast allein auf der sonst vielgenutzten Via del Corso in Rom. Rings um Mailand werden die Straßen wieder besorgniserregend voll.
Der Papst fast allein auf der sonst vielgenutzten Via del Corso in Rom. Rings um Mailand werden die Straßen wieder besorgniserregend voll.
© AFP

Demnach sah es sogar einmal noch schlimmer aus: Nach dem ersten Schock um den 20. Februar, als im Großraum Mailand 50 Prozent der Einwohner in den eigenen vier Wänden blieben, taten dies Anfang März nur noch 20 Prozent. Seit dem 9. März, als die Regierung das Ausgehverbot übers ganze Land verhängte, kletterte die Zahl allerdings wieder, eben auf die knapp 60 Prozent.

Den Anteil derer, die wirklich wegmüssen – weil sie nicht im Homeoffice arbeiten können, Alte zu versorgen haben oder zum Arzt gehen – soll dagegen nur bei ein bis zwei Millionen der etwa 10 Millionen Menschen der Lombardei liegen.

Mailands  U-Bahn fährt inzwischen wieder dichter getaktet, wenigstens während der Rushhour:  Das Runterfahren der Taktung am Montag hatte Bürgermeister Beppe Sala heftigen Protest eingetragen, berichtet  der „Corriere della sera“; in den vollen Zügen konnte je nach Tageszeit von Sicherheitsabstand keine Rede mehr sein.  Das Blatt stellte neben die Berichte über den anhaltenden Betrieb in Norditalien den über eine US-Studie zur „Mathematik der Ansteckung“ bei. Überschrift: „Nur Isolation bremst die Ansteckungskurve“

Massentests oder nur bei Krankheitszeichen?

Was sonst zu tun ist, wird auch unter Italiens Ärztinnen und Ärzten wieder diskutiert. Massentests oder nicht – das war am Mittwoch Thema in mehreren überregionalen Medien. Massimo Galli, Leiter der Infektionsabteilung im Mailänder Sacco-Krankenhaus, wo die Erfahrung mit dem Virus inzwischen wohl am größten ist, sagte der Tageszeitung "Il fatto quotidiano":  Für die roten Zone mit massiver Ansteckung habe es Sinn, flächendeckend Abstriche zu machen, um Infizierte herauszufinden, zu isolieren und die Ansteckungswege zu entdecken.

Ein Arzt bei einem Covid-19-Patienten in Brescia.
Ein Arzt bei einem Covid-19-Patienten in Brescia.
© Piero CRUCIATTI / AFP

Gleiches gelte zur Vorbeugung für die Gegenden mit wenig Fällen. Sonst nicht: „Wer heute nicht positiv ist, kann es morgen schon sein.“ Die wirklich wichtige Methode gelte überall: „Abstand halten, wie wir es bisher gerade tun.“

Ohnedies dürfte Massentests auch der Mangel an Material und Personal entgegenstehen. Das Notfalldekret der Regierung von Giuseppe Conte hat zwar am Montag Milliarden freigegeben und die Regeln für die Einstellung geändert, in der Hoffnung auf etwa zehntausend Neueinstellungen: Junge Ärztinnen und Ärzte können jetzt sofort einsteigen und brauchen nach dem Uni-Examen keine Staatsprüfung mehr, mit weiterem Geld sollen mehr Krankenschwestern und –pfleger in die Krankenhäuser kommen und Personal der Armee eingesetzt werden. 

Hintergrund über das Coronavirus:

Zuletzt galten mehr als 2000, also etwa zwölf Prozent aller Fachkräfte im Krankenhaus, als nicht mehr einsetzbar, weil sie sich infiziert hatten, oft wegen Mangels an Schutzkleidung. In die vielen Solidaritätserklärungen für die Teams, die in den Hospitälern vor allem im Norden bis zur Erschöpfung arbeiten und ein hohes Risiko für ihre eigen Gesundheit haben, mischte sich jetzt auch ein Misston: Das Cardarelli-Krankenhaus in Neapel verzeichnete bereits am Montag rekordverdächtige 249 Krankmeldungen aus ärztlichen und Krankenpflegeteams.

Helfer des Roten Kreuzes kümmern sich um einen Obdachlosen in Rom.
Helfer des Roten Kreuzes kümmern sich um einen Obdachlosen in Rom.
© REUTERS/Guglielmo Mangiapane

FQ zitierte den Chef der Notfallmedizin des Cardarelli, Ciro Mauro: „Für die, die sich jetzt hinter falschen Krankmeldungen verstecken und die Kollegen mit der Arbeit alleinlassen: Wir sind nicht wütend, sondern empfinden nur Mitleid.“

Italiens Superreiche spenden

Italiens Reiche haben unterdessen die Taschen geöffnet – auch die, die sich aus der Gefahrenzone in Sicherheit gebracht haben, wie Silvio Berlusconi, der sich, mit neuer junger Verlobter, im Anwesen seiner ältesten Tochter an der Cote d’Azur aufhalten soll.

In einem Land, spottet FQ, das länger als von Covid-19 von Steuerhinterziehung in großem Stil heimgesucht werde, „entdecken jetzt auch Baulöwen, Industrilele und superreiche Unternehmer Solidarität“. Eine gute Nachricht für die beschenkten Hospitäler sei das dennoch.

Berlusconi gab zehn Millionen Euro für das Feldlazarett, das gerade auf dem Gelände der alten Mailänder Messe entsteht, der Erbe der Supermarktkette Esselunga schickte den gleichen Betrag für die Regionalverwaltung der Lombardei, die Familie Agnelli an den Zivilschutz. Nachdem Giorgio Armani den am stärksten betroffenen Krankenhäusern 1,25 Millionen überwiesen hatte, folgten andere Große der Luxusbranche, Dolce e Gabbana und  Bulgari. Auch die Wäschekette Calzedonia spendete.  

Zur Startseite