Diesel-Manipulationen und Fahrverbote: Totalschaden fürs Autoland
Bundespolitische Untätigkeit und unternehmerisches Versagen haben viele Städte vor Gericht gebracht. Die Autobranche hat den Diesel diskreditiert - und kein Entgegenkommen mehr verdient. Ein Kommentar.
Ausgerechnet Stuttgart. In der grün regierten Landeshauptstadt des grün-schwarz geführten Autolandes Baden-Württemberg verhängt ein Gericht Fahrverbote. Was für ein Totalschaden: In der Heimat der weltberühmten deutschen „Premiumhersteller“, im Zentrum des Automobilbaus, werden vielleicht schon bald Daimler und Porsche aus der Stadt verbannt. Deren alte Diesel-Dreckschleudern, sagt der Richter, würden auch mit einer neuen Software nicht sauber.
Der Versuch der Autostrategen, sich preiswert aus der Affäre zu ziehen, ist gescheitert. Und das alles in einer für die Branche dramatischen Zeit: Dieselgate, Kartell-Verdacht, Verkaufsverbote – die deutsche Schlüsselindustrie demontiert sich selbst.
Nicht weniger dumm steht nach dem Stuttgarter Urteil die Politik da. Die Landesregierung hatte bis zuletzt darauf vertraut, dass die Industrie schon eine technische Lösung finden werde, um Fahrverbote zu vermeiden und die gefährlich hohen Stickoxidemissionen ihrer Diesel zu senken. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Das ist die Botschaft, die der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann nun in der kommenden Woche nach Berlin mitnimmt zum Diesel-Gipfel im Haus des Bundesverkehrsministers Alexander Dobrindt.
Am Mittwoch treffen sich in Berlin die Verursacher des Totalschadens
Dort treffen jene zusammen, die den Stuttgarter Totalschaden zu verantworten haben: die Bundesregierung und die Autokonzerne. Denn es sind bundespolitische Untätigkeit und unternehmerisches Versagen, die Stuttgart und Baden-Württemberg, aber auch viele andere deutsche Städte und Kommunen vor Gericht gebracht haben.
München, Düsseldorf, Hamburg, Berlin – sie alle schnappen buchstäblich nach sauberer Luft, weil Millionen Dieselfahrzeuge viel mehr Abgase produzieren, als die Hersteller behaupten.
Die Hersteller haben den Diesel diskreditiert, nicht die Grünen
Das Argument der Autolobbyisten, wonach grüne Fundamentalisten nur den guten deutschen Diesel in den Dreck ziehen wollen, wird dabei jeden Tag entkräftet. Die Hersteller haben den Diesel selbst diskreditiert. Und Gerichte haben der Politik jetzt deutlich machen müssen, dass der Schutz der Gesundheit über dem Schutz des Eigentums und der allgemeinen Handlungsfreiheit der Dieselfahrer steht.
Wer war Bundesverkehrsminister in den vergangenen vier Jahren? Die Weigerung von Alexander Dobrindt, ernsthaft verkehrspolitische Strategien gegen den NOx-Smog in den Innenstädten zu entwerfen und umzusetzen, hat die Lage eskalieren lassen. Dass der Grüne Kretschmann dabei so alt aussieht, kann Dobrindt im Wahlkampf nicht einmal freuen.
Die Umwelthilfe führt die Politik vor
Denn es sind die Aktivisten der Deutschen Umwelthilfe, die die Politik insgesamt vorführen. Ihre Klagen gegen etliche Städte haben dazu geführt, dass Richter über Maßnahmen zur Luftreinhaltung entscheiden. Es geht nicht mehr um Dobrindt, aber der nächsten Bundesregierung werden die Gerichte keine Wahl lassen. Oder der Europäische Gerichtshof zwingt früher oder später Deutschland zu einer Blauen Plakette, die nur noch die saubersten Diesel-Modelle bekommen. Alle anderen müssten dann draußen bleiben. Inzwischen ist viel Zeit vergeudet worden, in der dies hätte verhindert oder zumindest noch politisch beeinflusst werden können.
Die Autohersteller haben das Gegenteil von dem erreicht, was ihre langjährige Lobbyarbeit zum Ziel hatte. Bei der künftigen Gestaltung der umweltpolitischen Rahmenbedingungen haben sie weniger Einfluss als in den vergangenen Jahrzehnten.
Aktuell profitieren sie noch von relativ moderaten CO2- und NOx-Grenzwerten. Die jüngsten Quartalsberichte zeigen, wie gut es den Konzernen dabei noch geht. Das muss nicht so bleiben. Wenn die Politik ihre Glaubwürdigkeit nicht gänzlich verspielen will, wird sie am kommenden Mittwoch beim Diesel-Gipfel klare Kante zeigen müssen.
So schwierig ein Kompromiss zur technischen Aufrüstung des Diesels auch sein mag – ein Entgegenkommen hat die Autobranche nicht mehr verdient.