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Bald verbannt? Für Diesel-Fahrzeuge könnten Fahrverbote in Innenstädten kommen.
© Marijan Murat/dpa

Städtetags-Vize Maly zu Diesel-Urteil: "Man hat der Autoindustrie einfach zu viel geglaubt!

Städtetags-Vizepräsident Ulrich Maly fordert die Einführung einer "Blauen Plakette" durch den Bund als "schnelle und wirksame Lösungen" gegen das Überschreiten von Grenzwerten. Fahrverbote ließen sich sonst nicht vermeiden

Herr Maly, was bedeutet das Stuttgarter Diesel-Urteil für die Städte?

Schnelle und wirksame Lösungen müssen her. Das Gericht hat festgestellt, der Gesundheitsschutz für die Bürgerinnen und Bürger steht an erster Stelle. Wenn die Grenzwerte für Stickoxide überschritten werden, lassen sich Fahrverbote nicht vermeiden. Die Stuttgarter Verwaltungsrichter gehen sogar so weit, Fahrverbote zu fordern, da andere Maßnahmen nach ihrer Auffassung nicht ausreichend greifen. Diese Entscheidung ist jedoch noch nicht rechtskräftig. Dennoch erhöht sie den Druck auf Bund und Autoindustrie, kurzfristig messbare Erfolge nachzuweisen und zu erreichen, dass Stickstoffdioxidemissionen in den Städten spürbar sinken und Grenzwerte eingehalten werden. Ein Durchmogeln ist nicht mehr möglich.

Wann kommen Fahrverbote, und wie werden sie dann umgesetzt?

Wir wollen als Verantwortliche in den Städten keine Fahrverbote, aber wenn wir von Richtern gezwungen werden, zu handeln, ist ein Instrument wie die Blaue Plakette nötig. Denn wir brauchen eine praktikable einheitliche Lösung, wie wir begrenzte Fahrverbote umsetzen können. Die muss der der Bund einführen. Allerdings lösen Fahrverbote die Probleme nicht nachhaltig. Wir brauchen Dieselautos, die auf der Straße die Werte einhalten, die in den Prospekten stehen.

Was erwartet der Deutsche Städtetag, was erwarten Sie vom "Diesel-Gipfel", den die Bundesregierung kommende Woche veranstaltet?

Ganz einfach: Wir erwarten echte Bewegung. Die fehlt bisher. Es darf nicht sein, dass Verwaltungsgerichte die Richtung vorgeben. Bewegung erwarte ich vor allem von der Automobilindustrie, und zwar bei der Nachrüstung von Dieselfahrzeugen mit Software, die den Schadstoffausstoß verringert. Und soweit es erforderlich ist, auch mit Hardware. Bewegung erwarte ich aber auch vom Bund, etwa bei der Frage, wie man mit Dieselfahrzeugen mit der alten Euro-4-Norm oder früheren umgeht.

Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD), Vizepräsident des Deutschen Städtetags.
Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD), Vizepräsident des Deutschen Städtetags.
© Armin Weigel/dpa

Wer fährt denn eigentlich mit den alten Dieseln in einer Stadt wie Nürnberg, in der Sie Oberbürgermeister sind?

Das geht quer durch die Bevölkerung, aber es sind natürlich viele Handwerker, die sich ihre Diesel-Firmenwagen wegen der langen Lebensdauer ausgesucht haben. Oder die Kleinlaster der explosionsartig wachsenden Logistikdienstleister, unter denen auch Kleinselbständige sind. Die fahren mit Autos, die oft zehn Jahre alt oder älter sind. Aber man muss in dem Zusammenhang auch die soziale Seite sehen. Nicht jeder kann sich moderne, neue Autos leisten.

Was bringt denn das von der Autobranche angekündigte Software-Update bei Dieseln?

Da gehen die Vermutungen auseinander. Manche erwarten eine Verringerung des Schadstoffausstoßes um 50 Prozent. Andere halten zehn Prozent Verbesserung für realistisch. Aber genau werden wir das erst wissen, wenn genügend Fahrzeuge umgerüstet sind und wenn die Messungen im realen Betrieb stattfinden. Dann wird sich das an unseren Messgeräten ablesen lassen. Aber es betrifft Millionen Fahrzeuge. Ich bin zwar grundsätzlich optimistisch, aber auch hier bedarf es größerer und schnellerer Anstrengungen.

Was tun die Städte, um das Problem mit den Dieselmotoren in den Griff zu bekommen? Sie haben doch große Fahrzeugflotten, da lässt sich doch einiges tun.

Bei den Gesamtemissionen fallen die städtischen Fuhrparks und Busse kaum ins Gewicht. Aber natürlich wollen die Städte Vorbildwirkung wahrnehmen. Bei den Linienbusflotten wird auch einiges getan, es wird viel experimentiert, mit Euro6-Norm, mit Gasantrieb, E-Mobilität, Hybridfahrzeugen. Ein Problem ist, dass es von deutschen oder europäischen Anbietern noch keinen massentauglichen E-Bus gibt, im Gegensatz zu China. Die Hersteller sind hier gefordert. Bei den anderen Kommunalfahrzeugen, etwa bei der Müllabfuhr oder bei Kehrmaschinen, für die normale Fahrzeuge als Basis dienen, sind die Stückzahlen nicht groß genug, um die Industrie zu Veränderungen zu bewegen.

Was würde eine kommunale Umrüstung kosten?

Der Städtetag schätzt vorsichtig: jährlich 200 Millionen Euro über fünf Jahre allein bei den Bussen.

Sie haben die Logistikdienste angesprochen…

Auch da wird schon zwischen Paketlogistik und Städten gesprochen, elektrifiziert oder aufs eBike umgesattelt. Aber es bleibt noch eine Strecke Wegs zu gehen. Denn müssen wirklich in einer Straße kurz nacheinander die Mercedes-Sprinter und VW-Busse von drei, vier oder noch mehr Zustellfirmen anliefern? Könnte man die innerstädtische Logistik nicht anders organisieren? Getrennte Lieferung zum Stadtrand, in der Stadt gebündelt? Oder bei den Taxiflotten: Gerade hier sind häufig ältere Diesel unterwegs. Den Unternehmen müssten Anreize gegeben werden. In Nürnberg fahren 90 Prozent der Taxen für vier Unternehmen, da wären steuerliche Anreize vielleicht ein guter Weg. In Berlin sind zwar schon gut 30 Prozent mit Hybrid und mit Gas unterwegs. Aber es gibt noch sehr viele Einzelunternehmer, bei denen Steuerentlastungen für umweltfreundliche Neufahrzeuge wenig bringen. Hier wären attraktive Angebote der Hersteller oder ein direkter Zuschuss möglicherweise die bessere Option. Man muss die Förderung eben lebensgerecht ausgestalten.

Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier hat unlängst gesagt, es sei nicht unbedingt nötig, neues Geld in die Hand zu nehmen, um die Umrüstung voranzubringen. Sein Vorschlag: Umlenken bereits vorhandener Mittel aus der Förderung für E-Mobile, die gar nicht abfließen.

Das sehe ich positiv, das sollte man durchaus erwägen. Was die Förderung aus Sicht der Städte betrifft, ist aber eines klar: Es ist insgesamt zu wenig Geld im System für die Neuorientierung des öffentlichen Verkehrs in Deutschland. Der Umbau des Personennahverkehrs braucht mehr Mittel. Im Moment liegen wir bei etwa 1,6 Milliarden Euro von Bund und Ländern.  Eine Milliarde Euro mehr würde viel bewegen. Zum Beispiel für die gute alte Straßenbahn, die elektrisch fährt, also wieder ganz modern ist. Wenn Bund und Länder jetzt beschließen würden, über einige Jahre hinweg deutlich mehr Geld bereitzustellen, dann würde in den Kommunen auch mehr geplant und umgesetzt. Ohne diese Aussicht aber macht das niemand.

Die Bilanz der großen Koalition in Berlin – wie schaut die aus Ihrer Sicht aus?

Man hat der Autoindustrie einfach zu viel geglaubt. Die nächste Bundesregierung muss hier deutlich kritischer werden. Ich meine, dass die technologischen Fertigkeiten der deutschen Industrie reichen, um in allen Städten die Überschreitung von Grenzwerten bei Dieselfahrzeugen verhindern zu können. Vor vielen Jahren gab es die Klage über den sauren Regen. Darüber redet man nicht mehr, das Problem hat man technologisch in den Griff bekommen.

In Frankreich und Großbritannien machen die Regierungen mit Verbotsfristen Druck: Keine Verbrennungsmotoren mehr ab 2040. Die Grünen sind der Ansicht, das sei schon 2030 nötig. Teilen Sie diesen Ansatz?

Mir geht es eher um das Hier und Jetzt. Die Stickoxid-Belastung haben wir heute. Die muss schneller und wirksamer eingedämmt werden, und es kann schneller gehen. Im Übrigen ist der Schadstoffausstoß nicht die einzige Herausforderung. In Nürnberg sind jeden Tag 500.000 Fahrzeuge in Bewegung, die Hälfte davon kommt von außerhalb. Wenn die alle einmal geringere Emissionswerte haben, ist damit das Platzproblem in der Stadt noch nicht gelöst. Die Umrüstung von Dieselfahrzeugen ist nur ein Teil der Aufgabe.

Ulrich Maly ist seit 2002 Oberbürgermeister von Nürnberg. Der SPD-Politiker war von 2013 bis 2015 auch Präsident des Deutschen Städtetags.

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