Ein Jahr nach Russlands Eingreifen: Syrien zerfällt - und die Welt schaut zu
Vor genau einem Jahr hat Russland damit begonnen, militärisch in den syrischen Bürgerkrieg einzugreifen. Heute ist das Land weiter denn je von einer friedlichen Zukunft entfernt.
Die Gewalt in Syrien ist in den vergangenen Tagen noch einmal heftig eskaliert. Genau ein Jahr nach Russlands militärischem Eingreifen in den Syrienkrieg macht sich das vor allem in Aleppo bemerkbar: Seit Jahren ist die Stadt, die als Bastion des Aufstands gegen Machthaber Baschar al Assad gilt, heftig umkämpft. Doch einen Bombenhagel wie derzeit hat die einstige Wirtschaftsmetropole noch nicht erlebt. Das Land ist weiter denn je von einer friedlichen Zukunft entfernt.
Aktivisten in Aleppo berichten von Dutzenden Luftangriffen durch russische und syrische Kampfjets – Tag für Tag. Krankenhäuser sind ebenso Ziele wie am Donnerstag Bäckereien. Zum Einsatz kommen dabei laut Beobachtern auch weltweit geächtete Waffen wie Streu-, Brand- und Fassbomben. Mehrere hundert Menschen sollen seit dem Ende der ohnehin brüchigen Waffenruhe vor elf Tagen bereits ums Leben gekommen sein, darunter auch viele Kinder. Die Fluchtwege für Zivilisten sind Berichten zufolge blockiert.
Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama verurteilten die Angriffe als "barbarisch". Nach Angaben des Weißen Hauses telefonierten die Politiker am Donnerstag miteinander und waren sich dabei einig, dass die Regierungen in Damaskus und Moskau eine "besondere Verantwortung tragen, die Kämpfe in Syrien zu beenden".
Ziel der Offensive des Regimes ist es, das weitgehend zerstörte Aleppo vollständig zurückzuerobern. Noch werden einige Viertel im Osten der Stadt von radikalislamistischen wie nichtislamistischen Milizen beherrscht. Dort sollen schätzungsweise 300.000 Menschen unter katastrophalen Bedingungen ausharren. Lebensmittel, Trinkwasser, Medikamente – in den belagerten und von jeder Hilfe abgeschnittenen Bezirken mangelt es an allem.
Gelänge es den regierungstreuen Einheiten, zu denen die vom Iran unterstützte libanesisch-schiitische Hisbollah gehört, Aleppo einzunehmen, könnte Assad so seinen Gegnern einen entscheidenden Stoß versetzen.
Alle wichtigen Städte des Landes wären dann wieder unter Kontrolle des Regimes. Assad hatte mehrfach klargemacht, dass er an einer politischen Lösung des Konfliktes nicht interessiert ist – auch weil er sich durch Moskaus massive Unterstützung militärisch im Vorteil sieht. „Es gibt keine Aussichten für eine politische Lösung. Das letzte Wort muss auf dem Schlachtfeld gesprochen werden“, sagte Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah jüngst. Die Genfer Friedensgespräche sind inzwischen ausgesetzt.
USA drohen Assad und Putin mit der Unterstützung von Rebellen
Die Diplomatie scheint ohnehin vorerst am Ende. Bundeskanzlerin Angela Merkel telefonierte am Donnerstag ergebnislos mit dem russischen Präsidenten Putin. Russland und die USA liegen seit Wochen in Sachen Syrien über Kreuz. Wie in Zeiten des Kalten Kriegs misstrauen sich beide Großmächte.
Die Gespräche werden von tiefen Differenzen und gegenseitigen Vorwürfen dominiert. US-Außenminister John Kerry sagte am Donnerstag, die Verhandlungen stünden kurz vor einem Abbruch. Ihre Fortsetzung sei angesichts der Bombardements auf Aleppo irrational, sagte Kerry und drohte mit der Aufrüstung der Assad-Gegner.
Laut „Wall Street Journal“ könnte Verbündeten in der Region wie der Türkei oder Saudi-Arabien erlaubt werden, Rebellen etwa mit Flugabwehrsystemen auszurüsten. Der Kreml reagierte mit der Ankündigung, die Luftangriffe fortsetzen zu wollen, „um den Anti-Terror-Kampf der syrischen Truppen zu unterstützen“. Man sei nur zu einer zweitägigen Feuerpause bereit, sagte Vizeaußenminister Sergej Rjabkow. Eine längere Ruhe könnten „terroristische Kräfte“ nutzen, um sich neu zu gruppieren. (mit AFP)
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