Cyril Ramaphosa: "Südafrika gehört allen, die darin leben"
Nelson Mandela sah in Cyril Ramaphosa seinen Nachfolger. 28 Jahre später ist dieser tatsächlich Staatschef – und der neue Hoffnungsträger.
Nelson Mandela betritt den Balkon des alten Rathauses in Kapstadt. Es ist der 11. Februar 1990. Zehntausende Menschen, schwarz und weiß, jubeln ihm zu. Dann hält der Freiheitskämpfer und spätere Friedensnobelpreisträger seine erste Rede als freier Mann. Neben ihm, unscheinbar, hält ein Mann das Mikrofon für ihn. Das Bild kursiert durch die Weltpresse. Genau 28 Jahre später steht dieser Mann erneut auf dem Balkon, um an Mandelas Freilassung zu erinnern – und wird vier Tage später selbst zum Präsidenten ernannt. Wer ist Cyril Ramaphosa?
Es ist kein Geheimnis, dass Mandela Ramaphosa, einst Aktivist und heute Millionär, als seinen Nachfolger einsetzen wollte. Beobachter bezeichnen den jetzt 65-jährigen Ramaphosa gar als „politischen Ziehsohn“ des Nationalhelden. Die damalige ANC-Führung entschied sich aber für einen anderen Kandidaten; Ramaphosa zog sich enttäuscht zurück.
Doch 2018 ging Mandelas Wunsch posthum in Erfüllung: Ramaphosa ist seit Februar neuer Staatschef des Landes, und tatsächlich erlebt Südafrika unter ihm wieder „Mandela Magic“ – jenen Zauber, der sich nach den ersten freien Wahlen 1994 über das Land gelegt hatte und den Südafrikanern Zuversicht gab.
"Ich möchte mit anpacken. Schickt mich."
Ramaphosa kennt die Probleme des Landes. Investoren vertrauen ihm. Bei seiner ersten Rede im Parlament zitierte er wiederholt die Worte des verstorbenen Jazzsängers Hugh Masekela: „Ich möchte mit anpacken. Schickt mich.“ Damit sendete er die Botschaft: Er will ein Diener sein und kein Raubritter wie sein Vorgänger. „Ja, es gibt verbindende Elemente zwischen Mandela und Ramaphosa“, bestätigt Anthony Butler, Politprofessor an der Uni Kapstadt und Ramaphosa-Biograph. „Sie teilten sich nach der Apartheid die Aufgabe, eine neue Verfassung zu verhandeln. Wie Mandela, ist auch Ramaphosa ein zielstrebiger Versöhner, der rivalisierende Gruppen und Personen zusammenbringt.“ Das wurde einmal mehr vergangenen Monat sichtbar, als Ramaphosa vor den Mitgliedern des „Afrikanerbonds“ sprach, einer Organisation von konservativen Buren. „Wie jede andere Gemeinschaft seid ihr fester Bestandteil der südafrikanischen Nation“, versicherte er den weißen Nationalisten. Die lobten den neuen Präsidenten, zumal die „Zeit politisch unsicher“ sei.
In der vermeintlichen Regenbogengesellschaft sind die Volksgruppen heute polarisiert wie nie zuvor seit 1994. Ramaphosa zeigte sich vor Kurzem „besorgt“ über die angespannte Beziehung und sparte nicht mit Selbstkritik: „Wir haben festgestellt, dass der ANC über die Zeit etwas von seinem farbenblinden Charakter verloren hat. Den müssen wir wiederbeleben, sodass er wieder ein Zuhause für alle Bürger ist.“ In Bezug auf die zahlreichen Ethnien in dem Vielvölkerstaat rief der als Hoffnungsträger geltende Politiker ein altes Motto der Regierungspartei in Erinnerung und betonte: „Südafrika gehört allen, die darin leben.“
Den Menschen geduldig zuzuhören, hat er vom Vater gelernt
Die Tatsache, dass Ramaphosa auf den afrikanischen Nationalismus und die rassistischen Untertöne seines Vorgängers Jacob Zuma verzichtet, gründet möglicherweise in seiner Kindheit. In den South Western Townships (Soweto) wuchs er in unmittelbarer Nähe zur Wirtschaftshochburg Johannesburg auf. Mutter und Vater, ein pensionierter Polizist, waren beliebt in ihrer Gemeinde. „Die Geduld, den Menschen zuzuhören und ihre Probleme zu lösen, habe ich von meinem Vater erlernt“, erzählte Ramaphosa später.
Als Jugendlicher trat er der Studentenbewegung bei, absolvierte wie Mandela ein Jurastudium – und wurde wie er für seinen Aktivismus, zumindest vorübergehend, von der Apartheid-Polizei eingesperrt. 1982 gründete Ramaphosa die „Nationale Gewerkschaft der Bergarbeiter“ . Als Gewerkschaftsführer verhalf er dem bis heute mächtigen Gewerkschaftsbund Cosatu zum Aufstieg. 1991 wurde er Generalsekretär des ANC. Dass er 1997 die Politik verließ, um in der Privatwirtschaft Karriere zu machen, nehmen ihm heute noch einige Südafrikaner übel. Er habe seine Wurzeln vergessen, urteilten Kritiker und er habe die Arbeiter verraten. Tatsächlich wurde Ramaphosa als Vorsitzender mehrer Konzerne, darunter McDonald's, zu einem der reichsten Männer im Staat. Trotzdem nennt Gareth van Onselen, Politologe am Kap, die Vorwürfe gegen den Großunternehmer ein „Klischee“: Ein „Mann des Volks“ zu sein, trage populistische Züge. Dem gegenüber stünden Politiker, die von der Not der Bürger angespornt werden und diese bekämpfen. Ramaphosa sei also ein Politiker der Mitte und weniger ein Sozialist.
Seine Unkorrumpierbarkeit ist Ramaphosas größter Triumph
Jedenfalls bleibt Ramaphosa ein Freund der Menge. Nur wenige Stunden nach seiner Ernennung zum Präsidenten tauchte er im Kapstädter Hafen- und Vergnügungsviertel Waterfront auf – zum Abendessen. Regelmäßig walkt er in den Morgenstunden die Uferpromenade der Parlamentshauptstadt entlang. Zwischen Johannesburg und Kapstadt fliegt er immer wieder in der Economy Class. Ungestört unters Volk mischen: Noch zu Jahresbeginn wäre dies für den Staatschef undenkbar gewesen. Doch Ramaphosa gehörte eben nicht zu jener korrupten Politelite, die sich unter den Augen des Skandalpräsidenten Zuma auf Staatskosten bereicherte. Seine Unkorrumpierbarkeit ist Ramaphosas größter Triumph. Zugleich aber bietet sie die größte Angriffsfläche. Denn immer noch umgibt sich Ramaphosa – trotz Wechseln im Kabinett – mit jenen fragwürdigen Politikern, die das alte, habgierige Regime und Vetternwirtschaft repräsentieren. Den umstrittenen David Mabuza erbte er als Vizepräsident. Zumas Ex-Frau Nkosazana Dlamini-Zuma ernannte er zur Ministerin. Dass korrupte Politiker heute in den höchsten Ämtern der Regierung und des ANC sitzen, nennt die Organisation Corruption Watch „nicht gerade vielversprechend“. Und auch Politologe van Onselen mäkelt: Ramaphosa habe an Ansehen eingebüßt, da er bei seinem Führungskader zu viele Kompromisse einging.
Eine Million Jugendliche sollen bezahlte Praktika erhalten
Für die 13 Prozent der Südafrikaner, die in Townships leben, die 27 Prozent ohne Job und die 55 Prozent unter der Armutsgrenze, lautet das Gebot der Stunde aber weiterhin: „Ramaphoria“! Das ist ein Hybrid aus Ramaphosas Namen und Euphorie, der die derzeitige Stimmung in Südafrika beschreibt. Wie Mandela gibt Ramaphosa nach einer verlorenen Dekade wieder Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit will er durch den neu gegründeten „Youth Employment Service“ bekämpfen: Eine Million Jugendliche sollen durch das Programm in den nächsten drei Jahren bezahlte Praktika erhalten. Der Opposition, zerstritten und im Selbstverteidigungsmodus, macht Ramaphosa durch solche Aktionen das Leben schwer. Ramaphosas Sieg bei den Wahlen 2019 gilt als wahrscheinlich. Dann könnte er in seine erste volle Amtszeit starten. Allerdings: Wie schon Mandela droht auch Ramaphosa zum Feuerwehrmann zu werden, der allein gegen viele Brandherde ankämpft. Arbeitslosigkeit, die Radikalisierung von links und rechts, die geplanten Landenteignungen – sie drohen in Südafrika zum Flächenbrand auszuarten. Um diese Flammen zu bezwingen, braucht Ramaphosa eine starke Mannschaft, auf die er sich verlassen kann. Schafft er es, die Spuren des Vorgängerregimes zu verwischen – Korruption, Willkür, Stillstand –, dann könnte Ramaphosa Südafrika tatsächlich den erhofften wirtschaftlichen und politischen Frühling bescheren. Und die Arbeit seines Ziehvaters Mandela endlich fortsetzen.
Markus Schönherr