Debatte um die Amtsenthebung von Donald Trump: Sturz ins offene Messer?
Die US-Demokraten starten das Impeachment. Trumps Strategen jubeln. Ist es richtig, die Amtsenthebung des umstrittenen Staatschefs anzustreben? Ein Kommentar.
Tag Neun in der öffentlichen Debatte um die Ukraine-Affäre des amerikanischen Präsidenten. Die belastende Gesprächsmitschrift ist draußen, der Bericht des Whistleblowers, der die ganze Sache ins Rutschen brachte, auch.
Weitere Details sind hinzugekommen: Donald Trump hat offenbar zunächst versucht, die Berichte in einem digitalen Giftschrank verstecken zu lassen. Und er fordert die Behörden auf, den Mann wie einen Verräter zu behandeln, wie einen Spion, was in den Vereinigten Staaten die Todesstrafe bedeuten könnte.
Die Fakten liegen in aller Klarheit auf dem Tisch: Der US-Präsident hat versucht, seinen frisch gewählten ukrainischen Kollegen Wolodymyr Selenksyj zu Wahlkampfzwecken zu instrumentalisieren. Ein neues Korruptionsverfahren in Kiew, so hoffte Trump offenbar, sollte Trumps schärfsten Rivalen Joe Biden und seinen Sohn Hunter Biden diskreditieren – bislang gibt es für ein Fehlverhalten Bidens oder seines Sohnes keine Anhaltspunkte.
Ein dubioses Unterfangen, das zweifelsohne als Machtmissbrauch gewertet werden kann. Aber ist es Grund genug, ein Amtsenthebungsverfahren gegen einen amtierenden Präsidenten in Gang zu bringen? Die Amtsenthebung ist schließlich ein Akt, der das Ergebnis der wichtigsten Wahl des Landes annulliert - und damit der größtmögliche Eingriff in den demokratischen Prozess.
Die demokratische Parlamentssprecherin Nancy Pelosi weiß das und hat deshalb in den vergangenen Monaten wacker dem Druck der Hitzköpfe aus den eigenen Reihen widerstanden, schon wegen weniger schwerwiegender Verfehlungen ein Verfahren gegen Trump zu initiieren. Hat sie jetzt richtig gehandelt, indem sie das Verfahren formal auf den Weg brachte?
Ein Impeachment hat bei gleichbleibender Belastungslage keine Aussicht auf Erfolg
Sie weiß, dass ein Impeachment bei gleichbleibender Belastungslage keine Aussicht auf Erfolg hat. Die Hürden sind zu Recht hoch, zwei Drittel der amerikanischen Senatoren müssen zustimmen - aussichtslos bei den bisherigen Mehrheitsverhältnissen. Sie weiß, dass es anders als bei den vorherigen Amtsenthebungsverfahren gegen die Präsidenten Nixon und Clinton keinerlei Unterstützung aus dem gegnerischen Lager geben wird und deshalb der zur Legitimation eines so schwerwiegenden Eingriffs nötige parteiübergreifende Wille fehlen wird.
Sie weiß, dass dieses Verfahren deshalb von den Anhängern Trumps als ein weiterer Versuch gewertet wird, ihren Helden unter Umgehung des Wählerwillens aus dem Amt zu drängen. Sie weiß also, dass sie mit der Einleitung des Verfahrens ein verdammt hohes Risiko eingeht.
Wer das in der Herzkammer der amerikanischen Demokratie tut, sollte sich seines Erfolges ziemlich sicher sein. Doch derzeit scheint nur der Misserfolg sicher. Und deshalb jubeln Trumps Strategen: Sie haben ihre Gegner, so sehen sie es, in eine ausweglose Situation gebracht.
Aus strategischer Sicht könnte der Schritt der Demokraten also aussehen wie der Sturz ins offene Messer. Aber müssen Politiker immer strategisch handeln? Politiker, die sich gegen ihrer eigene Klientel stellen, um damit dem Wohl des Landes oder einer größeren Sache zu dienen, haben Chancen, sich längerfristig großen Respekt zu erwerben. So war es, als der damalige Außenminister Joschka Fischer seine pazifistische Partei davon überzeugte, dass es richtig war, im mörderischen Kosovo-Krieg einzugreifen.
Pelosi hat sich ihrer Klientel ergeben
In Washington allerdings hat sich Pelosi ihrer Klientel ergeben. Die empörten Demokraten sehen endlich die Gelegenheit, dem verhassten Amtsträger vor der nächsten Wahl massiven Schaden zuzufügen, wenn schon das Verjagen nicht funktionieren sollte.
Klar ist, dass die Republikaner den damaligen Präsidenten Clinton, der bei ihnen ähnlich unbeliebt war wie Trump bei seinen Gegnern heute, bei einem solchen Vorfall mit lautem Geschrei am Säulenportal des Weißen Hauses gelyncht hätten.
Doch die Zeiten haben sich verändert, die politische Nulllinie zwischen Republikanern und Demokraten hat sich in Amerika weit nach rechts verschoben. 45 Prozent aller Amerikaner befürworten jetzt die Amtsführung ihres Präsidenten – trotz aller menschlichen Abgründe, trotz Trumps Rassismus, seinen moralischen Fehltritten und den Verächtlichmachungen von Andersdenkenden.
Viele Experten sehen in Trumps Verhalten keinen klaren Rechtsverstoß
Viele amerikanische Rechtsexperten sehen im Verhalten des US-Präsidenten zudem keinen klaren Rechtsverstoß. Die exekutive Gewalt des Staatsführers ist anders als in Deutschland sehr weit gefasst. Wohl aber liegt in Trumps Agieren - mal wieder - ein dem Amt des Präsidenten völlig unangemessenes Verhalten.
Eine Amtsenthebung kann nur dann legitimiert sein, wenn sie von einer breiten Basis der Entscheidungsträger - und Wähler - getragen wird. So war es bei Nixon und selbst das schlussendlich gescheiterte Verfahren gegen Clinton wegen Meineides im Amt wurde von etlichen seiner früheren Anhänger unterstützt. Das Verfahren gegen Trump dagegen, das dritte in der US-Geschichte, wird das politischste werden, gerade weil ein klarer Rechtsbruch fehlt.
Und dennoch: Das liberale Amerika ist empört wie nie zuvor. Die Amtsführung des Präsidenten sprengt alle Maßstäbe, an denen sich ein großer Teil der Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten entlang bewegt hat. Während die Mueller-Untersuchung in ihrer Abstraktheit schwer vermittelbar war und keine klaren Ergebnisse hervorbrachte, liegt diesmal ein eindeutiges Verhalten Trumps vor, das von vielen als unamerikanisch und unethisch gesehen wird. Es ist der Höhepunkt einer ganzen Reihe von Amtsverfehlungen. Nancy Pelosi konnte nicht anders, als diesmal dem Willen ihrer demokratischen Abgeordneten zu folgen.
Krachende Niederlage oder Aktivierung der eigenen Klientel - beides ist jetzt möglich
Das Ergebnis könnte eine krachende Niederlage nach formaljuristischen Kriterien sein, mitten im sich aufheizenden Wahlkampf. Es könnte aber auch etwas sein, von dem die Republikaner bei ihrem ebenfalls gescheiterten Verfahren Ende der Neunziger Jahre gegen Präsident Clinton profitiert haben: Ein neues Momentum, eine neue Besinnung auf die eigenen Grundwerte, eine kraftvolle Selbstvergewisserung und schließlich eine machtvolle Aktivierung der eigenen Klientel, die schlussendlich zum Wahlsieg führen könnte.
Das Verfahren dient dann zwar möglicherweise nicht der Amtsenthebung, aber der Abwahl von Donald Trump. Auf einen neuen Kurs bringen kann das Land ohnehin kein politisches Machtspiel in Washington, sondern nur die Mobilisierung der Gesellschaft.