Deutsch-italienisches Treffen in unruhiger Zeit: Steinmeier gedenkt NS-Verbrechen von 1944
Der Bundespräsident trifft Italiens Präsidenten am Ort eines SS-Massakers. Derlei Vergangenheitspolitik hat inzwischen Tradition. Praktische Folgen fehlen.
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Wenn Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an diesem Sonntag in Italien eintrifft, dann kommt er in ein Land ohne Regierung. Und ironischerweise hat der Rücktritt der Regierung Conte am Dienstag nicht wenig mit jener tiefschwarzen deutsch-italienischen Vergangenheit zu tun, an die Steinmeier und sein italienischer Kollege Sergio Mattarella erinnern wollen. Mattarella übrigens ist jetzt, da die Parteien in Rom neue Allianzen schmieden müssen, gerade Italiens politisches Kraftzentrum.
Nicht wenige sahen in den 14 Monaten, in denen der rechte Innenminister Matteo Salvini fast ungehindert agierte, einen neuen Faschismus aufziehen. Dass Salvini schließlich wie einst Diktator Mussolini „uneingeschränkte Vollmachten“ für sich forderte und das Ende der Regierung provozierte, war dann doch zu viel für die Koalitionspartnerin, die Bewegung „Fünf Sterne“, und deren Premier Giuseppe Conte.
Steinmeiers Besuch in der Gemeinde Fivizzano nordöstlich von La Spezia steht in einer anderen, deutlich kürzeren Tradition. Hochrangiges deutsches Gedenken an die südwesteuropäischen Opfer der NS-Besatzung begann erst vor etwa zwei Jahrzehnten. 2002 besuchte der damalige Bundespräsident Johannes Rau erstmals den Ort eines der zahllosen NS-Massaker während der deutschen Besatzung Italiens, nachdem er zuvor nach Kalavryta in Griechenland gereist war.
In Marzabotto, einem Flecken nicht weit von Bologna, massakrierte Ende September, Anfang Oktober 1944 eine SS-Einheit Hunderte Zivilisten, vom Kind bis zur Greisin. Ihr Anführer Walter Reder hatte die Parole ausgegeben, auf jedes menschliche Wesen zu schießen.
Was in Marzabotto geschah, so der Freiburger Militärhistoriker Gerhard Schreiber, der die Geschichte deutscher Kriegsverbrechen in Italien Mitte der 1990er Jahre als erster insgesamt erforschte und ein Buch darüber veröffentlichte, "verlieh dem wahren Charakter deutscher Besatzungsherrschaft beispielhaft Ausdruck, ihrer Gewalttätigkeit und der Geringschätzung italienischen Menschenlebens”.
In den nur 20 Monaten zwischen dem 8. September 1943, als Italien aus dem Krieg austrat und von der Verbündeten zum deutschen Besatzungsgebiet wurde, und dem 2. Mai 1945, als Hitlerdeutschland in Italien kapitulierte, brachten deutsche Truppen mehr als 9000 Zivilisten um, Männer, Frauen wie Kinder. Eine von den beiden Außenministerien eingesetzte deutsch-italienische Historikerkommission kam 2012 sogar auf 10- bis 15.000 Tote.
Keine Entschädigung
Nach Marzabotto gab es immer wieder Besuche an Schauplätzen solcher Massaker: Bundespräsident Joachim Gauck besuchte 2013 Sant’Anna di Stazzema in der Toskana, Steinmeier selbst gedachte als Außenminister 2008 in der Risiera di San Sabba in Triest der Ermordeten und Verfolgten dieses einzigen deutschen KZ auf italienischem Boden. Was alle diese Besuche verband: Es blieb bei Bedauern und Entschuldigungen.
Die Forderungen überlebender Verfolgter und ihrer Familien nach einer – wenigstens symbolischen – Entschädigung trafen stets auf ein deutliches deutsches Nein. Als fünf Jahre nach Raus Besuch acht der Täter von Marzabotto von einem italienischen Gericht verurteilt wurden, lieferte Deutschland sie nicht aus, weil die Urteile in Abwesenheit ergangen waren. Zuvor waren NS-Täter stets durch das Verbot der Auslieferung von Deutschen ans Ausland geschützt gewesen.
Jahrzehntelang waren die Leiden der westeuropäischen Opfer des NS-Krieges im Schatten der europäischen Integration tabuisiert, und auch im Auswärtigen Amt taten Diplomaten und Beamte, die bereits vor 1945 dort eine Rolle gespielt hatten, alles, damit es dabei blieb. Das Thema sei unerwünscht gewesen, erinnerte sich der frühere deutsche Generalkonsul in Mailand Manfred Steinkühler, ein langjähriger Kritiker dieser Praxis, vor Jahren im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Die Kollegen in Rom unternahmen ebenfalls wenig bis nichts gegen deutsche Täter. Erst 1994, als Italiens Erste Republik im Schmiergeldsumpf unterging, öffnete sich jener “Schrank der Schande”, in dem die Militärstaatsanwaltschaft in Rom jahrzehntelang Beweise gehortet - und vergessen - hatte.
Für die Hoffnung der Überlebenden auf Entschädigung schien sich vor 20 Jahren noch einmal ein Fenster zu öffnen, als Deutschland auf massiven Druck aus Washington den osteuropäischen Zwangsarbeitern für ihre Sklavenarbeit einen Ausgleich zahlte. Doch Berlin war entschlossen, das Kapitel Entschädigungen abzuschließen, und verweigerte deren italienischen Leidensgenossen eine gleiche Anerkennung. Auch als italienische Gerichte den Opfern Recht gaben und dafür sogar die Beschlagnahme deutschen Staatsbesitzes in Italien verfügten, konnten sie sich nicht durchsetzen.
Auch in Italien wenig Interesse an der Vergangenheit
Der Internationale Gerichtshof in Den Haag verfügte 2012 auf eine Klage Deutschlands, dass Privatpersonen Staaten nicht vor Gericht ziehen können. Offen unterstützt wurde Berlin damals, wie im Stillen bereits all die Jahre zuvor, von der Regierung in Rom. Auch sie musste ein mögliches Ende der sogenannten Staatenimmunität fürchten: Die faschistische Terrorherrschaft in Libyen und der früheren Kolonie Abessinien hätte andernfalls der Republik Italien ebenfalls hohe Entschädigungszahlungen an die Opfer eingetragen. Eine Entscheidung von Italiens Verfassungsgericht blieb bisher folgenlos: Es stellte 2016 fest, dass die Staatenimmunität im Falle von Verbrechen gegen die Menschheit nicht gilt.
Die öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema ist derweil gering: Francesca Melandris großer Roman über die Geschichte – und Gegenwart - von Italiens Gaskrieg und Unterdrückung am Horn von Afrika, “Alle außer mir”, verkaufte in Deutschland bis jetzt 70.000 Exemplare. Im italienischen Original waren es nach Verlagsangaben deutlich unter 10.000.
So dürfte der Besuch im toskanischen Fivizzano am Wochenende der womöglich reibungsloseste seit Raus Premiere vor 17 Jahren werden. Deutschland sieht die Frage tätiger Verantwortung ohnedies als erledigt an, und Italien hat, wieder einmal, andere Sorgen. In Fivizzano, einem Verwaltungsagglomerat aus sieben Dutzend Kleinstdörfern in der Provinz Massa-Carrara, werden Steinmeier und Mattarella an einem weiteren Schauplatz des Wütens von Walter Reders SS-Horden stehen. Deren Brutalität kostete allein dort etwa 170 Zivilpersonen das Leben. Das Blutbad ging wegen der hohen Zahl ermordeter Kleinkinder als „Massaker der Unschuldigen“ in die Geschichtsbücher ein.
Fünf deutsche Soldaten im Widerstand - das zweite Gedenken an diesem Sonntag in Italien
Gleichzeitig mit Fivizzano findet in Italien am Sonntag ein weiteres bilaterales Gedenken statt: Auf dem deutschen Soldatenfriedhof Costermano bei Verona wird an fünf deutsche Soldaten erinnert, die die Wehrmachtsjustiz, ebenfalls vor 75 Jahren, im August 1944, hinrichten ließ. Die Feier, die der Verband der italienischen Partisanen ANPI, die nationalen Forschungsstätten über die Resistenza und die Gemeinde Albinea ausrichten - dort waren die fünf stationiert - erinnert an Hans Schmidt, Erwin Schlünder, Martin Koch, Karl-Heinz Schreyer und Erwin Bucher.
Die Gruppe wollte sich den Partisanen der Gegend anschließen. Ihr Kopf, der 29-jährige Funker Schmidt, der aus Berlin-Treptow stammte und Sozialist war, hatte bereits Kontakt zur Resistenza aufgenommen. Sie wurden in der Nacht zum 26. August 1944 entdeckt, Schmidt und Bucher wurden sofort erschossen, die übrigen drei in den nächsten Tagen. Seit mehr als 20 Jahren sind Albinea, etwa 80 Kilometer entfernt von Bologna, und Treptow, wo Schmidts einzige Tochter Eva bis zu ihrem Tod vor wenigen Monaten lebte, in einer Städtepartnerschaft verbunden.