Der Verteilungsstreit beginnt: Sprengen die Sozialausgaben den Bundeshaushalt?
Die Regierung hat den Haushalt 2020 und die neue Finanzplanung auf den Weg gebracht. In den Mittelpunkt gerät das Soziale. Hier die wichtigsten Punkte.
Das große Werk ist auf dem Weg. Das Kabinett hat am Mittwoch die Eckwerte für den Bundeshaushalt 2020 beschlossen, die Finanzminister Olaf Scholz (SPD) vorgelegt hat. Es wird also am „Schicksalsbuch der Nation“ weitergeschrieben – es war der sozialdemokratische Finanzpolitiker Kurt Heinig, der den Staatshaushalt vor 70 Jahren so umschrieben hat (wobei natürlich die Länderhaushalte und auch die kommunalen Etats in dieses Schicksalsbuch gehören).
Die nächsten Kapitel werden spannender als jene der vergangenen Jahre, die vor allem davon erzählen, wie glücklich ein Finanzminister in Zeiten üppig fließender Steuereinnahmen sein kann, in denen es sogar Überschüsse gab. Nun lautet die nächste Kapitelüberschrift: „Das Wetter schlägt um.“ Die Wirtschaft wächst nicht mehr so üppig.
„Wir haben eine Delle“, sagte Carsten Schneider, der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, „und jetzt ist die Frage, ob aus der Delle wieder ein Aufschwung wird.“ Aber vorerst beschäftigt eine andere Frage die Koalition: Gibt der Bund zu viel für Soziales aus?
Wie sehen der Etat für 2020 und die Finanzplanung aus?
362,6 Milliarden Euro sollen die Bundesministerien im kommenden Jahr ausgeben können – ein Plus von 1,7 Prozent gegenüber 2019. Zuletzt waren die Etats deutlich stärker gewachsen. Nach 2020 werden die Zuwächse aber noch geringer ausfallen. Die Verteilungskämpfe in der Koalition werden zunehmen, die Spielräume werden kleiner. Vorerst müssen sich die Minister zwar noch nicht beklagen, denn 2020 können fast alle Ressorts noch mehr ausgeben als zuvor.
Lediglich die zuletzt deutlich besser gestellten Ministerien für Bildung und Entwicklung stagnieren. Doch der Blick in die deutlich enger gestrickte Finanzplanung macht deutlich, worauf sich der Budgetstreit in der Groko konzentrieren wird: Zum Konfliktthema werden zunehmend die Sozialausgaben werden.
Wie ist die Entwicklung im Haushalt?
Vordergründig wird zunächst um die im Koalitionsvertrag vereinbarte Grundrente gestritten – „Respekt-Rente“ heißt sie bei der SPD, die CSU hat ihr Konzept „Rentenrettungsschirm“ genannt, die CDU wartet noch ab. Der von Arbeitsminister Hubertus Heil vorgelegte sozialdemokratische Vorschlag einer Art Mindestrente für Geringverdiener, die viele Jahre gearbeitet und dennoch nur eine Mini-Rente haben, läuft wohl auf ein Ausgabenplus von fünf bis sechs Milliarden Euro hinaus.
Das bestätigte Scholz am Mittwoch, als er die Schätzung „hochgradig plausibel“ nannte. Der CSU-Vorschlag würde Mehrausgaben in Höhe von 600 Millionen Euro verursachen. Ob die Summe – mutmaßlich irgendwo dazwischen – schon 2020 haushaltswirksam wird, werden die Koalitionsgespräche zeigen.
In jedem Fall wachsen die Sozialausgaben des Bundes dann aber stärker, als in der mittelfristigen Finanzplanung aktuell vorgesehen. Und in dieser Vorausschau bis 2023, die Teil des Haushaltsgesetzes ist, steckt der eigentliche Sprengstoff. Nach der Kabinettsvorlage von Scholz wird der Einzeletat des Sozial- und Arbeitsministeriums bis 2023 deutlich zulegen, während das Plus bei anderen Ressorts eher schmal ausfällt. Wenn sie überhaupt eines haben. Denn einige Minister sind mit stagnierenden Ausgaben konfrontiert (etwa Verkehr und Gesundheit), andere fallen sogar zurück (so die Ministerien für Inneres, Wirtschaft, Verteidigung und Entwicklung).
Insgesamt steigen die Sozialausgaben des Bundes über alle Ministerien hinweg von derzeit 179,5 Milliarden Euro auf knapp 200 Milliarden Euro bis 2023. Lag der Anteil seit Jahren bei etwa 50 Prozent, mit nur sachter Tendenz nach oben, werden es nach der Finanzplanung 2023 nahezu 53 Prozent sein. Mehr als die Hälfte davon entfällt auf den Steuerzuschuss für die gesetzliche Rentenversicherung. Dazu kommen Zuschüsse zur Krankenversicherung oder familienpolitische Leistungen.
Können weitere Sozialausgaben auf den Bund zukommen?
Im Gespräch ist, dass der Bund die Kosten der Unterkunft für Langzeitarbeitslose, Sozialhilfeempfänger und Asylbewerber ganz übernimmt und damit Länder und Kommunen entlastet. Auf den Bundeshaushalt kämen dann Mehrausgaben von bis zu sieben Milliarden Euro im Jahr zu.
Zudem könnten dem Bund die Kosten der DDR-Zusatzversorgungssysteme, die 1991 in die gesetzliche Rentenversicherung übergingen, komplett zufallen – bisher zahlen die Ost-Länder einen Teil davon, wollen das aber loswerden. Scholz müsste dann nochmals bis zu drei Milliarden Euro im Jahr in den Sozialetat einplanen. Und sollten sich die Ministerpräsidenten mit dem Verlangen durchsetzen, dass der Bundeszuschuss für die Integrationskosten für Flüchtlinge nicht so stark zurückgefahren wird wie geplant, wird es auch teurer für den Bund.
Was sagen die Koalitionsparteien?
Angesichts der Entwicklung murren einige Minister der Union und deren Haushaltspolitiker. Ein dickes Plus bei Hubertus Heil, ein Minus bei Horst Seehofer, Ursula von der Leyen und Peter Altmaier – das gefällt ihnen nicht. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) hat Scholz sogar einen erbosten Brief geschrieben, weil sein Etat in der Planung von 10,2 auf 9,5 Milliarden Euro schrumpft.
Der CDU-Abgeordnete Eckhardt Rehberg wirft dem Vizekanzler vor, Scholz begebe sich „in einen Widerspruch zwischen seinen Rollen als Finanzminister und SPD- Parteipolitiker“. Die Koalition habe sich in „sehr guter wirtschaftlicher Situation“ zu viel geleistet. Nun müsse man in der Haushaltsplanung umsteuern. Rehberg hat dabei nicht zuletzt das Soziale im Blick. „Hier können wir keinem weiteren Aufwuchs zustimmen. Die Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung, wie sie die SPD fordert, ist nicht finanzierbar.“
In der SPD kommt das nicht gut an. Der SPD-Haushaltspolitiker Johannes Kahrs wies die Kritik am Etatplan von Scholz zurück. Die Unions-Minister sollten aufhören zu jammern und anfangen, in ihren Etats umzuschichten. Der Vorwurf, Scholz spare nur bei den Unions-Ressorts, ist bei einem näheren Blick ohnehin nicht haltbar. Auch alle SPD-Minister haben in der Planung für 2023 weniger Geld zur Verfügung – aber eben mit der einen Ausnahme namens Heil.
Wie lässt sich das hohe Plus bei den Sozialausgaben erklären?
Dass alle Ausgaben in der Planung geringer ausfallen als 2020, nur eben der Sozialetat nicht, hat vor allem einen Grund: Scholz musste den Haushalt 2020 auf deutlich niedrigere Wachstumsprognosen stützen, als man noch im Herbst angenommen hatte. Im Januar senkte die Regierung die wichtigste Leitzahl für die Haushaltsplanung: Statt einem Plus von 1,8 Prozent beim Bruttoinlandsprodukt vermeldete sie, dass nun für 2019 nur noch 1,0 Prozent angenommen würden.
Das war drastisch und schuf mit einem Schlag ein Haushaltsloch von jährlich fünf Milliarden Euro bis 2023. Denn ein geringeres Wachstum bedeutet geringere Steuereinnahmen, die dann in der Etatplanung automatisch fortgeschrieben werden. So musste Scholz sämtliche Zukunftsansätze erst einmal herunterfahren.
Anders hätte er das oberste Ziel der Koalition, die schwarze Null, nicht einhalten können. Und das Ziel gilt auch für die Planung bis 2023. Nur in einem Ressort ist es nicht ganz so einfach, den Schalter mal eben umzulegen. Denn die größten Posten bei den Sozialausgaben sind entweder mit einem gesetzlichen Anspruch versehen, etwa bei Grundsicherung, Mütterrente und Arbeitslosenunterstützung. Oder sie sind wegen der demografischen Entwicklung gut vorherzusagen, wie die Rentenzuschüsse. Und mit Nullrunden zu planen oder gar Kürzungen, das hätten dem Finanzminister auch die Unions-Kollegen nicht geraten.
Könnte es im Etat noch enger werden?
Scholz müsste noch tiefer eingreifen, wenn die Wachstumsprognose ein weiteres Mal gesenkt werden müsste. Dann dürften die Steuerschätzungen im Mai und November nochmals Korrekturbedarf auslösen und würde sich die Debatte zu den Sozialausgaben verschärfen. Denn der Bund steht nicht nur für einen immensen Sozialetat, sondern soll auch Motor bei der Konjunkturpolitik sein.
Zwar hat Scholz sich und die Koalition am Mittwoch dafür gelobt, dass noch keine Regierung so viel investiert habe, und dass auch die Entlastung durch die Abschaffung des Solidaritätszuschlags für 90 Prozent der Zahler im Haushaltsplan unterlegt sei. Aber mit jedem weiteren Schwächeln des Wachstums, sei es durch den Brexit oder die globalen Handelsstreitigkeiten, wird der Ruf nach mehr Investitionen und Steueranreizen lauter werden.
Carsten Schneider ermahnt daher die Koalition: „Wir müssen alles tun, damit die Binnennachfrage steigt“, sagte er dem Tagesspiegel. Und kommt dabei auch auf das Soziale zu sprechen. Die von der SPD geplante Grundrente werde dazu beitragen, die Nachfrage zu steigern. „Die 200 Euro mehr gehen nicht in die Sparquote, die werden konsumiert.“ Die Erhöhung der verfügbaren Einkommen von Haushalten mit unteren und mittleren Verdiensten sei auch konjunkturpolitisch wichtig.