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Andrea Nahles muss um ihren Job als SPD-Vorsitzende fürchten.
© imago/Udo Gottschalk

Krise der Sozialdemokratie: Spekulationen in der SPD über Nahles-Ablösung

Andrea Nahles wollte ihre Partei aus der Krise führen. Doch nach einem knappen Jahr haben viele Genossen sie bereits abgeschrieben.

Jetzt kommen die Profis – so dachten viele Sozialdemokraten, als Andrea Nahles und Olaf Scholz 2018 in der SPD die Kontrolle übernahmen. Ein knappes Jahr später ist so gut wie nichts mehr übrig von den großen Hoffnungen. Das verlässliche Regieren in der großen Koalition – erklärtes Ziel von Vizekanzler Scholz – hat sich für die Sozialdemokraten nicht ausgezahlt, dem Finanzminister wird intern „Leisetreterei“ vorgeworfen.

Noch unbarmherziger fällt das Urteil vieler Genossen über Nahles aus. Ein SPD-Spitzenmann spricht von „kompletter Ablehnung in der Partei, von wenigen Gruppen abgesehen“. Bis in die SPD-Führung hinein wird inzwischen über die Ablösung der Vorsitzenden spekuliert. Wie konnte die erste Frau an der Spitze der SPD in eine derart verzweifelte Lage geraten? Und welche Auswege gibt es für ihre Partei? Ein Überblick:

Die Bilanz

Es sind verheerende Zahlen, die der SPD-Chefin zu schaffen machen. Im Bund steckt die Partei bei rund 15 Prozent fest, in Bayern liegt sie gerade noch bei sechs Prozent. Bei der Europawahl im Mai droht die Sozialdemokratie halbiert zu werden und selbst die Genossen-Hochburg Bremen wackelt. Zwei Landtagswahlen gingen bereits unter Nahles’ Führung verloren – mit 9,7 Prozent in Bayern und 19,8 Prozent in Hessen.

Am Ausmaß dieser Niederlagen trägt Nahles eine Mitschuld. Denn kurz zuvor unterliefen ihr schwerste handwerkliche Fehler beim Krisenmanagement im Fall Maaßen. Der umstrittene damalige Chef des Verfassungsschutzes sollte nach dem Willen der SPD seines Postens enthoben werden. Um das zu erreichen, stimmte Nahles seiner Beförderung zum Staatssekretär zu. Partei und Wähler liefen Sturm, die Entscheidung musste zurückgenommen werden. Seither ist Nahles schwer angeschlagen.

Die Distanz

„Das sind Amateurfehler“ – ein Satz genügte Altkanzler Gerhard Schröder, um am Wochenende im „Spiegel“ die vielleicht größte Schwäche von Nahles zum Thema zu machen: ihre Neigung zu überdrehten Auftritten und missratenen Formulierungen. Schröder nahm den Auftritt von Nahles beim Bundesparteitag vor einem Jahr als Beispiel. Damals hatte sie für ein Ja zur großen Koalition geworben, das für die Union teuer werde: „Die SPD wird gebraucht. Bätschi, sage ich dazu nur!“ Solche Szenen bleiben hängen.

Das Hauptproblem sei Nahles’ Auftreten und Image in der Öffentlichkeit, heißt es in der Partei. Statt mitzureißen, schrecke sie Genossen und Wähler ab. Bundestagsabgeordnete berichten aus ihren Wahlkreisen, die Basis habe deshalb mit der Vorsitzenden abgeschlossen.

Die Klausur als Chance

Rechtzeitig vor der Europa- und Bremenwahl hofft die Parteiführung, auf einer Vorstandsklausur am Wochenende das Ruder herumzureißen. Bei dem Treffen wollen die Spitzengenossen das sozialdemokratische Image der Partei wiederbeleben. Mehr Sozialstaat, Hartz IV hinter sich lassen, höhere Renten für Geringverdiener – mit klassischem SPD-Profil hoffen die Genossen das Wahljahr 2019 zu bestehen.

Allerdings steht die Frage im Raum, ob alle in der SPD an einem Strang ziehen. Denn als am Wochenende Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) seine milliardenschweren Pläne für die „Respektrente“ vorstellte, wurde bekannt, dass Finanzminister Scholz die Minister der großen Koalition wegen drohender Haushaltslöcher vor Mehrausgaben warnt.

Und dann ist da Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel, der heute auch als Autor für den Tagesspiegel schreibt. Er lobte Heils Rentenpläne diese Woche ausdrücklich – aber nicht ohne Nahles scharf anzugreifen. „Er bringt das Sozialministerium auf Kurs“, schrieb Gabriel bei Twitter über Heil. Vor zwei Jahren habe das Sozialministerium die Grundrente dagegen noch „gemeinsam mit dem Kanzleramt verhindert“. Die zuständige Ministerin war damals: Nahles.

Die Szenarien

Europa und Bremen Ende Mai, Sachsen, Brandenburg und Thüringen im Herbst – beim Gedanken an die Prüfungen des Jahres 2019 wird vielen Genossen bang. Etliche haben die meisten dieser Wahlen längst abgeschrieben, sie denken bereits über Konsequenzen nach. Im Zentrum der Überlegungen steht die Frage, wie nach der Europawahl ein geordneter Wechsel an der Spitze organisiert werden und ein offener Machtkampf um die Führung der Partei verhindert werden kann. „Chaos-Tage bei der SPD“, diese Schlagzeile würden sich führende Genossen gerne ersparen.

Vieles hängt auch von Bremen ab. Sollte die SPD ihre Hochburg, die sie seit 1945 hält, verlieren, hätte das ein Beben in der Partei zur Folge. Nahles könnte die Basis dann wohl nur noch besänftigen, indem sie den Partei- oder Fraktionsvorsitz abgibt – oder beides. Auch von einer Kabinettsumbildung nach Wahlniederlagen in Bremen und Europa ist in der SPD die Rede. Nur eines erscheint unwahrscheinlich: dass nach herben Verlusten im Mai alles weiterläuft wie bisher. Die Geduld der Mitglieder dürfte dafür nicht ausreichen – vor allem nicht bei den SPD-Wahlkämpfern im Osten, wo die AfD auf dem Vormarsch ist.

Die Alternativen

Es gibt nicht viele, die als Nachfolger für Nahles infrage kommen. Sollte sie sich im Frühjahr vom Fraktionsvorsitz zurückziehen, stünde Ex-Spitzenkandidat Martin Schulz bereit, heißt es in der Partei. Doch auch der mächtige Chef der Landesgruppe Nordrhein-Westfalen im Bundestag, Achim Post, hat Interesse, heißt es. Für den Parteivorsitz gehandelt werden Manuela Schwesig, die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, und Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil.

Der SPD-Vizechefin aus dem Nordosten wird ein „großer Wille“ zur Macht nachgesagt. Doch gibt es auch Zweifel, ob sie der Aufgabe gewachsen wäre. Weil gilt als solide, verlässlich und beliebt auch bei bürgerlichen Wählern. Allerdings lässt er keine Ambitionen auf den Vorsitz erkennen. In Zeiten von Abgasbetrug und Feinstaubdebatte spricht nach Einschätzung linker SPD-Vertreter außerdem seine Nähe zum Volkswagen-Konzern gegen ihn.

Der Unberechenbare

Es gibt Genossen, die wünschen sich angesichts der Misere Sigmar Gabriel zurück. Altkanzler Schröder gehört dazu, auch Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius trommelt für den Instinktpolitiker aus Goslar. Tatsächlich könnte der Ex-Parteichef seinen Hut als Kanzlerkandidat in den Ring werfen, sollte die SPD in diesem Jahr aus der Groko aussteigen.

In Gesprächen mit Parteifreunden und Weggefährten lote er seit Wochen seine Chancen aus, versichern Eingeweihte. „Gabriel wird es nicht zulassen, dass Olaf Scholz Kanzlerkandidat wird“, ist sich ein führender Genosse sicher. Wenn es zu einer Urwahl des Kanzlerkandidaten komme, habe Gabriel im Duell mit dem oft hölzern wirkenden Finanzminister gute Aussichten.

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