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Braucht Geld für seine Vorhaben: Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU).
© Michael Kappeler/dpa
Exklusiv

Reserven der gesetzlichen Krankenkassen sinken: Spahn leert Gesundheitsfonds bis 2024 um mehr als die Hälfte

Zur Finanzierung seiner Vorhaben holt sich der Gesundheitsminister Milliarden aus dem Gesundheitsfonds. Die Kassenreserve sinkt dadurch deutlich.

Zur Finanzierung von Gesetzesvorhaben will Gesundheitsminister Jens Spahn dem Gesundheitsfonds in den nächsten fünf Jahren mehr als 5,2 Milliarden Euro entnehmen. Das ist einer Zusammenschau des Gesundheitsministeriums für die Linkspartei zu entnehmen, die dem Tagesspiegel Background Gesundheit vorliegt. Damit verliert die Geldsammelstelle, aus der die gesetzlichen Krankenkassen ihre Zuweisungen erhalten, bis 2024 mehr als die Hälfte ihrer bisherigen Finanzreserve.

Nach Angaben des Ministeriums verfügte der Fonds im vergangenen Jahr über rund 9,7 Milliarden Euro. Nach den Prognosen des GKV-Schätzerkreises dürften es zum Jahreswechsel etwa 10,3 Milliarden sein. Doch danach sinken die Rücklagen rapide.

1,2 Milliarden schon im nächsten Jahr nur für Betriebsrentner

Das größte Loch in den Fonds reißt der versprochene Freibetrag für Betriebsrentner bei den Krankenkassenbeiträgen, den Spahn schon zum Jahreswechsel beschlossen haben will. Diese Entlastung würde die bisherige Finanzreserve 2020 um stolze 1,2 Milliarden Euro verringern. 2021 müssten ihr dafür weitere 900 Millionen entnommen werden, 2022 wären es 600 Millionen und 2023 nochmal 300 Millionen. Den Plänen zufolge wird für die durch Doppelverbeitragung belasteten Betriebsrenten und Kapitalleistungen der betrieblichen Altersvorsorge ab 2020 ein Freibetrag von 159,25 Euro monatlich eingeführt, bis zu dem künftig keine Beiträge für die gesetzliche Krankenversicherung mehr zu entrichten sind.

Dazu kommen weitere große Finanzposten. So beträgt der Abfluss für den sogenannten Krankenhaus-Strukturfonds, mit dem die Klinikstrukturen verbessert werden sollen, von 2020 bis einschließlich 2022 pro Jahr bis zu 500 Millionen Euro. Gefördert werden damit die Umwandlung von Kliniken in andere Versorgungseinrichtungen, die Zentralisierung von Notfallstrukturen, die Bildung telemedizinischer Netzwerke, die Verbesserung der IT-Sicherheit und die Aufstockung der Ausbildungskapazitäten für Krankenpflegeberufe. Der sogenannte Innovationsfonds verschlingt in den Jahren 2020 bis 2024 jährlich jeweils weitere 100 Millionen Euro

Und dann ist da noch der versprochene Ausgleich für die Mehrausgaben der Kassen, die durch den neuen Rechnungszuschlag auf Klinikabrechnungen für im Jahr 2020 aufgenommene Patienten entstehen. Zu dessen Finanzierung werden dem Gesundheitsfonds weitere 225 Millionen Euro entnommen.

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Ohne Senkung der Mindestreserve würde es nicht funktionieren

Tatsächlich wird der Gesundheitsfonds durch all diese Entnahmen so geleert, dass die bisher vorgeschriebene Mindestreserve kaum noch zu halten wäre. Mit 25 Prozent einer Monatsausgabe im Jahr 2020 läge sie nämlich bei 5,4 Milliarden Euro. Doch Spahn hat auch hier vorgesorgt. Denn mit der vorgesehenen Entlastung der Betriebsrentner soll seinem Plan zufolge auch die Untergrenze für die Geldreserven im Fonds auf 20 Prozent einer Monatsausgabe sinken. Das reiche, „um die unterjährigen Einnahmeschwankungen des Gesundheitsfonds abzusichern“, versichert sein Staatssekretär Thomas Gebhart. 

Außerdem rechnen sich hohe Reserven momentan nicht. Statt Zinsen zu bringen, kosten sie Geld. So fielen im vergangenen Jahr nach Auskunft des Bundesversicherungsamts Negativzinsen in Höhe von 9,2 Millionen Euro an.

Die Linkspartei kritisiert den geplanten Milliarden-Zugriff dennoch. „Finanzierung von dauerhaften Kosten über Erspartes geht langfristig nie gut“, sagte ihr Fraktionssprecher für Gesundheitsökonomie, Achim Kessler, dem Tagesspiegel-Background. „Herr Spahn ist mit vollen Reserven gestartet und wird dem nachfolgenden Minister absehbar ein Defizit und leere Kassen hinterlassen. Das ist keine solide Finanzierung des Gesundheitssystems."

GKV-Spitzenverband: Kein gutes Signal

Kritische Töne kommen auch vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV): Es sei „kein gutes Signal, wenn die Regierung angesichts der unklaren Wirtschaftsaussichten die freie Reserve des Gesundheitsfonds bis auf den letzten Cent verplant“, sagte Verbandschefin Doris Pfeiffer dem Tagesspiegel-Background. 

Zudem sollte aus ihrer Sicht jede Krankenkasse „eigenverantwortlich entscheiden dürfen, ob sie ihre individuellen Rücklagen für kurzfristige Beitragssenkungen oder für die langfristige Beitragsstabilität einsetzen will“. Eine Reaktion darauf, dass Krankenversicherer mit besonders hohen Reserven diese in den kommenden drei Jahren laut Gesetz nun ebenfalls schrittweise abbauen müssen.

Die SPD wirkt hin- und hergerissen. "Für den Übergang, so lange noch genügend Rücklagen da sind, kann man das machen", sagt deren Gesundheitsexperte Karl Lauterbach zu den Entnahmeplänen. Schließlich könne es nicht sein, dass die Kassen hohe Reserven bunkerten und gleichzeitig bei den Betriebsrentnern doppelt kassierten.

Allerdings seien die Entnahmen aus dem Gesundheitsfonds "nicht nachhaltig", betonte Lauterbach. In den nächsten Jahren stiegen die Ausgaben rasant - und spätestens dann müsse man auch über zusätzliche Einnahmen nachdenken, etwa durch eine Bürgerversicherung: "Wir können es uns nicht mehr leisten, ausgerechnet die Einkommensstärksten von der Solidargemeinschaft auszuschließen."

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