Streit um Grundsteuer: Sonderwünsche aus München spalten Koalition
Der Streit um die Grundsteuerreform spitzt sich zu. CSU und Teile der CDU wollen mehr Eigenständigkeit für die Länder. Kommt Olaf Scholz dem nach?
Die Fronten sind klar – und verfestigt. Kurz vor dem Kabinettsbeschluss zur Reform der Grundsteuer, die Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) zusammen mit seinen Länderkollegen erarbeitet hat, gibt es keine Einigkeit in der schwarz-roten Koalition. Die CSU bleibt bei ihrem Verlangen, eine bayerische Lösung zu bekommen. Die Forderung von Ministerpräsident Markus Söder hat dessen Finanzminister Albert Füracker nun sogar noch zugespitzt.
Nach Gesprächen mit „Vertretern“ der Unionsfraktion im Bundestag sprach er zuletzt von „starkem Rückenwind für die bayerische Position einer Regionalisierung im Rahmen der Grundsteuerreform“. Mit den Fraktionsvertretern sei er sich einig in der Forderung „nach einer völligen Freigabe der Gesetzgebungskompetenz zugunsten der Länder“. Dann könne Bayern „eine unbürokratische und praxisgerechte Grundsteuer einführen“.
Dem Vernehmen nach bringt Scholz seinen Gesetzentwurf nun am 17. April ins Kabinett ein, es kann aber auch nach Ostern werden - je nachdem, wie die vorgeschaltete Ressortabstimmung läuft.
Im Modell des Finanzministers (immerhin von einer Ländermehrheit mitgetragen) sieht man in Teilen der Unions-Fraktion und in München jedoch ein bürokratisches Unding – eine Übertreibung natürlich, aber was der SPD-Vizekanzler vorgelegt hat, ist tatsächlich etwas aufwändiger und komplexer als die relativ einfache, allein auf Boden- und Gebäudeflächen basierende Variante, die man in der Union und vor allem in Bayern gerne umsetzen würde.
Scholz baut dagegen vor allem auf Wertkomponenten, vor allem die Bodenrichtwerte und die Nettokaltmieten (bei Eigenheimen ersetzt durch statistische Vergleichswerte). In der Union hat das Flächenmodell auch deshalb Anhänger, vor allem im Wirtschaftsflügel, weil man die vermögensteuerähnliche Wirkung des Wertmodells ablehnt.
SPD will keine Unterschiede
Die SPD stellt sich hinter Scholz. Weder soll es eigene Länder-Gesetze geben noch Öffnungsklauseln oder Abweichungsrechte zugunsten der Länder in einem Bundesgesetz. „Ein rechtlicher Flickenteppich mit unterschiedlichen Grundsteuer-Modellen in unterschiedlichen Bundesländern muss vermieden werden“, sagte Bundestags-Fraktionsvize Achim Post der Deutschen Presse-Agentur. Eine Reform dürfe nicht durch Sonderwünsche aus Bayern gefährdet werden.
Die CDU in den Ländern ist gespalten. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther etwa hält nichts von einer Regionalisierung, unterstützt von Städtetag und Landkreistag – die Kommunalverbände haben Gewicht, weil die Grundsteuer allein den Kommunen zufließt.
Dagegen fordert die baden-württembergische CDU vehement eine Stärkung der Landesgesetzgebung (gegen die Linie des grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann übrigens, der ansonsten eher für mehr Länderzuständigkeiten ist). Auch der thüringsche CDU-Chef Mike Mohring fordert mehr Gestaltungsmöglichkeiten für die Länder, sagte dem Tagesspiegel aber auch, das Thema tauge aus seiner Sicht nicht für einen Koalitionskonflikt.
Scholz legt Entwurf vor
Bisher war der offene Koalitionskrach nur deshalb vermieden worden, weil man die Frage von Öffnungsklauseln und Abweichungsmöglichkeiten im Gesetzgebungsverfahren klären wollte. Da die Zeit drängt - das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vor einem Jahr verlangt, die Reform müsse bis Ende 2019 stehen -, sollte Scholz erst einmal den bisherigen Kompromiss als Regierungsentwurf vorlegen.
Doch nun hat man in der Union den Eindruck, es wäre besser, wenn Scholz den Wunsch nach mehr Eigenständigkeit der Länder schon jetzt im Entwurf verankern würde. Was die Sache zusätzlich kompliziert ist ein eher im Hintergrund geführter Juristenstreit zu der Frage, ob der Bund überhaupt die Grundsteuer weiterhin regeln darf oder ob nach einer Verfassungsänderung von 1994 nicht ohnehin die Länder zuständig wären. Während Scholz sich mit einem Gutachten gewappnet hat, das die Bundeszuständigkeit verteidigt, verweist man in der Union darauf, Verfassungsfragen seien vor allem in den Ministerien für Inneres und Justiz zu klären. Man sieht die Zuständigkeit als eine offene Frage.
Unklar ist, welche konkreten Änderungen zugunsten der Länder in der Union eigentlich gewollt sind. Fraktionsvize Andreas Jung spricht sich einerseits dafür aus, dass Ländern die Möglichkeit für eigene Regelungen gegeben werden soll, andererseits deutet er aber auch an, dass es parallele Gesetze geben könnte - also neben dem Bundesgesetz auch ein bayerisches.
Doch was ist von einer Regionalisierung zu halten? Der Verfassungsjurist Thorsten Ingo Schmidt von der Universität Potsdam sieht darin durchaus eine Möglichkeit, aus dem Koalitionsstreit um die verschiedenen Grundsteuermodelle herauszufinden. „Man kann bei Öffnungsklauseln oder auch einem Abweichungsrecht grundsätzlich extrem weit gehen“, sagte er dem Tagesspiegel. „Öffnungsklauseln sind jederzeit möglich, für ein Abweichungsrecht bei der Grundsteuer müsste aber die Verfassung geändert werden, weil der Grundgesetzkatalog der Abweichmöglichkeiten bisher nur Materien wie Umwelt oder Naturschutz vorsieht, nicht aber Steuergesetze.“
"Möglichkeit für eigene Wege"
Laut Schmidt gehört die Grundsteuer in den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung, was bedeute, „dass Bund oder auch Länder regeln können“. Regele der Bund die Grundsteuer, wie jetzt mit dem Entwurf des Bundesfinanzministeriums, dann könne es keine eigenen Ländergesetze geben. Mache der Bund nichts, dürften die Länder dagegen eigene Gesetze erlassen. „Es gibt aber eben die Möglichkeit einer Form dazwischen: Wenn der Bund in seinem Gesetz Raum lässt, weil er etwas nicht regelt, könnten die Länder ihrerseits hier etwas tun“, betont der Jurist. Und wo liegt der mögliche Vorteil? „Öffnungsklauseln oder auch ein Abweichungsrecht könnten ermöglichen, dass Länder bei den Komponenten des Scholz-Modells eigene Wege gehen“, erklärt Schmidt. „So könnten sie zum Beispiel die Gewichtung zwischen Bodenrichtwert und Nettomietenbewertung ändern. Es könnte also eine gewisse Flexibilität bei den einzelnen Komponenten geben, mit denen die Länder auf eigene Besonderheiten besser reagieren könnten.“ Öffnungsklauseln müssten sich in einem gewissen Rahmen bewegen, der von dem Bundesgesetz vorgezeichnet wird.
Aber: "Es darf nicht zu einer völlig anderen Regelungskonzeption kommen, weil dies den Rahmen sprengen würde und letztlich die Regelungskonzeption des Bundesgesetzgebers unterliefe", erklärt Schmidt. Das wäre nur möglich, wenn der Bund die Materie zur individuellen Regelung durch jedes Land mit einem Extragesetz freigäbe. Ein Bundesgesetz und gleichzeitig ein bayerisches Gesetz - das geht also nicht. Bayern kann also nicht, wenn es ein wertorientiertes Bundesgesetz gibt, parallel dazu ein nur für Bayern geltendes Flächenmodell einführen.
Öffnungsklauseln könnten nur erlauben, dass in Bayern die Fläche bei der Bemessung der Steuer höher angesetzt werden könnte als die Wertkomponenten. Ob Scholz das jetzt schon zulässt in seinem Entwurf, wird sich zeigen.
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität