Streit um Grundsteuer: Wert ist für die Union kein Maßstab
CDU und vor allem CSU wollen weiterhin ein "Einfachmodell" bei der Grundsteuer. Die FDP spendet Beifall. Kippt das Modell von Olaf Scholz vollständig?
Für den FDP-Steuerpolitiker Florian Toncar ist die Sache schon klar: "Die Bundesregierung hat bei der Grundsteuer eine volle Bruchlandung hingelegt“, sagte er am Montag dem Tagesspiegel. „Nach fast einem Jahr an Vorbereitungszeit kann Finanzminister Scholz im Grunde wieder bei null beginnen. Dieses schlechte Regierungsmanagement werden am Ende alle Betroffenen auszubaden haben - nun drohen hektische Wendemanöver und ein mit heißer Nadel gestricktes Gesetz.“ Der Grund für die Befürchtungen des Freien Demokraten: Nach der Zwischeneinigung von Anfang Februar scheint nun nach einer Intervention des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) plötzlich wieder alles offen zu sein bei der Reform der Grundsteuer, einer der wichtigsten Einkommensquellen der Kommunen. Sie muss neu geregelt werden, weil das Bundesverfassungsgericht im April 2018 entschied, dass es nicht länger grundgesetzkonform sei, die Steuer auf der Basis der veralteten und noch dazu in West und Ost unterschiedlichen Einheitswerte von 1935 und 1964 zu erheben. Das sei zu weit entfernt von den heutigen Verkehrswerten.
Söder hat am Wochenende einen „Neustart“ der Verhandlungen gefordert, ein Wagnis angesichts der Tatsache, dass Karlsruhe verlangt hat, die Neuregelung müsse bis Ende 2019 im Gesetzblatt stehen. Schon jetzt sind Bund und Länder deswegen unter Druck. Zwar gibt es für das bayerische Kernanliegen, die neue Grundsteuer alleinnach der Fläche und völlig ohne Wertkomponente zu erheben, im Länderlager keine Mehrheit. Die meisten Länder, zumal jene mit Regierungsbeteiligung von SPD, Grünen und Linken, möchten weiterhin eine wertabhängige Steuer, unterstützt von den Kommunalverbänden. Aber Söder hat einen Trumpf in der Hinterhand: Er sitzt als CSU-Chef im Koalitionsausschuss im Bund und kann so Druck erzeugen.
Monster-Bürokratie und höhere Mieten?
Zwei Dinge sollten nach Ansicht Söders vermieden werden: der Aufbau einer „Monster-Bürokratie“ und eine Erhöhung der Steuer inklusive höherer Mieten durch die Umlage auf die Nebenkosten. Zwar ist der bürokratische Aufwand zunächst bei allen Grundsteuermodellen relativ hoch, aber Söder zielt damit auf Komponenten, die Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) in seinem im November vorgestellten Vorschlag vorstellte: der Bewertung nach tatsächlichen Nettokaltmieten oder (im Falle rein privat genutzter Immobilien) fiktiver Werte, die sich an der regionalen Mietenstatistik orientieren sowie dem Baujahr der Gebäude. Deswegen hatte nicht nur die Bayern Bedenken angemeldet, auch andere Länder reagierten skeptisch, zudem distanzierte sich die Unions-Fraktion im Bundestag. Deren Vizechef Andreas Jung legte am Montag in der „Augsburger Allgemeinen“ noch einmal nach: Die Eckpunkte von Anfang Februar seien nicht abgestimmt, die Fraktion favorisiere weiterhin ein „aufkommensneutrales Einfachmodell“ – will heißen: eine Grundsteuer ohne Höherbelastungen, möglichst allein nach Fläche berechnet.
Bei den Gesprächen mit den Länderkollegen, die vor vier Wochen in das nun umstrittene Eckpunktepapier mündeten, hatte Scholz schon nachgeben müssen. Seine stark auf Einzelbewertung der Immobilien basierendes Modell wurde entschlackt. Statt der tatsächlichen Nettokaltmieten sollten nur noch örtliche Durchschnittswerte nach dem Mikrozensus herangezogen werden. Und alle Gebäude, die vor 1948 gebaut wurden, sollen nur noch pauschal erfasst werden. Bei den Bodenrichtwerten, der dritten Wertkomponente im Scholz-Vorschlag, verständigte man sich darauf, Bewertungen auch in deutlich größeren Zonen als bisher üblich zuzulassen. Aber diese Vereinfachungen genügen der Union offenbar nicht.
Hessen will "Laden zusammenhalten"
Hessens Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) hat dem Bundeskollegen vor dem nächsten Treffen in der kommenden Woche einige noch bestehende Bedenken kundgetan. Dem Eindruck, sein Land mache nun einen Rückzieher, widersprach er am Montag. „Wir wollen eine möglichst unbürokratische, gerechte und verfassungsfeste Grundsteuer. Daran arbeiten wir hinter den Kulissen intensiv“, sagte er dem Tagesspiegel. „Die im Ministerkreis gefundenen Zwischenergebnisse werden von den Fachleuten aller Länder und des Bundes nun konkretisiert und weiterentwickelt. Dabei sind wir auf einem guten Weg, den wir beibehalten müssen.“ Hessen versuche weiterhin, „den Laden beisammen und die Reform auf Kurs zu halten“.
In der FDP kommt der Vorstoß von Söder und der Unions-Fraktion jedoch gut an. Er komme spät, sei aber im Kern richtig, sagte Toncar. „Es wäre doch in der derzeitigen Lage auf dem Immobilienmarkt vollkommen verrückt, wenn der Staat über die Grundsteuer das Wohnen noch weiter verteuern würde. Deswegen darf gerade keine Mietenkomponente im Steuermodell enthalten sein.“ Dass nun ausgerechnet mit höheren Belastungen für Mieter gegen Scholz argumentiert wird, erbost die Sozialdemokraten. Bernhard Daldrup, der kommunalpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, nannte das Vorgehen „scheinheilig“. Die Umlage auf die Mieten habe nichts mit der Grundsteuerreform zu tun. Tatsächlich wird sie über die Betriebskostenverordnung geregelt, die Sozialdemokraten wollen hier auch rangehen, um Höherbelastungen auszuschließen oder jedenfalls zu mindern – aber ohne die Union gibt es keine Mehrheit dafür. Und die CSU vor allem ist zeitdruckresistent: Zur bayerischen Linie gehörte immer die Forderung, die Zuständigkeit für die Grundsteuer auf die Länder zu verlagern. Würde es nichts mit einem Bundesgesetz bis Ende 2019, träte der Fall wohl ein.
FDP ist auch nicht ganz eins
Und was nun? Was bleibt vom Modell des Bundesministers, der gerecht sein wollte, indem er stark auf den Einzelfall abstellte? Es könnte zu noch mehr Pauschalierung kommen. Oder es werden ganze Komponenten herausgenommen. In diese Richtung zielt ein Vorschlag der FDP-Fraktion im Landtag von Schleswig-Holstein. In Kiel regiert eine schwarz-grün-gelbe Koalition, die grüne Finanzministerin Monika Heinold hatte schon zur Entschlackung des Scholz-Modells durch die Länder einige Vorschläge eingebracht. Die Freidemokraten im Norden halten nun eine Grundsteuer für möglich, in der nur eine der drei Bewertungskomponente übrigbleibt: der Bodenrichtwert. Also keine pauschalierten Nettomieten, kein Gebäudealter mehr.
Wäre das nun das „Einfachmodell“, das auch den Kritikern in der Union, der FDP und den Vermieter- und Immobilienverbänden schmecken könnte? Für Toncar ist das nicht ausgemacht: „!Wir halten es weiterhin für richtig, dass die Steuer in einem möglichst einfachen System nach der Wohn- und Gebäudefläche bestimmt wird." Denn auch die Berücksichtigung von Bodenrichtwerten habe ihre Tücken: Sie seien bisher nicht bundesweit flächendeckend verfügbar und von sehr unterschiedlicher Qualität. „Auch durch sie würde nur der Wert einer Lage besteuert werden und gerade nicht der des konkreten Grundstücks oder Gebäudes.“ Toncar betont einen Punkt, der die Gegner einer solchen wertbasierten Grundsteuer umtreibt: Sie würde sich regelmäßig automatisch erhöhen. Das aber soll Sache des Gesetzgebers sein und der Kommunen, die über das Hebesatzrecht verfügen.
Scholz lässt derweil mitteilen, er sei weiterhin zuversichtlich, dass die Vorgaben des Verfassungsgerichts fristgerecht umgesetzt würden. In seinem Ministerium wird nach dem Beschluss vom Februar ein Gesetzentwurf erarbeitet. Bis Ostern soll er vorliegen.