Grundsteuer-Reform: Führen alle Wege wieder nach Karlsruhe?
Die neue Grundsteuer soll einfach sein und vor allem rechtssicher, fordern die deutschen Steuerberater. Das ist leichter gesagt als getan.
Gibt es bei der Reform der Grundsteuer eine Lösung, die nicht erneut vor dem Bundesverfassungsgericht landet? Die Frage können auch Raoul Riedlinger und Hartmut Schwab nicht mit letzter Sicherheit beantworten. Der Präsident der Bundessteuerberaterkammer und sein Vize wissen nur eines: Aus der Sicht ihres Berufsstandes sollte die Lösung möglichst rechtssicher und so wenig streitanfällig wie möglich sein. Diese Forderung erhoben sie am Donnerstag in Berlin.
An dem Kunststück, genau das fertigzubringen, versuchen sich Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) und seine Länderkollegen nun seit fast einem Jahr. Im April 2018 stuften die Karlsruher Richter nämlich die bisherige Regelung wegen der völlig veralteten und noch dazu nach West und Ost geteilten Einheitswerte als nicht mehr verfassungskonform ein. Da half es wenig, dass diese Grundsteuerbemessung immerhin einen Vorteil hatte: Sie führte kaum einmal zu juristischen Streitigkeiten zwischen dem Fiskus und den einzelnen Steuerzahlern, weil sich die Sache auf der Basis der Einheitswerte von 1964 (West) und 1935 (Ost) eben mit der Zeit eingespielt hatte. Nur, dass eben eine Steuer auf Boden und Gebäude, der eine Bewertung zugrunde liegt, irgendwann mit dem Gleichheits- und Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes kollidiert, wenn sie zu lange zu unterschiedlich bewertet und zu weit von den aktuellen Verkehrswerten abkommt.
Reform unter Zeitdruck
Und weil das der Fall ist, muss der Gesetzgeber nun ran. Doch der Streit nimmt eher zu, je näher die von den Karlsruher Richtern gesetzte Deadline rückt: Bis Ende 2019 muss eine Neuregelung stehen. Anfang Februar verständigten sich Scholz und seine Länderkollegen zwar auf einige Eckpunkte, die optisch nahe an dem wertbasierten Modell sind, das der Bundesfinanzminister im November vorgelegt hatte. Eine solche Lösung, die weiterhin die Grund- und Gebäudewerte zum Maßstab nimmt, jetzt natürlich aktualisiert, favorisieren die meisten Landesregierungen und in der Koalition im Bund die SPD. Drei Wertkomponenten hatte Scholz vorgesehen: Nettomieten (im Fall privat genutzter Immobilien fiktiv nach regionalen Statistikwerten), Bodenrichtwerte und Alter der Gebäude. Die Daten dazu liegen in der Regel vor, müssten aber natürlich neu erfasst werden. Dazu kamen Grund- und Nutzfläche. Und weil es gerecht sein sollte, war eine Einzelfallbewertung vorgesehen.
In den Eckpunkten finden sich alle drei Komponenten wieder. Nur eines gilt nicht mehr: Einzelfallgerechtigkeit. Die war den meisten Länderministern zu aufwändig und zu bürokratisch. Zu viele Beamte wären, so ihre Sicht, damit gebunden gewesen in den kommenden Jahren. Und sie fürchteten, dass die Einzelfallorientierung zu streitanfällig sein könnte. Dem Druck aus den Ländern gab Scholz nach und willigte ein, es stattdessen mit Pauschalierungen zu versuchen. So sollen statt tatsächlich vereinbarten Nettomieten nur noch regionale Durchschnittsmieten genommen werden, die sich aus dem Mikrozensus ergeben. Und bei den Bodenrichtwerten will man sich nun an großen Zonen orientieren oder an örtlichen Durchschnittswerten.
Streitanfällig, weil zu pauschal?
Aber das reduziert die Streitanfälligkeit nicht unbedingt. Jedenfalls ist das die Befürchtung der Bundesteuerberaterkammer. Infolge der Pauschalierungen würden die Verkehrswerte der einzelnen Immobilien eben nicht realitätsgerecht abgebildet, bemängeln Riedlinger und Schwab. Zudem wäre zwar die Verwaltung entlastet, für Unternehmen und Privatpersonen bliebe es aber bei einem hohen Aufwand. Die Beratungsrechnungen dürften dann höher ausfallen. Jede Wertbasierung sei letztlich irgendwie anfechtbar, gibt Schwab zu bedenken, der in Augsburg eine Kanzlei führt, die weitgehend für Mittelständler arbeitet. Und jedes Wertmodell produziere Gewinner und Verlierer, weil die Immobilienwerte in den vergangenen Jahrzehnten sich ganz unterschiedlich von den Einheitswerten wegentwickelt haben. Die möglichen Abweichungen zur gegenwärtigen Steuerlast schätzt Schwab auf jeweils bis zu 25 Prozent nach oben und unten. Das wird für Unmut sorgen.
So ist es kein Wunder, dass der Berufsverband sich eher für ein Modell ohne Wertkomponenten ausspricht. Ein reines Flächenmodell wird vor allem von Bayern und der Unionsfraktion im Bundestag propagiert. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) will nicht davon lassen, auch wenn er im Länderkreis bisher keine große Unterstützung hat. Der einzige potenzielle Genosse, die Hansestadt Hamburg, hat sich auf das Eckpunktepapier eingelassen. Allerdings erinnerte der Hamburger Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) unlängst in einem Brief den Bundesfinanzminister daran, dass man an der Alster stets ein Flächenmodell bevorzugt hat (für Scholz keine Neuigkeit, bis vor einem Jahr war das seine Linie als Hamburger Bürgermeister). In dem Schreiben forderte Dressel weitere Änderungen am Eckpunktepapier, weil Hamburg vor allem die „Einbeziehung des Bodenwertes in die Grundsteuerberechnung weiter äußerst kritisch sieht“. Denn die Bodenpreise steigen dort, wie in anderen Großstädten, in manchen Vierteln exorbitant an und treiben damit auch die Grundsteuerbelastung nach oben.
Flächenmodell per Bundesgesetz?
Ein Flächenmodell ist relativ unbürokratisch, weil eben dank fehlender Wertmaßstäbe nur die Grund- und Gebäudeflächen nochmals erfasst werden müssten, die aber dem Fiskus meist schon bekannt sind. Es gibt da freilich ein nicht zu unterschätzendes Rechtsrisiko: Wegen einer Grundgesetzänderung im Jahr 1994 ist eine Grundsteuerreform per Bundesgesetz nur vor einer Verfassungsklage sicher, wenn sich Bundestag und Bundesrat für ein wertbasiertes Modell wie bisher entscheiden - also sozusagen altes Recht nur novelliert wird. Bei einer Besteuerung nur noch nach Fläche könnte allerdings eine komplette Neufassung der Steuer vorliegen – und dann wären allein die Länder als Gesetzgeber berufen. Die Grundsteuer fließt allein den Kommunen zu, die verfassungsrechtlich den Ländern zugeordnet sind.
Professoren für Länderzuständigkeit
Eine Gruppe von Rechts- und Wirtschaftsprofessoren hat Scholz aus diesem Grund ebenfalls einen Brief geschrieben, darunter prominente Wissenschaftler wie Lars Feld aus Freiburg, Johanna Hey aus Köln oder Christian Waldhoff aus Berlin. Auch sie fordern eine Reform, „die substanzielle Vereinfachung ermöglicht“. Um das damit verbundene Rechtsrisiko auszuschließen, plädieren sie dafür, dass der Bund auf die Neuregelung verzichten und die Sache den Ländern übergeben solle. „Die Landtage wissen am besten um die Lage ihrer Kommunen und um die wirtschaftlichen Verhältnisse vor Ort“, schreiben die Professoren. „Den Bürgern, der Verwaltung und dem – doch sehr unter Druck stehenden – deutschen Föderalismus wäre damit in einer Weise gedient, die den Bund nicht schmerzt.“ Zumindest in der bayerischen Staatskanzlei rennen sie damit eine offene Tür ein.
Den Steuerberatern, so sehr sie auf Einfachheit und Rechtssicherheit pochen, missfällt diese Variante allerdings auch, jedenfalls wenn es um Unternehmen geht, die in mehreren Ländern aktiv Betriebe oder Immobilien haben. Dann müssten ihre Kollegen und deren Kunden im extremsten Fall 16 unterschiedliche Ländergesetze berücksichtigen, geben Schwab und Riedlinger zu bedenken. Und ob dann alle wirklich rechtssicher und verfassungskonform sind, ist die Frage. Man sieht: Scholz und seine Kollegen stehen vor einer Aufgabe, die man gemeinhin Quadratur des Kreises nennt.
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