Diskussion um Bundeswehr-Einsatz: Soll Deutschland in Syrien einen Präventivkrieg führen?
Strafe, Rache, Denkzettel verpassen - das sind keine legitimen Motive für einen Vergeltungsschlag in Syrien. Also geht es um etwas anderes. Ein Kommentar.
Verhindern, vergelten, abschrecken: Ja, was denn nun? Wenn es um Krieg und Frieden, Militärschläge und Allianzen geht, gebieten Politik und Moral, sehr genau zu sein. Was ist das Ziel, falls die Bundeswehr in den Syrienkrieg eingreift? Seit Anfang der Woche wird darüber diskutiert. Allerdings purzeln dabei die Begriffe oft durcheinander. Das aber ist fahrlässig und zeugt von einem schwach ausgeprägten Rechtsverständnis.
Baschar al Assad ist ein Kriegsverbrecher. Er hat Massenvernichtungswaffen eingesetzt, Menschen millionenfach gefoltert, ermordet, vertrieben. Jeder versteht den Wunsch, dem Rad seines Regimes „in die Speichen zu fallen“, wie Dietrich Bonhoeffer es einst in einem anderen historischen Kontext formuliert hatte. Ein Mandat des UN-Sicherheitsrates wird es dafür nicht geben, weil insbesondere Russland Kriegspartei ist und sein Veto einlegen würde. Ein Mandat der Nato wird es auch nicht geben, weil Nato-Mitglied Türkei ebenfalls Kriegspartei ist. Also könnte sich allenfalls eine Koalition der Willigen formieren wie im Irak- und Libyenkrieg. Deutschland prüft eine entsprechende Anfrage aus den USA, Frankreich und Großbritannien.
SPD und Linke sind dagegen
Union und Teile der Grünen signalisieren Gesprächsbereitschaft, SPD und Linke sind dagegen. Eine große Mehrheit der Deutschen lehnt einen solchen Einsatz ab. Einem zehnseitigen juristischen Gutachten des Bundestages zufolge wäre eine Beteiligung der Bundeswehr an einem Vergeltungsschlag „völkerrechts- und verfassungswidrig“. Die Argumentation, es handele sich um eine „humanitäre Intervention“, gelte nicht, weil es bei den Bombardements in erster Linie um die Durchsetzung des Verbots von Chemiewaffen gehe und nicht um den Schutz der Zivilbevölkerung. Das sind klare Worte, die kaum Raum für Interpretationen lassen.
Muss die Völkergemeinschaft tatenlos zusehen, wenn ein Tyrann Massenvernichtungswaffen einsetzt? Im Jahre 2001 wurde von den Vereinten Nationen das Konzept der Schutzverantwortung entwickelt (responsibility to protect). Demnach ist Gewaltanwendung gegen einen souveränen Staat möglich, wenn dieser Völkermord begeht, Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt oder in elementarer Weise gegen das humanitäre Völkerrecht verstößt.
Die Schutzverantwortung ist aber keine Vergeltungsverantwortung. Strafe, Rache, Sühne, Denkzettel verpassen, Lektion erteilen – all das sind keine legitimen Motive. Gleichermaßen untauglich ist das Argument, Deutschland dürfe sich nicht erneut verweigern. Moral und Recht fragen weder nach Gefühlen noch nach bündnispolitischen Erwägungen.
Zerstörung von Munitionsdepots
Der prominenteste Befürworter einer deutschen Beteiligung an einem Militärschlag ist Norbert Röttgen (CDU), der Vorsitzende im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags. Doch auch er scheint inzwischen eingesehen zu haben, dass eine Intervention als bloße Reaktion auf einen syrischen Giftgaseinsatz nicht rechtens wäre. Es gehe nicht um Vergeltung, eine solche sei problematisch, sagt er, sondern um die Verhinderung von Kriegsverbrechen, etwa durch die Zerstörung von Munitionsdepots.
Wenn aber Vergeltung als Interventionsmotiv unzulässig ist, was sich als Konsens in Deutschland abzuzeichnen beginnt, können die Befürworter eines Militärschlags nur mit Prävention argumentieren. Das Ziel wäre es dann, den Einsatz von Massenvernichtungswaffen überhaupt zu verhindern.
Das indes beschreibt ein grundsätzlich anderes Szenarium als die Angriffe der USA, Großbritanniens und Frankreichs 2017 und im April 2018 auf Einrichtungen des syrischen Staates. Denn die erfolgten, nachdem Giftgas eingesetzt worden war, blieben in ihrer Wirkung auf das Assad-Regime allerdings sehr beschränkt. Die Behauptung, durch sie wäre das Giftgasverbot durchgesetzt worden, wurde jedes Mal durch die Wirklichkeit grausam widerlegt.
Sinnvoll kann die Debatte also nur geführt werden, wenn die Frage lautet: Soll sich die Bundeswehr an militärischen Präventivschlägen gegen syrische Giftgasdepots beteiligen? Dabei müssten Eskalationswahrscheinlichkeiten ebenso bedacht werden wie mögliche Kräfteverschiebungen, die den Krieg verlängern statt verkürzen würden. Außerdem sind die Produktionsanlagen von chemischen Waffen in Syrien mobil und können schnell verlagert werden.
Deutschland muss sich seiner Verantwortung stellen, sagen die Befürworter eines Bundeswehreinsatzes in Syrien. Verantwortlich wäre es, klar und präzise zu sagen, was das bedeutet.