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Wie viel Hilfe haben die Menschen in Syrien von westlichen Raketen zu erwarten?
© Nazeer al-Khatib, AFP
Update

Militärintervention in Syrien: Vergeltung verstößt gegen das Völkerrecht

Zorn und Verzweiflung über die Verbrechen Assads sind ein schlechter Ratgeber. Über jeglichem Handeln muss die Frage stehen: Hilft es den Menschen? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Es geht um Vergeltung, Bestrafung, Abschreckung. Baschar al-Assad müsse einen hohen Preis zahlen, heißt es. Die USA, Großbritannien und Frankreich haben am Samstagmorgen Einrichtungen des syrischen Staates angegriffen. Das sei die Antwort auf einen mutmaßlich vom Regime in Damaskus zu verantwortenden Giftgaseinsatz in der Stadt Duma.

In der Tat hat dieses Regime in den vergangenen knapp sieben Jahren massiv gegen das Kriegsvölkerrecht und gegen das Verbot des Einsatzes von Massenvernichtungswaffen verstoßen. Menschen wurden gefoltert, ermordet, als Schutzschilde missbraucht, Millionen in die Flucht geschlagen. Ganze Ortschaften und Städte wurden zerstört, Hunderttausende kamen ums Leben. Blutrot sind die Linien, die überschritten wurden.

Nichts naheliegender also als der Ruf nach Sühne, nach einer Lektion, die man Assad erteilen müsse. Das Gerechtigkeitsgefühl schreit geradezu danach. Dem UN-Chemiewaffen-Übereinkommen, das die Entwicklung, Lagerung und Herstellung dieser Kampfstoffe untersagt, ist Syrien vor fünf Jahren beigetreten, um einen Militärschlag der Obama-Regierung zu entgehen. Vor einem Jahr, nach einem Giftgasangriff auf die Stadt Chan Scheichun, ordnete Donald Trump dann einen Vergeltungsschlag an. Die gewünschte Wirkung hat auch der nicht erzielt.

Im Jahr 2001 wurde das Konzept der Schutzverantwortung entwickelt

Das Gerechtigkeitsgefühl aber konstituiert noch kein Recht. Der Schutz der Menschenrechte ist zwar zum Leitthema der UN-Charta geworden, im Jahr 2001 wurde das Konzept der Schutzverantwortung entwickelt (responsibility to protect). Demnach ist Gewaltanwendung gegen einen souveränen Staat möglich, wenn dieser Völkermord begeht, Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt oder in elementarer Weise gegen das humanitäre Völkerrecht verstößt. Wie beim Kosovokrieg gezeigt, kann dieses Prinzip im äußersten Fall auch ohne Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat angewendet werden. Aber das Konzept der Schutzverantwortung darf kein Feigenblatt für Sühnemaßnahmen sein. Vergeltung können nur Staaten verüben, die unmittelbar in einen kriegerischen Konflikt involviert sind. Und auch dann muss sie angemessen und verhältnismäßig sein.

Die USA, Großbritannien und Frankreich sind in Syrien keine Kriegsparteien. Jede Art von Denkzettel und bloßer Bestrafung Assads durch eine militärische Intervention würde daher gegen das Völkerrecht verstoßen. Denn selbst die Wahrnehmung einer Schutzverantwortung muss sich auf die begründete Erwartung stützen können, dass sich die Lage für die bedrohten Menschen durch eine Intervention von außen spürbar verbessert.

Syrische Truppen kontrollieren wieder große Teile des Landes

Das jedoch lässt sich im Fall Syrien mit guten Gründen bezweifeln. Anders als auf dem Balkan, in Afghanistan und dem Irak gibt es keinen Plan zur Befriedung des Landes. Zu einer längerfristigen Stationierung von Truppen in Syrien ist niemand bereit. Die westliche Syrien-Politik darf als gescheitert gelten. Assad wiederum sitzt fester im Sattel denn je. Die Terrormiliz „Islamischer Staat“, die selbst in mehreren Fällen Chemiewaffen eingesetzt hatte, wurde besiegt, die Rebellen verfügen nur noch über sehr wenige Stützpunkte, syrische Truppen kontrollieren wieder große Teile des Landes und mehr als 85 Prozent der Bevölkerung.

In dieser Situation die Kräfteverhältnisse im Land durch eine Militärintervention erneut drastisch zu verschieben, kann zu einem Wiederaufflammen von Kämpfen, gefolgt von vielen Toten und Flüchtenden führen. Die Produktionsanlagen von chemischen Waffen wiederum sind vielfach mobil geworden. Die Wahrscheinlichkeit, dass Militärschläge das Leiden eher vergrößern statt lindern, ist hoch.

Zorn und Verzweiflung über die Verbrechen Assads sind ein schlechter Ratgeber. Über jeglichem Handeln muss die Frage stehen: Hilft es den Menschen? Der Wunsch nach Vergeltung, Strafe und Abschreckung darf weder die Rechtslage noch die humanitäre Vernunft ausblenden.

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