Deutsch-Französische Freundschaft: Solide aber nicht unerschütterlich
Am heutigen 22. Januar ist deutsch-französischer Tag. Die Beziehung zwischen beiden Ländern ist asymmetrisch geworden. Ein Gastbeitrag
Der deutsch-französische Tag am 22. Januar ist immer wieder Anlass, ein Stimmungsbild der Beziehung zwischen Deutschland und Frankreich zu zeichnen. Seit den Anschlägen von Paris ist von Spannungen zwischen den Nachbarn keine Rede mehr. Und doch stellte die EU-Krise der letzten Jahre die deutsch-französische Beziehung vor eine Belastungsprobe, die Spuren hinterlassen hat. Die Schulden- und Griechenlandkrise hat schwerwiegende Differenzen zu Tage gebracht. Auch wenn letztlich immer wieder Kompromisse gefunden wurden, ist viel Porzellan zwischen Paris und Berlin zerbrochen worden.
Im Laufe der letzten Jahre ist das Bewusstsein der wechselseitigen Abhängigkeit gewachsen. In beiden Ländern verfolgen Medien, Politik und Gesellschaft die Geschehnisse im Nachbarland aufmerksamer als in den Jahren zuvor, allerdings oft mit der Sorge verbunden, dass die Entscheidungen des Partners sich auch auf das eigene Land auswirken. In Frankreich ist es die Angst vor einer deutschen Dominanz in Europa und die Sorge, dass Berlin Frankreich eine Sparpolitik auferlegt, die sich gegen die eigenen ordnungspolitischen Vorstellungen wendet. In Deutschland befürchten nicht wenige, dass die wirtschaftlichen Probleme Frankreichs die gesamte Eurozone und somit auch Deutschland selbst belasten können. Deshalb ist hierzulande viel von Frankreichs Reformunwilligkeit und -unfähigkeit die Rede.
In Deutschland ist von Frankreich selten die Rede
Dabei ist auffallend, wie asymmetrisch die Debatte verläuft. In Frankreich ist die Bezugnahme auf Deutschland und seine Politik allgegenwärtig, sei es als Modell oder als abschreckendes Beispiel. In Deutschland hingegen ist Frankreich kaum mehr als ein „relativer“ Gegenstand von Kommentaren und Diskussionen. Sie mögen im Tonfall manchmal schroff sein, doch generell hält sich die Aufregung in Grenzen. Nur selten wird Frankreich Gegenstand einer regelrechten Polemik – ganz im Gegenteil zu Frankreich, wo eine Bezugnahme auf Deutschland durchaus Aufmerksamkeit erregt und das Nachbarland gerne instrumentalisiert wird, um die eigenen Positionen zu schärfen.
Die Asymmetrie in der Bedeutung beruht darauf, dass das deutsch-französische Verhältnis in der Politik wie auch in der Presse hauptsächlich durch die Brille der Wirtschaft wahrgenommen wird. Gern stellt die deutsche Presse Frankreich wegen dessen ökonomischen Probleme als kranken Mann Europas dar und verwendet oft einen herablassenden Tonfall dabei. Französische Zeitungen und Sender hingegen bewundern oder beneiden gar den deutschen „Wiederaufschwung“, den sie regelmäßig mit der Rezession im eigenen Land vergleichen. Grundsätzlich dient dann die deutsche Wirtschaft als Maßstab, um die eigenen Schwächen zu beurteilen.
Die Angst vor dem deutschen Europa
Diese Spiegelfunktion Deutschlands wird im Leitmotiv deutscher Dominanz und französischer Unterlegenheit besonders gut sichtbar. Stereotype sind hier schnell bei der Hand, insbesondere die wiederkehrende Figur des „Eisernen Kanzlers“ Bismarcks. Oft verbindet sich die Kritik gegen die von Deutschland geforderte Austeritätspolitik mit der Angst vor einem „deutschen Europa“. Dahinter steckt die Angst, die eigene Glaubwürdigkeit zu verlieren und die eigene Führungsrolle in der EU in Frage gestellt zu sehen. Die Wiederkehr des Bilds vom „hässlichen Deutschen“ wurde hierzulande mit großer Überraschung aufgenommen. Die deutsche Selbstwahrnehmung war oftmals nicht die, gegenüber Frankreich zu dominieren, sondern vom französischen Partner abhängig und damit seinen Schwächen ausgesetzt zu sein. Nicht selten sind es diese konträren und überlappenden Selbst- und Fremdwahrnehmungen, die zu Missverständnissen und Spannungen geführt haben.
Ein Blick auf die Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen zeigt, dass der Rückgriff auf alte Stereotype keineswegs eine Besonderheit ist. Immer wenn sich im Kräfteverhältnis zwischen Deutschland und Frankreich etwas verändert und die deutsch-französischen Beziehungen einer Neujustierung bedürfen, wurde in Frankreich die alte Angst vor einer deutschen Hegemonie herauf beschworen, ob als Angst vor dem ökonomischen Riesen oder vor der europäischen Zentralmacht.
Die deutsch-französische Freundschaft ist nicht unerschütterlich
Dass alte Stereotype wiederbelebbar sind, bedeutet, dass die zugrundeliegenden Ängste noch nicht verschwunden sind. Für die deutsche politische und mediale öffentliche Meinung ist es nach über 50 Jahren deutsch-französischer Freundschaft an der Zeit, sich mit diesen Stereotypen auseinander zu setzen, denn nur durch das Verständnis der dahinter stehenden Ängste und Befindlichkeiten, gibt es eine Chance, nicht in die Falle solcher Polemiken zu treten, sondern auf der Sachebene über die eigentlichen anstehenden Fragen diskutieren. Denn Stereotype versperren den offenen Blick auf den Anderen, wie er sich heute darstellt. Solche Polemiken verursachen zudem Schaden, die unnötig und vermeidbar wären. Auch wenn die deutsch-französische Beziehung solide ist, so ist sie doch nicht unerschütterlich.
Dr. Claire Demesmay ist Programmleiterin Frankreich/ Deutsch-französische Beziehungen bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Dr. Christine Pütz ist Referentin, Europäische Union, bei der Heinrich-Böll-Stiftung. Von ihnen erscheint in Kürze ein Sammelband über gegenseitige Deutschland- und Frankreich-Bilder in der Krise (Nomos Verlag).
Claire Demesmay, Christine Pütz