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Ein Grand Ensemble Caravelle, in  Villeneuve-la-Garenne, einer Stadt in der Banlieue von Paris. Einst Ort der Hoffnung, heute nahezu sicheres soziales Stigma
© Archiv/Martin Argyroglo

Terror und Integration: "Charlie Hebdo" - aus der Tragödie lernen

Das Jahr des Terrors hat gezeigt, wohin ständige Fehlschlüsse führen. Frankreich hat jahrzehntelang in der Integrationspolitik der Banlieues versagt. Auch Deutschland kann daraus Lehren ziehen. Ein Kommentar.

Vor einem Jahr stürmten die Dschihadisten-Brüder Kouachi das Pariser Redaktionsgebäude von „Charlie Hebdo“ und ermordeten zwölf Menschen. Einen Tag danach erschoss Amedy Coulibaly, ein IS-naher Terrorist, eine Polizistin und später vier Menschen in einem koscheren Supermarkt. Frankreich trauerte. Ganz Frankreich?

In den Banlieues der Großstädte pfiffen Schüler während der Schweigeminuten, schworen Solidarität mit den Attentätern. Der Comedian Dieudonné deklarierte „Je suis Coulibaly“, und mehr als 50 Fälle von Verherrlichung des Terrorismus wurden an die Justiz übergeben. Als im November die nächsten Attentate in Paris folgten, sprachen Politiker und Beobachter davon, dass dies nur eine Frage der Zeit gewesen sei. Um die Gründe dahinter wollte sich niemand kümmern.

Frankreich ist ein Einwanderungsland. Desaströse Integrations-, Sozial- und Baupolitik haben schwere Konflikte im sozialen Zusammenhalt geschaffen. Das Jahr des Terrors hat gezeigt, was geschieht, wenn Integration misslingt und immer wieder falsche Schlüsse gezogen werden.

Deutschland ist ebenfalls ein Einwanderungsland – mehr denn je. Es kann sich ein schlechtes Beispiel an Frankreich nehmen, oder aus den Verfehlungen lernen.

Die Terrorgefahr in Frankreich ist anhaltend groß, weil der Terror einen Rückhalt in der Bevölkerung hat. Nach Erkenntnissen des Umfrageinstituts „ICM Research“ haben 15 Prozent der Franzosen eine positive Meinung über den IS. Unter Jugendlichen sind es 27 Prozent. Die Zahlen wurden 2014 erhoben, aber auch heute gibt es in Frankreich eine – lautstarke – Minderheit, die Terrorismus entschuldigt oder relativiert.

Einst waren Banlieues Orte der Hoffnung

Es ist kein Zufall, dass dieses Klima in den Banlieues entsteht, an Orten, wo sich der Staat seit Jahrzehnten immer weiter zurückzieht. Als die Siedlungen gebaut wurden, waren sie Orte der Hoffnung, wo Juden, Christen, Muslime zusammenlebten, Einwanderer und Alteingesessene, Arbeiter und Akademiker. Heute sind viele Vorstädte – Saint-Denis, Sarcelles, Drancy – teilweise verwahrlost. Die einzigen, die dort noch leben, können es sich nicht leisten, weg zu ziehen. Die Banlieue als Wohnort zu haben verringert heute deutlich Chancen auf dem Arbeitsmarkt und erschwert wegen fehlender Anbindung in die Stadt sozialen und kulturellen Austausch.

Dabei hatte Paris schon einmal ein besseres Verhältnis zu seinen Mitbürgern in der Peripherie. Die 1998 installierten Nachbarschaftspolizeien reüssierten darin, ein Gefühl für Leben und Sicherheit in den Banlieues zu vermitteln, das Zusammenleben zu fördern, statt Abweichungen zu bestrafen. Die Polizei interessierte sich für ihre Bürger.

Sarkozys "Kärcher" spült den "Dreck" weg

2005 wollte sich der damalige Innenminister und spätere Präsident Nicolas Sarkozy nach rechts profilieren und ersetzte die Arbeit aus der Nähe durch den „Kärcher“, mit dem er den „Dreck“ von den Straßen spülen wollte. Das gelang – wenig überraschend – nicht. Viele Sozialarbeiter sind gegangen, heute übernehmen Dschihadisten ihren Job. Nachbarschaftshäuser verwahrlosen, dafür entstehen glänzende Moscheen, von Saudi-Arabien oder Katar finanziert, weil Frankreichs rigide Laizitätsgesetze eine direkte Religionsfinanzierung untersagen.

Deutschland fährt in Integrationsfragen momentan planlos. Viel mehr als „sie sollen Deutsch lernen“ hört man nicht. Es braucht aber mehr als das. Deutschland muss sich für seine Einwanderer interessieren, wenn sie ankommen und – vor allem – darüber hinaus.

Frankreich hat den schlechten Weg aufgezeigt. Es gibt auch einen guten.

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