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Ein Mitarbeiter steht auf der Baustelle des slowakischen AKW Mochovce.
© AFP/ Vladimir Simicek

Atomenergie: Slowakisches Akw Mochovce beunruhigt Nachbarstaaten

Die nahende Fertigstellung zweier Blöcke eines slowakischen Akw sorgt für internationalen Druck. Der Fall zeigt die Grenzen europäischer Kontrollinstanzen auf.

Als Manfred Weber Mitte Mai in Würzburg eine Petition zum Stopp eines Akw-Neubauprojektes in der Slowakei präsentiert wurde, bekam er einen Vorgeschmack auf das, was ihn als EU-Kommissionspräsident erwarten könnte. Die Bittschrift deutscher und österreichischer Umweltverbände, unterschrieben von rund 260 000 Menschen, setzt sich gegen den Betriebsstart zweier Reaktorblöcke nahe dem slowakischen Mochovce ein. 

Ob Weber sich nach der Europawahl für eine transparente Prüfung des Neubaus einsetzen würde, wurde der CSU-Politiker und Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei gefragt. Er habe zugestimmt, berichten Vertreter des Umweltinstituts München und des österreichischen Verbands Global 2000. „Es ist gut, das Thema mit dem Termin auf ein europapolitisches Level gehoben zu haben“, sagte Reinhard Uhrig, Atomexperte von Global 2000.

Für die Umweltverbände ist es der Widerstand gegen ein mehrere Jahrzehnte altes Projekt. Am Kraftwerk Mochovce zeigt sich einmal mehr, dass Entscheidungen zur Nutzung der Atomenergie nicht an europäischen Grenzen haltmachen. Der Bau der vier sowjetischen Kraftwerksblöcke, rund 400 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt, wurde noch in der Tschechoslowakei der 1970er-Jahre beschlossen und 1985 begonnen. Zwei Blöcke gingen 1998 und 2000 ans Netz. Die Blöcke 3 und 4 blieben zu Beginn der 1990er-Jahre unfertig stehen, erst 2008 wurde weitergebaut.

Slowakei soll IAEO-Mission zugestimmt haben

Internationaler Druck stellt das Projekt nun infrage: Die Betreibergesellschaft des slowakischen Akw, Slovenske Elektrarne (SE), soll Medienberichten zufolge einer Überprüfung der Baustelle zugestimmt haben. Ein Team der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) solle die Reaktorblöcke kontrollieren, als Reaktion auf die Kritik von Umweltschützern.

Die IAEO-Mission entspricht auch den Forderungen der österreichischen Regierung. Diese hatte zuletzt massiv Druck ausgeübt, um den Start des Kraftwerks zu verhindern. Selbst im persönlichen Gespräch der Regierungschefs beider Länder war Mochovce Thema. Anfang Mai hatte die slowakische Regierung den für Juli geplanten Betriebsbeginn des Kraftwerks dann verschoben – wegen erwarteter Einsprüche aus Österreich gegen die Betriebsgenehmigung.

Woran sich der Widerstand des Umweltinstituts München, von Global 2000 und des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) besonders stößt: Im Falle eines Erdbebens oder eines Flugzeugabsturzes drohe dem zu Ostblock-Zeiten konzipierten Reaktor ein schwerer Atomunfall. Ein Volldruck-Containment, das bei einem Unfall radioaktive Stoffe zurückhalten soll, fehle diesem Kraftwerk in Gänze, mahnen die Verbände.

„Das Bauprojekt von Mochovce entspricht keinesfalls dem aktuellen Stand der Technik. Im besten Fall ist es mit Kraftwerken vergleichbar, die in Deutschland nach Fukushima aus guten Gründen stillgelegt wurden“, sagte Thorben Becker, Atomexperte beim BUND.

Umweltverbände kritisieren das Bauprojekt

Mehrere ehemalige Arbeiter des Akw-Projekts, unter ihnen Ingenieure, hatten sich zuletzt an Global 2000 gewandt, warnten vor weiteren gravierenden Mängeln des Bauprojekts. „Whistleblower und ehemalige Mitarbeiter des Projekts berichten uns, dass der Bau völlig außer Kontrolle ist“, sagte Uhrig. Wichtige Bestandteile des Kraftwerks sollen zunächst falsch zusammengesetzt, teilweise sogar beschädigt worden sein. Selbst die Sicherheitshülle des Reaktors soll durch tausende unsachgemäße Bohrungen beschädigt worden sein. 

Was die Zustimmung zur Kontrolle durch eine IAEA-Mission offenbart, legt doch Schwächen offen: das Fehlen verbindlicher Optionen der Überprüfung auf europäischer Ebene. Zwar sei im Euratom-Vertrag auch die Überwachung der Sicherheit der Atomanlagen thematisiert, doch enthält das Vertragswerk keine verbindlichen Regeln zur Überwachung von Anlagen, so BUND-Mann Becker. Auch andere Vertragswerke und Institutionen auf europäischer Ebene hätten hier keine Durchschlagskraft. Als verbindliche Instanz für die Betreibergesellschaft bleibt lediglich die slowakische Atomaufsicht – oder internationaler Druck. 

„Das Grundproblem bleibt“, sagt Becker. „Es bräuchte auf europäischer Ebene engeren fachlichen Austausch – allein um zu strengeren Sicherheitsstandards zu gelangen.“ Es sei fraglich, wie kritisch diese Mission wird. Welche Informationen des Berichts dann veröffentlicht werden, entscheide die slowakische Atomaufsicht.

"Wir brauchen in Europa bei grenznahen Akw ein Mitspracherecht"

Gerade in der Legislaturperiode zwischen 2009 und 2014, in den Jahren nach der Wiederaufnahme des Akw-Baus, war Mochovce immer wieder Inhalt von kritischen Anfragen aus dem Europaparlament an die Kommission. „Die Fortsetzung des Bauprojekts hätte in Brüssel niemals akzeptiert werden dürfen“, sagte Rebecca Harms, Mitglied der Grünen im Europaparlament. „Es ist völlig indiskutabel, dass Teile der Genehmigungen aus den 1980er-Jahren heute noch nicht hinterfragt gelten können.“ Auch die IAEO-Mission könne das Misstrauen in das Bauprojekt nun alleine nicht ausräumen.  

„Wir brauchen in Europa bei grenznahen Akw ein Mitspracherecht bei den Sicherheitsstandards für die Anrainerländer“, sagt Sylvia Kotting-Uhl, Vorsitzende des Umweltausschusses im Deutschen Bundestag. „Die Bundesregierung muss sich endlich für die Schaffung eines entsprechenden Regelwerks einsetzen. Ebenso für verbindliche EU-Mindeststandards bei der Sicherheit.“ Die Grünen-Politikerin sieht auch eine Reform des Euratom-Vertrags als notwendig an. „Als Pro-Atom-Relikt, das jedem Land die Souveränität bei der Sicherheit seiner Akw zuspricht, steht er Sicherheit mehr im Weg als er ihr nutzt“, so Kotting-Uhl weiter. 

Das Bundesumweltministerium verwies zuletzt auf die Zuständigkeit der slowakischen Atomaufsicht. Die Umsetzung der technischen Vorgaben aus dem Euratom-Vertrag obliege der nationalen Aufsichtsbehörde. Grundsätzlich werde aber in Ergänzung auf supra- und nationaler Ebene sowie in bilateralen Kommissionen darauf hingewirkt, das gemeinsame Verständnis für die Anforderungen an einen sicheren Betrieb zu stärken. „Auch die in diesem Zusammenhang bestehenden Einflussmöglichkeiten finden jedoch ihre Grenze in den souveränen Rechten der einzelnen Mitgliedstaaten nach den EU-Verträgen“, teilte das BMU mit.  

Die Umweltverbände hoffen weiter, dass der Fall auch in der Gruppe der Europäischen Atomaufsichten (ENSREG) zur Sprache kommt und sich die slowakische Behörde in dem Gremium erklären muss. Auch eine Einflussnahme der deutschen Atomaufsicht durch das BMU wird erhofft: „Die Stimme des deutschen Umweltministeriums hat dort viel Gewicht“, sagte Uhrig. Die ENSREG tagt das nächste Mal an diesem Mittwoch.  

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