Wenn nur das Gendersternchen geändert ist: Sind Teile von Baerbocks Buch aus dem Internet kopiert?
Ein Plagiatsjäger behauptet, zahlreiche Stellen in Baerbocks Buch seien abgeschrieben. Die Grünen sprechen von „Rufmord“ und schalten einen Anwalt ein.
Wochenlang hatte Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock mit Ungereimtheiten in ihrem Lebenslauf zu kämpfen. Immer wieder musste sie Angaben nachbessern. Was bei der Kandidatin für Frust und in der eigenen Partei teilweise für Kopfschütteln sorgte. Mit einer klaren Entschuldigung und dem Eingeständnis Fehler gemacht zu haben, hatte Baerbock das Thema schließlich beruhigt.
Nun gibt es aber schon die nächsten Vorwürfe: Baerbock soll in ihrem neuem Buch „Jetzt. Wie wir unser Land erneuern“ Passagen aus anderen online verfügbaren Quellen eingefügt haben - ohne diese explizit zu nennen. Nach dem Wirbel um die Angaben im Lebenslauf kommen sie zur Unzeit für die Kandidatin.
Gefunden hat die Stellen ein österreichischer Plagiatsjäger, der auch Privatdetektive beschäftigt. Stefan Weber heißt er. Um seine Arbeit öffentlich zu machen, betreibt er den „Blog für wissenschaftliche Redlichkeit“. Hier finden sich seit Mai ausschließlich Einträge zur Kanzlerkandidatin der Grünen. Mal geht es um ihre Masterarbeit, dann wieder um Baerbocks Lebenslauf.
In seinem neuesten Eintrag führt Weber Stellen des Buches von Baerbock an, bei denen es sich um aus Fremdquellen kopierte Absätze oder um weitgehend unverändert übernommene Absätze handeln soll. Es sind (Stand Dienstagmittag) knapp ein halbes Dutzend Textpassagen, die teilweise wortwörtlich übernommen und ohne Quellenverweis niedergeschrieben worden sein sollen.
Auch aus dem Tagesspiegel findet sich eine Stelle im Buch, die fast 1:1 übernommen wurde, ohne kenntlich gemacht zu sein.
Bei Baerbocks Buch handelt es sich nicht um einen akademischen Text, für den zwingend strenge Standards wissenschaftlichen Arbeitens gelten. Baerbock breitet in dem 240 Seiten umfassenden Buch grüne politische Konzepte aus und verbindet das mit persönlichen Erlebnissen. Fußnoten, mit denen sie auf Quellen verweisen könnte, nutzt sie nicht.
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Auf Anfrage des Tagesspiegels teilte ein Sprecher Baerbocks am Dienstagnachmittag mit: "Das ist der Versuch von Rufmord. Wir weisen den Vorwurf einer Urheberrechtsverletzung entschieden zurück. Der Blogger, der bereits falsche Behauptungen zu Frau Baerbocks Abschluss verbreitet hatte, versucht erneut, bösartig ihren Ruf zu beschädigen." Es handele sich nach Angaben des Sprechers um allgemein zugängliche Fakten oder "bekannte Grüne Positionen". Die Vorwürfe seien absurd.
[Mehr zum Thema: Annalena Baerbocks „Jetzt“ - Was ihr Buch über die Kanzlerkandidatin verrät (T+)]
Weiter heißt es, Annalena Baerbock habe den Medienanwalt Christian Schertz eingeschaltet. Eine Anfrage des Tagesspiegels bei Stefan Weber ergibt: Der Anwalt hat ihn (bisher) nicht kontaktiert.
Schertz lässt aber über den Grünen-Sprecher ausrichten: "Ich kann nicht im Ansatz eine Urheberrechtsverletzung erkennen, da es sich bei den wenigen in Bezug genommenen Passagen um nichts anderes handelt, als um die Wiedergabe allgemein bekannter Fakten sowie politischer Ansichten." Nachrichten, historische Tatsachen und allgemein bekannte Erkenntnisse seien nicht urheberrechtsschutzfähig.
Ihr Anwalt spricht von "einer Kampagne zum Nachteil von Frau Baerbock." Auch Grünen-Politiker Jürgen Trittin spricht auf Twitter von einer "Dreckskampagne".
Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner verschickte am Nachmittag eine Mail an Mitglieder. "Zum wiederholten Male werden falsche Behauptungen zu unserer Annalena Baerbock verbreitet", heißt es darin. Auch er benutzt den Begriff Rufmord und fordert die Anhänger dazu auf, bei Twitter Solidarität mit Baerbock zu zeigen. Verlinkt ist in der Mail ein Twitter-Thread, wo die Mitglieder "alles über die haltlosen Vorwürfe nachlesen" können.
In dem Thread breitet der ZDF-Journalist Felix W. Zimmermann aus, warum an den Plagiatsvorwürfen nichts dran sein soll. "Bloße Übernahme von Sachinformationen, wörtlicher Rede und zudem kein Zitiergebot in Populärliteratur", schreibt er. Danach folgen 16 Beiträge zum Thema.
Laut Biografie auf der Seite des ZDF ist Zimmermann bei dem Sender für Rechtsfragen zuständig. Er ist außerdem Volljurist. Warum aber verweisen die Grünen so offensiv auf die Argumente des Journalisten statt sie selber auszubreiten? Interessant hierbei: Zimmermann war laut Biografie von 2012 bis 2015 bei Anwalt Schertz beschäftigt, der nun Baerbock in der Angelegenheit vertritt. Ein Zufall?
Ihr Buch veröffentlichte die Kanzlerkandidatin am 21. Juni. Darin steht beispielsweise auf Seite 79: „Der Klimawandel wirkt sich auf die gesamte Wertschöpfungskette von Unternehmen aus, etwa durch den extremwetterbedingten Ausfall von Zulieferern, durch Schäden an Straßen, Schienen und Gebäuden oder durch Rohstoffknappheit. Zwischen 2000 und 2019 beliefen sich die Gesamtschäden aus klimawandelbedingten Extremwetterereignissen weltweit auf 2,56 Billionen US-Dollar.“
Wer die entsprechende Stelle bei Google eingibt, findet sie auf der Seite climate-challenge.de wieder, die vom Verband der Wirtschaft für Emissionshandel und Klimaschutz in München betrieben wird.
Eine weitere Stelle auf Seite 174 beinhaltet folgende Passage: „Insgesamt zehn Staaten traten an diesem Tag der Europäischen Union bei: die baltischen Staaten und ehemaligen Sowjetrepubliken Estland, Lettland und Litauen, außerdem Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, die frühere jugoslawische Teilrepublik Slowenien sowie die beiden Mittelmeerstaaten Malta und Zypern. Die EU wuchs von 15 auf 25 Mitglieder – und begrüßte damit rund 75 Millionen neue Unionsbürger*innen.“
Nur der Genderstern ist geändert
In den Google-Treffern zu dieser Stelle taucht die Bundeszentrale für politische Bildung mit einem fast wortgleichen Absatz auf. Der Eintrag ist von 2019. Einziger augenfälliger Unterschied: Statt des Gendersterns bei Unionsbürger*innen steht bei der BpB „Unionsbürgerinnen und –bürger“. Baerbocks Sprecher weist die Kritik daran in einer Stellungnahme zurück: "Welche Staaten im Rahmen der EU-Osterweiterung aufgenommen wurden, wie sich die Mitgliedszahl dadurch vergrößert hat [...], ist ein allgemeiner Fakt und kein Plagiat."
Auf Seite 129 schreibt Annalena Baerbock: „Bereits 2010 hatte das US-Verteidigungsministerium den Klimawandel als Bedrohung für die nationale Sicherheit der USA deklariert und somit als Phänomen, das die Aufmerksamkeit des Pentagon erforderte. Die Betrachtung des Klimawandels als ´Bedrohungsmultiplikator´, der Rohstoff- und Gesellschaftskonflikte verschärfen kann, ist seither zu einem Eckpfeiler in der Strategie des Pentagon geworden.“
Auch hier führt Google schnell zum Urheber der Aussage, die aus „Kriegstreiber Klimawandel“ im Magazin „Internationale Politik“ des amerikanischen Politikwissenschaftlers Michael T. Klare stammt. Dort schreibt Klare: „Erstmals wurde der Klimawandel 2007 als Bedrohung für die nationale Sicherheit der USA wahrgenommen und somit als Phänomen, das die Aufmerksamkeit des Pentagons erforderte.“
Sechs weitere Stellen ohne Quellenangabe
Plagiatsjäger Weber gab am Dienstag bekannt, dass er inzwischen sechs weitere Stellen gefunden habe, bei denen wörtlich Sätze unter anderem vom „Tagesspiegel“ und der „Süddeutschen Zeitung“ ohne Quellenangabe übernommen worden seien. Insgesamt seien bislang zehn Seiten betroffen.
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„Aus meiner Sicht liegen hier klar Urheberrechtsverletzungen vor, die mit Absicht begangen worden sind. Aber hoch ist dieser Anteil am Gesamtwerk noch nicht“, sagte er „Focus Online“. Allerdings sei unklar, ob die Plagiatsfälle von der Kanzlerkandidatin der Grünen selbst oder von dem Mitarbeiter stammen, der an der Produktion des Buches beteiligt war, so Weber.
Baerbock hatte bei der Erstellung des Buches Unterstützung von dem Autoren Michael Ebmeyer erhalten. Sein Beitrag soll sich laut "Bild"-Zeitung aber auf biografische Gespräche beschränken, die er mit der Kanzlerkandidatin geführt und anschließend transkribiert habe.
Der Ullstein-Verlag, bei dem das Buch erschienen ist, wehrt sich gegen die Vorwürfe. „Das Manuskript von Annalena Baerbocks Buch ist im Verlag sorgfältig lektoriert worden“, so der Verlag. „Wir können keine Urheberrechtsverletzung erkennen.“
Im Gespräch mit der "Neuen Zürcher Zeitung" wirft Plagiatsjäger Weber dem Verlag "Schlamperei, Unsauberkeit und ein dilettantisches Vorgehen" vor. Demnach verstehe er nicht, wieso der Verlag das Buch nicht einer Plagiatsprüfung unterzogen habe. Wie die Zeitung weiter berichtet, will sich Weber als Nächstes die Masterarbeit von Baerbock vornehmen. Er habe bei der London School of Economics um Einsicht gebeten, heißt es.
Kritik von der politischen Konkurrenz
Von der politischen Konkurrenz kam harte Kritik. „Vorsätzlich getäuscht, schlampig gearbeitet und bei der eigenen Leistung schon wieder hochgestapelt - das hat bei Annalena Baerbock scheinbar System und erschüttert einmal mehr ihre Glaubwürdigkeit“, sagte CSU-Generalsekretär Markus Blume „Focus online“.
Der Vorsitzende der Jungen Union, Tilman Kuban, sagte dem Portal: „Erst den Lebenslauf mit wenig eigener Leistung und viel heißer Luft produzieren, jetzt beim Buch abschreiben. So kann man kein Land führen.“
Die Grünen reagierten empört. „Es ist erstaunlich, wie bereitwillig, sich Teile der CSU an Desinformationskampagnen beteiligen und den Rest an Anstand über Bord werfen“, erklärte Kellner. „Dass sich der CSU-Generalsekretär zum Helfershelfer einer dubiosen Kampagne macht, ist entlarvend.“ Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt twitterte: „Wir führen gern harten Wahlkampf (...). Aber hört auf mit diesem Schmutz. Demokratischer Wettbewerb hat auch mit Anstand zu tun.“