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SPD-Parteichef Sigmar Gabriel und die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer auf dem Perspektivenkongress der SPD in Mainz. In Rheinland-Pfalz steht im März die nächste, für die SPD wichtige Landtagswahl an.
© Fredrik von Erichsen/dpa

Die SPD und die Flüchtlingsfrage: Sigmar Gabriel sucht den Mittelweg

Zuversicht und Realismus zählen für Gabriel in der Flüchtlingsfrage. Und noch eine Parole gibt der SPD-Chef aus: Ängste in der Bevölkerung ernst nehmen.

Wohin steuert die SPD in der Flüchtlingskrise – und wo steht ihr Vorsitzender? Auf dem SPD-Perspektivkongress an diesem Sonntag in Mainz hat SPD-Chef Sigmar Gabriel diese Frage auf seine eigene Weise beantwortet und seiner Partei eine große, womöglich historische Aufgabe zugewiesen. Für Gabriel stehen die deutschen Sozialdemokraten angesichts immer stärker wachsender Flüchtlingszahlen in der Pflicht, die Integration der Schutzsuchenden zu gestalten und dabei den inneren Zusammenhalt in Deutschland zu sichern. „Das Wichtigste ist: Nie darf die SPD es zulassen, dass unsere Gesellschaft sich an der Flüchtlingsfrage spaltet.“

Die Integration soll im Vordergrund stehen

Die SPD müsse sich in ihrer Flüchtlingspolitik von der Formel „Zuversicht und Realismus“ leiten lassen, forderte Gabriel. Die Sozialdemokratie dürfe sich nicht einlassen auf die Polarität zwischen „Wir schaffen das“ oder „Grenzen dicht“, mahnte der SPD-Vorsitzende mit Blick auf die Streitigkeiten zwischen Kanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer. Es sei vielmehr die Aufgabe der SPD zu sagen, wie die Integration so vieler Flüchtlinge – laut Gabriel allein in diesem Jahr mehr als eine Million – zu schaffen sei. „Wir müssen Antworten für die Wirklichkeit entwickeln. Antworten, die die Solidarität mit den Flüchtlingen ebenso im Blick behalten wie Fragen und Sorgen unserer eigenen Bevölkerung.“

Zuversicht und Realismus – in den Ohren mancher Genossen vom linken SPD-Flügel dürfte Gabriels Formel wie eine Zurechtweisung geklungen haben. Viele Parteilinke halten es in der Flüchtlingsdebatte lieber mit Angela Merkels Optimismus; bei ihnen steht Gabriel im Verdacht, seine Politik zu stark an den Ängsten der Bevölkerung auszurichten.

Doch auf diese Bedenken nahm Gabriel in Mainz keine Rücksicht. Seinen Kritikern warf er indirekt vor, sie würden mit ihrer Haltung der Spaltung der Gesellschaft noch Vorschub leisten. „Eine Gesellschaft, in der die einen, die Warner, jeden Tag die drohende Überforderung beklagen und die anderen, die Engagierten, aus Verbundenheit mit den Flüchtlingen Tabuzonen um die Sorgen und Ängste der Bevölkerung errichten“ – eine solche Gesellschaft werde zerrissen sein und in ständigem Unfrieden leben. Die SPD müsse deshalb auch denen zuhören, „die nicht glauben, dass wir es schaffen, so viele Menschen zu integrieren, oder die Angst davor haben, dass sie sich nicht mehr zu Hause fühlen“.

Die SPD soll mehr Kontakt zur "arbeitenden Mitte" suchen

Überhaupt schimmerte in Gabriels Rede ein grundsätzlicher Vorbehalt gegenüber Teilen seiner Partei durch. Aus seiner Sicht haben zu viele SPD-Funktionäre den Kontakt zu den arbeitenden Menschen verloren, für die die SPD Politik machen muss, wenn sie Erfolg haben will. Gabriel nennt sie die „arbeitende Mitte“. Die SPD müsse wissen, für wen sie in der Gesellschaft da zu sein habe, forderte er in Mainz: „Nämlich für die, die die Werte dieses Landes schaffen und deshalb einen Anspruch auf gerechte Teilhabe am Haben und am Sagen in dieser Gesellschaft haben.“ Auf diese Menschen müsse die „stark akademisierte Partei“ viel stärker als bisher zugehen. „Früher war es selbstverständlich, dass ein Funktionär der SPD in den Betrieben und in den ärmeren Stadtvierteln Bescheid wusste. Heute müssen wir uns daran erinnern, dass dies zu unserem politischen Auftrag gehört“, mahnte Gabriel.

Auf eine der vielleicht wichtigsten Fragen der arbeitenden Mitte zur Flüchtlingspolitik, nämlich der, wie sich der Zuzug begrenzen lässt, hatte auch Gabriel keine Antwort parat. Jeder wisse, dass Deutschland es auf Dauer nicht schaffen könne, jedes Jahr mehr als eine Million Flüchtlinge aufzunehmen – diesen, von manchen Parteilinken heftig kritisierten Satz wiederholte er auch in Mainz. Zugleich gab Gabriel aber zu, dass „wir keine schnellen Lösungen haben“. Hier zeigte sich der SPD-Chef näher bei Merkel als bei Seehofer; eine Schließung von Grenzen verwies er ins Reich des Unmöglichen.

Manchen Themen weicht Gabriel aus

Intern aber macht sich die SPD-Führung längst über nationale Maßnahmen Gedanken. Dass für Gabriel dabei auch Transitzonen an der Landesgrenze für eine schnellere Abschiebung von Flüchtlingen ohne Bleibeperspektive nicht tabu sind, wissen die Genossen, seit Fraktionschef Thomas Oppermann dies öffentlich zur Debatte gestellt hat. Oppermanns Vorstoß sei mit Zustimmung des SPD-Vorsitzenden erfolgt, heißt es in der Partei. In Mainz vermied es Gabriel, konkret auf die Schaffung von Transitzonen einzugehen. Es sei aber wichtig, dafür zu sorgen, dass Flüchtlinge ohne Aussicht auf Asyl das „Land schnell wieder verlassen“.

Die SPD und die Flüchtlingskrise – glaubt man Gabriel, dann stellt sich der SPD mit der Integration Hunderttausender Flüchtlinge nicht nur eine große Aufgabe, sondern auch eine riesige Chance. „Es ist eine Zeit, die keine kleine, sondern eine große Gesellschaftspolitik erfordert“, rief er den Genossen in Mainz zu – eine „sozialdemokratische Zeit“. Wenn es Experten für gesellschaftlichen Zusammenhalt gebe, dann seien es seit mehr als 152 Jahren die Sozialdemokraten.
Ob die von Gabriel umworbene „arbeitende Mitte“ auch so sieht, ob sie glaubt, dass die SPD den eigenen Gestaltungsanspruch erfüllt, wird sich spätestens im März zeigen. Dann entscheiden die Wähler von Rheinland-Pfalz, ob die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Malu Dreyer im Amt bleibt.

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