Robert Habeck zur Endlagersuche: „Sich vor einer Lösung zu drücken, ist wirklich schädlich und feige“
Die Endlagersuche wird Konflikte erzeugen. Ein Gespräch mit dem Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck über die Ängste der Menschen und die Haltung Bayerns.
Herr Habeck, jahrelang war es still um die Endlagersuche. Das wird sich schlagartig ändern, wenn am 28. September ein erster Zwischenbericht veröffentlicht wird. Warum sollte es anders laufen als mit dem Standort Gorleben, um den es Jahrzehnte Widerstand gab?
Die Gefahr, dass es großes Gezerre um einen möglichen Standort gibt, besteht, ja. Aber es gibt einen fundamentalen Unterschied: Als wir gegen Gorleben kämpften, kämpften wir noch für einen Atomausstieg. Jetzt ist die Lage anders: Wir haben die Chance, die Geschichte der Atomenergie endgültig zu beenden. Das müssen wir auch: Der Atommüll lagert großteils in dezentralen Zwischenlagern an den Standorten der Atomkraftwerke. Das sind große Hallen an der Oberfläche. Wenn es weiter keine Lösung gibt, sind irgendwann die Atomkraftwerke zurückgebaut, aber die Lager stehen noch. Und der hochradioaktive Abfall wird dann von der Wach- und Schließgesellschaft bewacht. Das ist mit Sicherheit nicht die sicherste Lösung.
Der Standort ist immer noch im Verfahren. Was hat die Politik aus Gorleben denn gelernt?
Vieles wurde dieses Mal anders gemacht. Es wurde ein neues Verfahren aufgesetzt, das wissenschaftlich und ergebnisoffen ist, also eine Suche auf der weißen Landkarte, jenseits von politischen Vorfestlegungen. Das macht zunächst einmal jeden Standort möglich, Gorleben, aber eben viele andere auch. Der Prozess setzt auf Transparenz und nicht darauf, dass jemand sagt: „Egal, was dabei rauskommt, bei uns nicht“.
Mit dem Geologiedatengesetz, dessen Verabschiedung die Grünen vor kurzem mitgetragen haben, bleiben wohl wichtige Daten unveröffentlicht. Darunter leidet die Transparenz.
Gerade weil die Transparenz so wichtig ist, haben wir den Gesetzentwurf im Bundesrat ja angehalten und dann im Vermittlungsausschuss Verbesserungen durchgesetzt, so dass jetzt das öffentliche Interesse an der Bereitstellung von Daten in der Regel überwiegt. So konnten wir es als Kompromiss mittragen. Sollte sich im Laufe des Verfahrens herausstellen, dass das nicht ausreicht, muss man das noch mal anpacken.
In den Regionen bilden sich bereits Bürgerinitiativen, viele in der Anti-Atomkraft-Szene zweifeln am aktuellen Suchverfahren. Mit welchen Konflikten rechnen Sie?
Die Suche wird uns viele Jahre begleiten. Je konkreter sie wird, desto härter werden die Diskussionen. Aber wenn der Prozess jetzt blockiert wird, scheitert er. Ich schätze die politische Lebensleistung der Menschen in den Initiativen, die gegen die Atomkraft kämpften, die Intransparenz und den Lobbyismus anprangerten. Aber die Vorzeichen haben sich geändert, die Endlagersuche ist eine andere – und sie hat ihre Chance verdient, weil sie mit der Atomkraft aufräumt. Deshalb sehen wir uns als Partei so sehr in der Verantwortung, diesen Prozess konstruktiv voranzutreiben.
In Bayern steht sogar im Koalitionsvertrag, man sei überzeugt: Bayern ist kein geeigneter Standort. Rechnen Sie mit neuen Widerständen auch in der Politik?
Ja. Der bayerische Umweltminister hat ja schon losgelegt und stellt offen den bundesweiten Konsens in Frage. Dabei ist er von Bundestag und Bundesrat beschlossen. Bayern war ein Hauptprofiteur der Atomenergie. Sich dann vor einer Lösung zu drücken, ist wirklich schädlich und feige. Wenn Markus Söder als Ministerpräsident irgendein Gefühl für gesamtstaatliche Verantwortung hat, muss er öffentlich seinen Umweltminister zurückpfeifen und sich zum Verfahren bekennen, also eine weiße Landkarte der gesamten Republik, und zu der gehört auch Bayern. Wie will man denn die Menschen auf den Weg mitnehmen, wenn sich schon Länderchefs querstellen?
Wenn Bayern sagt, „Wir machen da nicht mit“, dann wollen das am Ende auch andere nicht. Wenn schlimmstenfalls Daten nicht mehr geliefert, Planungen sabotiert werden, scheitert die Suche. Der Müll bleibt aber im Land. Von einem Ministerpräsidenten erwarte ich, dass er eine konstruktive Rolle in solch einem schwierigen Prozess übernimmt.
Wie wollen Sie die Menschen denn mitnehmen?
Für viele Menschen sind die Erfahrungen mit der Atomkraft traumatisch, die Ängste sitzen tief. Als Politiker muss man Vertrauen aufbauen, indem man ansprechbar ist, sich kritischen Fragen stellt und unbeliebte Entscheidungen erklärt. Nur so gelingt es. Das wird nicht dazu führen, dass am Ende alle begeistert sind. Aber es kann dazu führen, dass die Menschen den Prozess akzeptieren.
Als Umweltminister in Schleswig-Holstein hatten Sie selbst den Rückbau von vier Atomanlagen zu verantworten. Sie wollten gemeinsam mit den Menschen Deponien für den strahlenden Schrott finden – und erfuhren gewaltigen Widerstand. Was machte die Sache so schwierig?
Schon Ihre Frage weist auf einen Teil des Problems hin: Es geht um Bauschutt aus dem Rückbau. Er wurde aus der Atomaufsicht entlassen, weil es gerade kein strahlender Atommüll ist. Aber allein die Vorstellung, da kommt Bauschutt aus einem Atomkraftwerk, führt zu Ängsten. Das Wort „Atom“ hat eine enorme emotionale Sprengkraft. An den möglichen Deponiestandorten, bei Bürgerinitiativen, war der Widerstand groß.
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Der Prozess scheiterte. Sie machten ohne die Basis weiter. Worin lag dann die Erkenntnis für Prozesse wie die Endlagersuche?
Die Bürgerinitiativen an den Deponiestandorten hatten sich gegen jede Deponierung gestellt, sie wollten letztlich keinen Rückbau der Atomkraftwerke. Also keine Lösung. Aber dann haben wir den Dialog explizit mit den Verantwortungsträgern gesucht – mit Deponiebetreibern, Kommunalverbänden, Umweltverbänden. Sie haben es als ihre Aufgabe angenommen, das Problem mit zu lösen – die Meiler können ja nicht einfach stehenbleiben. Der Prozess ist noch nicht zu Ende. Aber die Erfahrung hat gezeigt, man muss damit rechnen, dass einem im Lokalen die geballte Ablehnung entgegenschlägt. Aber gerade deswegen darf man sich nicht wegducken und muss bereit sein, Verantwortung zu übernehmen, auch wenn es unbequem ist.
Jürgen Trittin hat als Umweltminister Castortransporte nach Gorleben verantworten müssen – gegen die eigene Basis. Würden Sie als Bundesminister einen unbeliebten Standort durchsetzen, um das Verfahren zu retten?
Ja, das würde ich. Aber nicht, um das Verfahren zu retten, sondern um das Kapitel Atomkraft zu beenden. Als ich damals anbot, Castoren aus der Wiederaufbereitungsanlage Sellafield zur Zwischenlagerung in Schleswig-Holstein aufzunehmen, um so den Knoten für einen Neustart der Endlagersuche zu durchschlagen, brach ein Sturm der Entrüstung los. Ein Grüner, der sagt: „Atommüll? Ja bitte“. Es gab Debatten, einen Sonderparteitag und Rücktrittsforderungen. Hätte sich der Landesverband gegen die Aufnahme der Castoren ausgesprochen, wäre ich am Tag danach zurückgetreten.