Chaos in Iowa: Shawn Sebastian wollte doch nur Wahlergebnisse durchgeben
„Das beste Argument dafür, den Caucus abzuschaffen“: Der US-Demokrat Shawn Sebastian beschreibt auf Twitter die chaotische Wahlnacht in Iowa.
Seit anderthalb Stunden wartet der US-Demokrat Shawn Sebastian in der Leitung, um die Ergebnisse aus seinem Wahlbezirk in Iowa zu vermelden. Als er endlich zur demokratischen Parteizentrale von Iowa durchgestellt wird, hängt die nach wenigen Sekunden wieder auf. Der Grund: Sebastian gab dem CNN-Moderator Wolf Blitzer gerade ein Live-Interview und reagierte nicht schnell genug.
Das Video des Interviews erfreut sich online bereits großer Beliebtheit. „Das ist vielleicht das Witzigste, das ich je gesehen habe“, kommentiert ein Nutzer auf Twitter den Clip. Sebastian leitete den Caucus, wie die Bürgerversammlungen heißen, in Story County und sollte CNN am Telefon einen Eindruck von der Wahlnacht vermitteln.
Während er spricht, hört er an einem anderen Telefon plötzlich die Stimme aus der Parteizentrale, auf die er seit Ewigkeiten wartet. „Was für ein Zufall“, sagt der verblüffte Sebastian. Der Moderator fragt noch, ob CNN mithören dürfte, wie er die Resultate vermeldet. Doch es ist bereits zu spät. „Sie haben aufgelegt“, sagt Sebastian und lacht resigniert.
Der Vorfall zeigt, wie chaotisch die Wahlnacht in Iowa abgelaufen ist. Eine App, mit der die Demokraten aus den verschiedenen Wahlbezirken ihre Ergebnisse weiterleiten sollten, funktionierte nicht richtig. Viele warteten daher stundenlang am Telefon, so wie Shawn Sebastian, der als Stratege für das Grassroots-Netzwerk „People's Action“ arbeitet. „Die ganze Erfahrung war surreal“, sagte Sebastian der Zeitung „Washington Post“. „Ich glaube diese Nacht ist das beste Argument dafür, den Caucus abzuschaffen.“
Um kurz nach elf Uhr abends Ortszeit konnte Sebastian dann endlich seine Resultate vermelden. Das Ganze habe mehr als zwanzig Minuten gedauert, schreibt er auf Twitter. „Ich verstehe langsam, warum ich so lange in der Leitung warten musste.“
In Joe Bidens Ecke standen weniger als 30 Menschen
In einer Reihe von Tweets hatte Sebastian vorher den komplizierten Wahlvorgang in Iowa veranschaulicht. An seiner Versammlung hatten 285 Menschen teilgenommen. In einer ersten Abstimmung stellen sich die Bürger in verschiedene Ecken eines Raumes, die die verschiedenen Kandidaten repräsentieren. In Sebastians Wahlbezirk brauchte ein Kandidat mindestens 15 Prozent der Stimmen, um die erste Wahlrunde zu überstehen, was 43 Personen entspricht.
Während sich die Menschen an den Orten im Raum versammelten, sei schnell klar gewesen, wer diese Zahl erreichen würde, schreibt Sebastian. Da etwa in Joe Bidens Ecke weniger als 30 Menschen stünden, teilten sich viele Biden-Anhänger bereits vor der ersten Zählung wieder auf und unterstützen stattdessen andere Kandidaten. Drei Kandidaten erhielten genug Stimmen: Bernie Sanders, Elizabeth Warren und Pete Buttigieg.
„Ich glaube nicht, dass Demokratie so funktioniert“
In einer zweiten Abstimmung teilen sich alle Teilnehmer noch einmal auf diese drei Kandidaten auf. Einige mussten an diesem Zeitpunkt aber bereits nach Hause gehen, schreibt Sebastian. Am Ende erhielt Sanders 116 Stimmen, Warren 82 und Buttigieg 73. Um die Zahl der Delegierten auszurechnen, die auf jeden Kandidaten entfallen, musste Sebastian dann eine Rechenformel verwenden.
Die Zahl der Wähler nach der zweiten Abstimmrunde multiplizierte er mit der Zahl der Delegierten, die der Wahlbezirk insgesamt entsenden kann, in seinem Fall sechs. Diese Zahl musste er dann durch die Zahl der Menschen, die insgesamt an der Wahl teilgenommen hatten, dividieren. Abgerundet kam dabei heraus, dass auf Sanders, Warren und Buttigieg jeweils zwei Delegierte entfallen – obwohl insgesamt 43 mehr Menschen für Sanders stimmen als für Buttigieg.
„Ich finde das wirklich verkorkst“, schreibt Sebastian auf Twitter. „Ich glaube nicht, dass Demokratie so funktioniert.“ Er habe sich aber nur an die Regeln gehalten, und das sei dabei herausgekommen. Das wahre Problem an dem Caucus in Iowa sei nicht die App, die kaputt ist, sondern dass das Wahlsystem viele Menschen diskriminiere.
Alleinerziehende, die sich um ihre Kinder kümmern müssen, Menschen, die nachts arbeiten und alte oder behinderte Menschen könnten nicht an der Abstimmung teilnehmen, schreibt Sebastian. So habe die Wahlbeteiligung in seinem Bezirk bei lediglich 16 Prozent gelegen. Der Caucus sei außerdem nicht repräsentativ, weil er Iowa in den Mittelpunkt der Wahlen rücke - ein zu 90 Prozent weißer Staat. Die demokratische Partei bestehe aber zu über 50 Prozent aus Menschen of Color.
Schon in den vorherigen Jahren gab es Probleme
Die Vorwahlen in Iowa sind nicht das erste Mal, dass ein Caucus schiefgegangen ist. 2016 fiel das Ergebnis zwischen den Demokraten Bernie Sanders und Hillary Clinton denkbar knapp aus. Weniger als ein Prozent der Stimmen trennten die Rivalen damals, das knappste Ergebnis in der Geschichte der Vorwahlen.
Viele forderten damals eine erneute Auszählung, Bernie Sanders Team deckte zahlreiche Unstimmigkeiten bei den Wahlvorgängen auf. Trotzdem wurde Clinton zur Gewinnerin ernannt.
Romney ist der Gewinner - oder doch Santorum?
Auch bei den Republikanern gab es schon Caucus-Probleme. 2012 wurde Mitt Romney zum Gewinner der Vorwahlen in Iowa erklärt, mit nur acht Stimmen Abstand zum zweiten Kandidaten, Rick Santorum. Zwei Wochen später jedoch erklärten die Republikaner Santorum zum eigentlichen Gewinner. Das hätten erneute Auszählungen ergeben.
In dem Jahr ging die Wahl chaotisch weiter. Bei den Vorwahlen in Nevada wurde Romney bereits zum Gewinner erklärt, als die Stimmen des Wahlbezirks mit den meisten Menschen noch gar nicht ausgezählt war. Schon damals stellten einige US-Medien das Caucus-System in Frage.