Vorwahl-Chaos in Iowa: So funktioniert das wohl komplizierteste Wahlverfahren der USA
Warum gibt es noch kein Ergebnis aus Iowa? Weil das Wahlsystem hochkompliziert ist. Am Ende könnte es gar drei Ergebnisse mit drei Siegern geben. Ein Überblick.
Die US-Demokraten haben massive Probleme bei der Auszählung der Präsidentschaftsvorwahl im Bundesstaat Iowa. Dadurch verzögert sich die Bekanntgabe der Ergebnisse des Caucus deutlich. Eigentlich sollten die Zahlen schon am Dienstag in den frühen Morgenstunden mitteleuropäischer Zeit feststehen. Nun soll von Hand ausgezählt werden, Ergebnisse werden erst im Laufe des Tages erwartet.
Zentral für die Probleme ist offenbar eine neue App, mit der die einzelnen Wahllokale ihre Ergebnisse an die Zentrale übermitteln sollten. Schon vor der Wahl war kritisiert worden, dass dieses Handy-Programm nicht ausreichend getestet worden sei. Zudem gibt es in Iowa ein hochkomplexes Wahlsystem - das vielleicht komplizierteste der USA -, das für jeden Kandidaten in jedem der 1700 Wahlbezirke drei unterschiedliche Ergebnisse produziert.
Chaos mit Ansage: So funktioniert das Wahlsystem in Iowa
Der Hintergrund: Nach dem extrem engen Ergebnis bei den demokratischen Vorwahlen in Iowa im Jahr 2016, als Bernie Sanders nur ganz knapp Hillary Clinton unterlag, forderte Sanders ein neues System für die Auszählungen. Ursprünglich bestand das Ergebnis der Vorwahlen immer nur aus einer Zahl, nämlich der der Delegierten.
Bei den Vorwahlen in diesem Jahr müssen dagegen drei Zahlen gemeldet werden, um besser abzubilden, wie viele Wähler genau sich für einen Kandidaten entschieden haben.
Die erste Zahl: In einer sogenannten ersten Aufstellung ("first alignment") stellen sich die Wähler in einem Wahllokal buchstäblich für einen Demokraten auf und werden gezählt. In Iowa gibt es knapp 1700 Bürgerversammlungen, in denen gewählt wird und in denen sich die Bürger zu einer festgelegten Uhrzeit für den Wahlprozess versammeln, der mehrere Stunden dauern kann. Soweit so einfach. Dann wird an die Zentrale übermittelt, welcher Kandidat wieviele Wähler bei sich versammeln konnte.
Der Leiter für die Bürgerversammlung in Story County, Shawn Sebastian, twitterte die Ergebnisse der ersten Runde für seinen Bezirk:
Die zweite Zahl: Bekommt ein Kandidat in einer Aufstellung in einer Bürgerversammlung nicht genügend Stimmen - meist, aber nicht immer, liegt die Grenze bei 15 Prozent - müssen sich dessen Wähler anderen Kandidatengruppen anschließen oder können einfach nach Hause gehen, wie die Statistik-Webseite "Fivethirtyeight" erklärt.
Wenn Elizabeth Warren also nur zehn Prozent der Wähler in einem Bezirk auf sich versammelt, müssen sich diese Wähler auf andere Kandidaten aufteilen, zum Beispiel auf Joe Biden oder Bernie Sanders. Nun wird noch einmal gezählt, wie viel Bürger jeder Kandidat hinter sich versammelt ("second alignment"). Auch für diese zweite Aufstellung werden die Wählerzahlen an die Zentrale übermittelt.
Zu diesem Zeitpunkt gibt es also zwei Ergebnisse, wie die Wähler abgestimmt haben.
Als wäre das nicht genug, kommt ein weiteres, drittes Ergebnis hinzu: Denn die Ergebnisse des zweiten Ergebnisses, des "final alignement", werden in Delegierte umgerechnet. Das war in früheren Vorwahlen die einzige Zahl, die am Ende des Wahlprozesses in Iowa übermittelt wurde. Das Ranking der dritten Zahl kann sich von dem der zweiten Zahl unterscheiden, weil die Ergebnisse der Bürgerversammlungen nicht gleichwertig gewichtet werden, sondern nach einem komplizierten Verfahren – das frühere Wahlergebnisse der Demokraten mit einberechnet – einzelne Bezirke stärker wertet als andere. Das Verfahren führt wieder dazu, dass erfolgreiche und weniger erfolgreiche Kandidaten gleich viele Delegierte bekommen.
Das Wahlsystem in Iowa führt somit dazu, dass es am Ende drei Sieger geben könnte.
Um die Auszählung und Übermittlung all der unterschiedlichen Ergebnisse zu beschleunigen, wurde im Vorfeld der Wahl eine App gebaut, die alle Zahlen sammeln sollte. Das Problem: Viele Distrikte nutzten die App nicht, um ihre Zahlen zu melden, sondern übermittelten sie an eine Telefonhotline, die in der Folge heillos überlastet war. Der Grund, wie die "New York Times" berichtet: Der Login-Prozess für die App funktionierte wohl nicht reibungslos.
Das Wahlsystem der Demokraten in Iowa erklärt auch das folgende Video:
Die gute Nachricht ist: Iowa ist der einzige Bundesstaat mit diesem komplizierten Wahlsystem bei den Vorwahlen.
[Mehr zum Thema: Vorwahl-Chaos in Iowa – Das gefährliche Spiel der US-Demokraten mit Spins und Halbwahrheiten]
Bereits im Vorfeld hatten Experten kritisiert, dass die Übertragung der Wahlergebnisse per App stattfinde. Einige Demokraten und Wahlhelferteams kritisierten, dass die App nicht ausreichend getestet worden sei. Für den Fall, dass die App nicht funktioniere, sollten die Wahlhelfer die Ergebnisse per Telefon durchsagen – doch auch das funktionierte nicht richtig. Die Leitung soll aber ständig besetzt gewesen sein, sagte der Demokrat Tom Courtney dem Hörfunknetzwerk National Public Radio.
Neben dem technischen System zur Erfassung der Resultate gibt es demnach auch Fotos der Abstimmungsergebnisse sowie schriftliche Unterlagen – und diese Ergebnisse stimmten nicht überein. Es solle nun sichergestellt werden, dass die Ergebnisse vor einer Veröffentlichung korrekt seien, erklärten die Demokraten.
Laut „The Hill“ gibt es nun großen Frust bei der Parteibasis. Die Wahlkämpfer für die Kandidaten hätten keine Informationen aus der Parteizentrale bekommen. Eine Telefonkonferenz von Wahlkampfteams mit der Parteiführung von Iowa sei abgebrochen worden. „Wir wissen nichts bis irgendwann am Morgen (Ortszeit). Alle Kampagnenmitglieder sind wütend“, zitierte „The Hill“ einen Wahlkampfleiter eines führenden Kandidaten.
Sanders und Buttigieg reklamieren Sieg für sich
Sowohl Senator Bernie Sanders als auch Pete Buttigieg reklamierten den Sieg für sich. Sanders Wahlkampfteam veröffentlichte eigene Zahlen. Demnach liege Sanders nach Auszählung von knapp 40 Prozent der Stimmen mit gut 28,6 Prozent vor dem früheren Bürgermeister Pete Buttigieg, der auf 25,7 Prozent komme. Buttigieg twitterte dagegen, er sei in Iowa siegreich gewesen.
Vorwahl in Iowa: Spott von den Republikanern
Der Wahlkampfmanager von US-Präsident Donald Trump, Brad Parscale, spottete über die Demokraten. Sie könnten nicht einmal eine Vorwahl ausführen, wollten aber die Regierung übernehmen, schrieb er auf Twitter. Präsidentensohn Eric Trump schrieb auf Twitter, deshalb wollten die Menschen nicht, dass die Demokraten die USA regierten.
Mehrere der Bewerber um den Posten als Trump-Herausforderer traten schon vor Veröffentlichung der Ergebnisse vor ihre Anhänger und versicherten, sie hätten erfolgreich abgeschnitten. So äußerten sich der linksgerichtete Senator Bernie Sanders, der in Umfragen für Iowa in Führung gelegen hatte, Vizepräsident Joe Biden sowie die Senatorinnen Elizabeth Warren und Amy Klobuchar.
Derweil gewann US-Präsident Donald Trump die Vorwahl in Iowa, wie seine Republikaner mitteilten. Das hatte als reine Formsache gegolten: Der Amtsinhaber hatte keine aussichtsreichen Herausforderer. (mit AFP, dpa)