Vorwahlkampf der US-Demokraten: Kann Bernie Sanders gewinnen?
Der Senator aus Vermont liegt in Umfragen für Iowa erstmals vorne. Mit seinen Angriffen auf die demokratischen Mitbewerber heizt er den Vorwahlkampf an.
Elizabeth Warrens Kampagnen-Mail am frühen Montagmorgen klingt verschnupft. "In der vergangenen Nacht haben uns enttäuschende Neuigkeiten erreicht", steht da. "Bernie Sanders' Wahlkampfteam hat seine Freiwilligen angewiesen, unserer breit aufgestellten, inklusiven Kampagne eine Absage zu erteilen." Es werde gestreut, dass vor allem gebildete Gutverdiener Elizabeth Warren unterstützten. Diese Beschreibung sei aber falsch. Und solche Attacken hätten auch nichts damit zu tun, dass man bei Inhalten unterschiedlicher Meinung sei, es gehe nur darum, ihrer Bewegung zu schaden. "Lasst es uns klar sagen: Als Partei, aber auch als Land können wir es uns nicht leisten, so gespalten wie bei den Vorwahlen 2016 zu sein. Um im November zu gewinnen, brauchen wir einen Kandidaten, der eine breite Koalition von Demokraten vereinen kann."
Der Unmut im Team der Präsidentschaftskandidatin zeigt, wie blank die Nerven im Vorwahlkampf der US-Demokraten auf einmal liegen. Schon in drei Wochen bestimmen deren Wähler in Iowa ihren Spitzenkandidaten für die Präsidentschaftswahl im November, als erster der 50 amerikanischen Bundesstaaten. Bisher gab es eine Art ungeschriebenen Nichtangriffspakt zwischen den beiden US-Senatoren Warren und Sanders. Beide stehen für eine deutlich linkere Politik als etwa der ehemalige Vizepräsident Joe Biden. Beide sprechen aber auch ähnliche Wählergruppen an. Und darin liegt das Problem: Denn nur einer kann gewinnen.
Sanders hat seine Herz-OP gut überstanden
Nach Sanders' Herzinfarkt und der anschließenden Herz-OP im vergangenen Herbst hatte es zunächst so ausgesehen, als habe seine Kampagne ihren Zenit überschritten. Eine tadellose Gesundheit gilt eigentlich als Grundvoraussetzung für einen erfolgreichen Präsidentschaftswahlkampf. In Warrens Team rechnete so mancher damit, dass der 78-Jährige in absehbarer Zeit aufgeben würde und seine zahlreichen Anhänger, darunter viele junge und extrem motivierte Freiwillige, auffordern würde, sich hinter der Kampagne seiner Mitbewerberin zu versammeln. Immerhin wollen beide ja Ähnliches: etwa Reiche und große Unternehmen stärker besteuern und eine staatliche Krankenversicherung für alle einführen.
Doch Sanders erholte sich zunehmend, und genauso taten es seine Umfragewerte. In einer großen, am Freitag veröffentlichten Erhebung führt er erstmals das Kandidatenfeld in Iowa an, vor Warren (20 zu 17 Prozent). Und auch im Durchschnitt der Umfragen für den Bundesstaat liege Sanders vorne, schreibt die Internetseite realclearpolitics.com. Knapp dahinter folge der ehemalige Bürgermeister aus South Bend (Indiana), Pete Buttigieg (21,3 zu 21 Prozent), der wie Biden als ein Kandidat der Mitte gilt. In der gleichen Erhebung für New Hampshire, wo eine Woche nach Iowa gewählt wird, liegt Sanders mit größerem Vorsprung vor Biden (21,5 zu 18,8 Prozent).
In den nationalen Umfragen führt Joe Biden
Auch wenn in den nationalen Umfragen noch immer Joe Biden deutlich führt (derzeit mit 29 Prozent vor Sanders mit 20 Prozent), fühlen sich Beobachter schon an 2016 erinnert, als der knorrige Senator aus Vermont im Vorwahlkampf knapp gegen Hillary Clinton verlor und seine Anhänger der Siegerin die Unterstützung verweigerten. Nicht wenige in der Demokratischen Partei machen ihn mitverantwortlich für die anschließende Niederlage gegen den politischen Outsider aus New York, Donald Trump. Die große Sorge ist, dass Sanders dies wiederholen und damit die Partei spalten könnte. Die "New York Times" zitierte Claire Celsi, Senatorin in Iowa, mit den Worten, sie sei nicht überrascht über die Angriffe auf Warren. Das habe er auch mit Hillary Clinton gemacht. "Mehr vom Gleichen."
Auch Ex-Vizepräsident Biden muss sich Attacken von Sanders' Wahlkampfteam gefallen lassen. Mit Blick auf den schwelenden Iran-Konflikt griffen Sanders' Leute das Abstimmungsverhalten des damaligen Senators Biden vor dem Irak-Krieg 2003 an. Biden hatte der Invasion damals zunächst zugestimmt und sich erst später kritisch geäußert. Sanders lehnt US-Militäreinsätze im Ausland kategorisch ab und stimmte damals als einer von wenigen Kongressabgeordneten gegen den Einsatz im Irak.
Rekordverdächtig viele Spender für Sanders
Zum Jahresanfang lautetet eine beliebte Schlagzeile: "Ja, Bernie Sanders könnte der Kandidat werden - und es wäre ein gigantischer Albtraum für die Demokraten". Wie die Internetseite "The Daily Beast" registrierten auch andere US-Medien Sanders' Aufstieg. So titelten die "New York Times" und die "Chicago Tribune" wortgleich in den vergangenen Tagen: "Natürlich kann (Bernie) Sanders gewinnen".
Auch sammelte der Senator im vierten Quartal 2019 rekordverdächtig viele Spenden (34,5 Millionen Dollar), obwohl er finanzielle Unterstützung von Konzernen und Lobbygruppen ablehnt und sein Wahlkampfbudget stattdessen auf viele kleine Spenden stützt: Fünf Millionen einzelne Unterstützer sollen es zum Ende des Jahres bereits gewesen sein - so viele, wie kein anderer Bewerber hinter sich versammelt habe, brüstete sich Sanders. Lediglich der Präsident selbst übertrumpfte diese Einnahmen: Sein Team verzeichnete Spenden in Höhe von 46 Millionen Dollar im letzten Quartal.
Trump wendet sich Sanders zu
Dass Trump, inzwischen seit drei Jahren Präsident und fest entschlossen, am 3. November wiedergewählt zu werden, seine Aufmerksamkeit gerade wieder Sanders widmet, zeigt, dass auch die republikanischen Wahlkämpfer die Verschiebung beobachtet haben. "Wow! Crazy Bernie", so Trumps Spitzname für Sanders, lege in den Umfragen gerade zu, twitterte der Präsident am Sonntag. Es sehe gut für ihn im Feld der "Partei der Nichtsnutze" aus. Was das bedeute? "Bleibt dran", riet Trump seinen Followern.
Sanders ließ es sich nicht nehmen und twitterte zurück: "Es bedeutet, dass Sie verlieren werden."
Ist Bernie Sanders also der neue heiße Favorit der Demokraten? Anhaltspunkte könnte es am Dienstagabend geben, wenn sechs der verblieben demokratischen Präsidentschaftsbewerber in der nächsten TV-Debatte aufeinander treffen. Vielleicht formen die beiden aber auch wieder ein Team gegen die moderaten Mitbewerber Biden und Buttigieg. Auf Warrens Kritik an seiner aggressiven Wahlkampfstrategie entgegnete Sanders schon mal, dass die Berichte übertrieben seien. Er persönlich habe sie nie angegriffen. "Elizabeth Warren ist eine sehr gute Freundin."