Im Schnellverfahren: Serben liefern Mladic aus
16 Jahre war Ratko Mladic auf der Flucht, am Dienstag wurde er nach Den Haag ausgeliefert. Dort droht dem "Schlächter von Srebrenica" eine Verurteilung wegen Völkermords.
Plötzlich ging alles ganz schnell am Dienstag. Am Mittag hatte die serbische Justiz den Berufungsantrag des früheren Generals Ratko Mladic gegen seine Auslieferung an das UN-Tribunal für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag abgelehnt, wenige Stunden später fuhr eine Kolonne schwarzer Geländewagen vor dem Belgrader Gericht vor, in dem der mutmaßliche Kriegsverbrecher in einer Zelle saß. Mladic wurde zum Flughafen gebracht und nach Den Haag geflogen. Schwer bewaffnete und vermummte Gendarmerieeinheiten sicherten die Aktion.
Der 69-jährige Mladic traf in einer Sondermaschine der serbischen Regierung in Rotterdam ein. Von dort wurde er unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen in das Gefängnis in Scheveningen überstellt, wie am Abend offiziell bestätigt wurde. Damit ist für Serbien eines der unrühmlichsten Kapitel seiner Geschichte so gut wie abgeschlossen.
Mladic muss jetzt innerhalb von 48 Stunden erstmals vor dem Richter des UN-Tribunals erscheinen. Dann wird ihm die Anklage verlesen, anschließend muss er sich für schuldig oder unschuldig bekennen.
Mladic galt fast 16 Jahre lang als der meistgesuchte Mann Europas. Am vergangenen Donnerstag meldete Serbiens Präsident Boris Tadic überraschend seine Festnahme. Offenbar hatte er sich die ganze Zeit über in Serbien versteckt gehalten, zuletzt unter falschem Namen bei einem Verwandten in einem kleinen Ort. Bosnisch-serbische Truppen waren unter seinem Befehl am 11. Juli 1995 in die ostbosnische Stadt Srebrenica einmarschiert und hatten binnen weniger Wochen rund 8000 muslimische Männer und Jungen getötet. Das Massaker gilt als schlimmstes Kriegsverbrechen seit dem Zweiten Weltkrieg.
Mladics Sohn sagte vor wenigen Tagen, sein Vater lehne jede Verantwortung für die Massaker ab. Diese seien vermutlich "hinter seinem Rücken passiert", erklärte Darko Mladic. Die Familie hatte bis zuletzt versucht, die Auslieferung des früheren Generals zu verhindern. Sie argumentierte, der 69-Jährige sei nach einem Schlaganfall und wegen Herzproblemen nicht verhandlungsfähig. Ein Ärzteteam befand jedoch, dass Mladic sehr wohl einem Prozess folgen könne.
In Den Haag ist Mladic wegen Völkermords, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Bosnien-Kriegs (1992-1995) angeklagt. Im droht lebenslange Haft. Vorsitzender Richter in dem Prozess wird der frühere Berliner Justizstaatssekretär Christoph Flügge sein. Einer seiner Zellennachbarn ist zudem ein alter Bekannter: der frühere bosnische Serbenführer Radovan Karadzic. Auch er hatte sich über Jahre in Serbien versteckt gehalten, bis er 2008 in einer Belgrader Wohnsiedlung entdeckt wurde. Beide mutmaßlichen Kriegstreiber wurden offenbar während ihrer Flucht von alten Seilschaften aus der Milosevic-Ära geschützt. Diese sollen noch immer großen Einfluss im Land haben. Slobodan Milosevic selbst, der frühere serbische Präsident, stand ebenfalls in Den Haag vor Gericht. Er starb allerdings vor einer Urteilsfindung im Gefängnis an Herzversagen.
Mit Ratko Mladic kommt nun einer der letzten Verantwortlichen für die Zerfallskriege im ehemaligen Jugoslawien nach Den Haag. Die EU hatte seine Verhaftung und Auslieferung zur Voraussetzung für eine Annäherung Serbiens an die EU gemacht. Mit dem Abflug Mladics ist die Regierung in Belgrad diesem Ziel ein gutes Stück näher gekommen.
Als Geste der Menschlichkeit erlaubten die serbischen Behörden Mladic am Dienstagmorgen noch, das Grab seiner Tochter Ana in Belgrad zu besuchen. Sie hatte sich 1994 im Alter von nur 23 Jahren im Haus ihrer Eltern erschossen - möglicherweise, weil sie die Taten ihres Vaters nicht ertragen konnte. Mladic sei unter Polizeibewachung zum Friedhof Topcidersko in der serbischen Hauptstadt und anschließend wieder in seine Zelle gebracht worden, sagte ein Sprecher der serbischen Staatsanwaltschaft für Kriegsverbrechen, Bruno Vekaric.
Vielen vor allem nationalistischen Serben gilt Mladic indes noch immer als Held. Tausende Anhänger demonstrierten am Dienstag in Banja Luka gegen die Verhaftung ihres Idols. Nach Angaben der Organisatoren beteiligten sich rund 10.000 Menschen an den Protesten.
Ulrike Scheffer