Ratko Mladic: Die Bewältigung der Vergangenheit
Das Massaker von Srebrenica hat die Menschen in Bosnien traumatisiert. Hilft die Verhaftung des Ex-Generals bei der Aufarbeitung der Balkankriege in der Region?
Am Belgrader Flughafen stach er gleich ins Auge – der Steckbrief von Ratko Mladic. Hinter der Passkontrolle aufgehängt konnten Besucher das Konterfei des mutmaßlichen Kriegsverbrechers kaum übersehen. Und das sollten sie wohl auch nicht. Serbien tut alles, um Mladic zu fassen, so die Botschaft. Die ausgelobte Belohnung war entsprechend hoch und in Euro angegeben: eine Million. In Bosnien, Kroatien oder dem Kosovo zweifelten allerdings viele daran, dass es Serbien mit der Aufarbeitung seiner Geschichte wirklich ernst meint. Die Verhaftung werde nun vielen Opfern Genugtuung verschaffen, sagt Dragoslav Dedovic vom Forum Ziviler Friedensdienst, das lokale Friedensinitiativen in den Balkanstaaten unterstützt. Ob es die Aussöhnung in der Region wirklich voranbringe, wie Außenminister Guido Westerwelle vermutet, müsse sich aber erst noch zeigen. „Politische Blockaden aufzulösen, ist die eine Seite der Medaille, gesellschaftliche Veränderungen die andere.“ Immerhin gibt es heute eine ganze Reihe Versöhnungsinitiativen auf dem Balkan. Dazu gehören Schulprojekte, Sportveranstaltungen, ein bosnisch-serbisches Literaturfestival und sogar Treffen von Veteranenverbänden. Menschenrechtler aus der Region haben eine Wahrheitskommission gegründet, die sich um die Aufklärung der Fakten bemüht. Wer hat was wann wo getan? Oft genug ist das bis heute nicht bekannt, kursieren Legenden, Horrorgeschichten, Lügen. Herausgekommen ist dabei unter anderem, dass es in den Kriegen in Kroatien, Bosnien und dem Kosovo weniger Tote gab als zunächst angenommen.
Klar ist auch, dass nicht nur die Serben für Gräueltaten verantwortlich sind. Ein Bericht des Europarats untermauerte erst kürzlich Hinweise, wonach Kämpfer der Kosovo-Befreiungsarmee UCK serbische Kriegsgefangene folterten, ermordeten und die Organe ihrer Opfer dann verkauften. Die auf Initiative von Bill Clinton gegründete „Internationale Kommission für vermisste Personen“ (ICMP) konnte außerdem das Schicksal vieler Vermisster aufklären. „Wir haben die Regierungen dazu gebracht, alle Informationen über Massengräber preiszugeben“, erklärt Adam Boys von der ICMP. Das Ergebnis: 26 000 der insgesamt 40 000 Menschen, die nach den Kriegen in der Region vermisst wurden, konnten gefunden werden. 30 000 Namen standen allein auf den Vermisstenlisten in Bosnien-Herzegowina, heute sind es noch 10 000. In Srebrenica, wo Mladics Schergen 8000 Männer und Jungen ermordeten, werden noch immer jedes Jahr hunderte Opfer beigesetzt. Mit jedem neuen Massengrab kommen grausame Details ans Licht – von zerstückelten Leichen etwa, die auf mehrere Gräber verteilt wurden, um Spuren der Täter zu verwischen. Manche Frauen müssen nach dem ersten Fund Jahre warten, bis sie ihre Söhne oder Männer würdig bestatten können. „Diese Festnahme macht mich überhaupt nicht glücklich“, sagt Hatidza Mehmedovic nach der Verhaftung von Ratko Mladic. Sie hat ihre beiden Söhne und ihren Mann verloren. „Es ist nur ein Tropfen Gerechtigkeit.“ An Versöhnung können die Mütter von Srebrenica nicht denken. Bosnien-Herzegowina, Hauptschauplatz des Krieges, trägt schwer an diesem Erbe. Der Bundesstaat aus muslimischen Bosniaken, Kroaten und Serben tritt seit seiner Gründung auf der Stelle. Vor allem die Serben drohen immer wieder mit Abspaltung und blockieren damit jede Reform. „Neueste Studien zeigen, dass die Spannungen zwischen den Volksgruppen immer größer werden“, sagt Dragoslav Dedovic vom Forum Ziviler Friedensdienst.
Von außen jedoch kommen andere, positive Gesten. Serbiens Präsident Boris Tadic hat 2010 erstmals an der jährlichen Gedenkfeier in Srebrenica teilgenommen, das serbische Parlament sich für die Massaker entschuldigt. Kroatiens Präsident Ivo Josipovic entschuldigte sich ebenfalls für Verbrechen der kroatischen Armee in Bosnien-Herzegowina. Beide Länder verfolgen Kriegsverbrecher aus den eigenen Reihen und stellen sie vor Gericht. Kroatiens Ex-Premier Ivo Sanader sitzt ebenso im Gefängnis wie nun Ratko Mladic. „Das ist der einzige Weg, die Menschen von ihrer kollektiven Schuld zu befreien, die ihnen nicht hätte aufgebürdet werden sollen“, sagt der kroatische Vizepremier Slobodan Uzelac.