Serbien: Ratko Mladic: Der Mördergeneral
Ratko Mladic war einer der gefährlichsten Männer an der Seite des von Großserbien träumenden Slobodan Milosevic. Eiskalt, brutal, verantwortlich für das Massaker von Srebrenica. Bis zu seiner Verhaftung sollte es 16 lange Jahre dauern.
Von Jahr zu Jahr wurden es mehr Gerüchte. Der ehemalige General der bosnischen Serben sei schon gestorben, hieß es. Ratko Mladic müsse für tot erklärt werden, verlangte seine Familie, allen voran die auf Witwenrente hoffende Ehefrau. Nein, er sei noch da, doch sei er sterbenskrank, verbreiteten andere Eingeweihte. Unsinn, widersprachen Experten, er bewege sich nächtens munter und gesund von Quartier zu Quartier in den Bergen zwischen Montenegro und Serbien. Der mutmaßliche Massenmörder wohne, so raunte ein Militärattaché der Botschaft eines Nato-Staates vor einigen Jahren, längst als Farmer in Texas.
Mladic, das Phantom. Mladic, der Entronnene, ewig auf der Flucht, der Mann, um dessentwillen das Den Haager UN-Tribunal für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien (ICTY) seine Pforten weiter aufhält. Denn dieses internationale Strafgericht will seine letzten Fälle schon fast abgeschlossen haben. Zwei aus dem Trio der Meistgesuchten hatte man inzwischen erwischt: Slobodan Milosevic und Radovan Karadzic. Nur er fehlte, der Mördergeneral, angeklagt wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wegen Genozids, Komplizenschaft mit Genozid und Verfolgung im Bosnien der jugoslawischen Zerfallskriege, wo sich bosnisch-serbische Armee, Polizeieinheiten und Milizionäre der „ethnischen Säuberungen“ an abertausenden muslimischen Zivilisten schuldig gemacht hatten.
Am ICTY aber war man sich all die Jahre sicher: „Wir wissen genau, wo Mladic steckt.“ Und zwar auf serbischem Territorium. Eine hochrangige Mitarbeiterin sagte einst: „Wir wissen sogar, wann er aufsteht, wann er duscht.“ Eine Handhabe hatte das ICTY aber nicht. Serbiens Regierungen, eine nach der anderen, haben stets bestritten, zu wissen, wo Mladic sich aufhält. Der General gilt vielen im Volk bis heute als Held. Doch nun, da Präsident Boris Tadic am Donnerstagmittag die Festnahme eines der meistgesuchten Männer der Welt bekannt gab, sieht es ganz so aus, als habe man am ICTY recht gehabt. In Lazarevo, einem Örtchen in Serbiens nördlicher Provinz Vojvodina, soll er sich im Haus eines Verwandten versteckt gehalten haben. In einem unscheinbaren bäuerlichen Anwesen, dessen Eingangstor ganz rostig ist. An das Ortsschild klebte jemand am selben Tag einen Zettel: „Ratko – Held“ stand da drauf.
Geboren am 12. März 1942 in Kalinovik, Bosnien und Herzegowina, war der Berufsmilitär Ratko Mladic einer der gefährlichsten Leute an der Seite des von Großserbien träumenden Slobodan Milosevic. In den Kriegsjahren stieg er rasant auf, vom Kommandeur des 9. Korps der Jugoslawischen Volksarmee (JVA) im Juni 1991 zum stellvertretenden Oberkommandierenden der JVA im belagerten Sarajewo am 10. Mai 1992 und wenige Tage später zum alleinigen Befehlshaber der bosnisch-serbischen Armee. Dreiviertel des Landes hatten seine marodierenden Soldaten binnen kurzem erobert und damit „serbisiert“. Im Juni 1994 wurde Mladic in den Rang des Generals erhoben. Ende Juli 1995 hatte das Jugoslawien-Tribunal den General auf dem Radar: Die offizielle Anklage bestand seitdem.
Mit außergewöhnlichem Zynismus und pathologischer Gefühlskälte hatte der General seine „Säuberungstaten“ geplant und ausführen lassen. Bis ins Detail vorbereitet war vor allem seine grauenvollste Tat, die Auslöschung des eingekesselten Städtchens Srebrenica in Ostbosnien, wo im Sommer 1995 mehr als 8000 Jungen, Männer und Greise vor die Mündungen der „Säuberer“ getrieben wurden. Denen war es darum gegangen, sämtliche männlichen Einwohner zu töten, um das Fortbestehen der muslimisch geprägten Bevölkerungsgruppe für alle Zeiten zu verhindern. Von den Vereinten Nationen unter deren General Morillon zur „Schutzzone“ erklärt, hatte der kleine Bergort tausende Zivilisten aus dem Bürgerkriegsgebiet angezogen. Doch die UN erwiesen sich als unfähig, Schutz zu gewähren.
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Während serbische Milizen um die Schutzzone herum die Konvois mit Nahrung und Medikamenten blockierten und plünderten, wurde das Leben in Srebrenica monatelang zur Qual. Es fehlte an Wasser, Essen, Strom, medizinischer Versorgung. Als ihm die Bevölkerung des Ortes mürbe genug erschien, bereitet General Mladic das Erstürmen der Enklave vor. UN-Wachsoldaten, die um das Städtchen postiert waren, flüchteten. Den niederländischen Kommandanten des Uno-Trüppchens, Ton Karremans, lud Mladic auf ein Glas Schnaps ein und sicherte sich dessen Hilfe beim Trennen der Männer von den Frauen zu. Man wolle lediglich, so Mladic, alle Männer durchleuchten, um herauszufinden, ob sich unter ihnen bosnische Milizionäre befänden. So halfen die UN-Soldaten mit, sämtliche männlichen Bewohner der Enklave auf Busse und Lastwagen zu verfrachten, die sie zu den Killing Fields brachten. Tagelang hallten dort die Salven der „Säuberer“.
Gäbe es nicht Zeugen – den Soldaten Drazen Erdemovic, der hunderte erschoss und später in Den Haag aussagte, den Überlebenden „Zeugen O.“, den die Schüsse verfehlt hatten, der unter den Toten hervorkroch und sich rettete – dann wäre die Dimension des Verbrechens von Srebrenica nicht so drastisch ans Licht gekommen, wie das in mehreren Verfahren am ICTY inzwischen geschehen ist. Hauptzeugen wären dann allein die Knochen gewesen. Aus den Massengräbern Ostbosniens graben Forensiker immer noch die Überreste der Opfer aus. „Hier im serbischen Srebrenica sehen wir uns wieder einmal am Vorabend eines gewaltigen serbischen Festes“, hatte Mladic damals in Srebrenica in die laufende Kamera gesagt. An Beweismitteln gegen ihn wird es nicht mangeln.
Mladics Opfer, die Überlebenden und Hinterbliebenen der Gräueltaten, leben inzwischen um den ganzen Globus verteilt, etwa in St. Louis, Missouri, wo eine ganze Kolonie überlebender Bosnier sich angesiedelt hat. Aber auch in London und Toronto, in Berlin und Stockholm. Srebrenica ist heute ein Ort, der wie von einer Zentrifugalkraft zerstört, in Fragmenten um die Welt verteilt. Fast alle der Überlebenden haben Proben ihrer DNA an die Forensiker abgegeben, zum Abgleich mit den Toten, die im bosnischen Tuzla in einer riesigen Kühlhalle lagern. Jeder der Überlebenden weiß, dass jederzeit das Telefon klingeln kann und es heißt: Man hat deinen Vater identifiziert. Sie haben deinen Bruder gefunden. Wir können deinen Onkel bestatten. Wer es sich leisten kann, der fährt jeden Sommer zu den Massenbestattungen der identifizierten Toten an die Gedenkstätte Potocari bei Srebrenica. In der Trauer haben sie jedes Jahr gefragt: Und was ist mit Mladic, dem Mörder? Dieses Jahr haben sie wenigstens auf diese Frage eine Antwort.