Merkels Besuch in China: „Selbst eine durch Trump verhunzte Demokratie steht uns näher“
EU-Parlamentarier Reinhard Bütikofer über den richtigen Umgang mit China, die Furcht vor ökonomischer Abhängigkeit und Pekings Großmachtpolitik. Ein Interview.
Bundeskanzlerin Angela Merkel reist nach China. Sie muss Deutschlands wichtigsten Handelspartner in Asien umwerben. Es gehe darum die Kooperationschancen zu nutzen, dabei aber die eigenen Interessen kantiger zu vertreten, meint der Grünen-Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer.
Peking geht hart gegen die Demokratiebewegung in Hongkong und im „Mainland“ vor, versündigt sich an Klima und Umwelt, spitzt den Zollkrieg mit den USA zu, schüchtert Nachbarn ein. Wie gefährlich ist China?
Wir sollten China nicht als Schlange beschreiben, vor der wir als Kaninchen angstvoll erstarren wollen. Und Gefahren kommen von verschiedenen Seiten; im Wirtschaftskrieg zwischen USA und China liegt die Verantwortung nicht nur in Peking. Es stimmt, dass China zunehmend machtvoll auftritt. Gefährlich? Gefährlich wäre, wenn wir falsch darauf reagierten. Ökonomische oder technologische Abhängigkeit Deutschlands und Europas von China ist doch kein Schicksal, auch wenn wir im industriellen Wettbewerb angesichts etwa des Programms „Made in China 2025" uns anstrengen müssen, innovativ auch in Zukunft auf der Höhe zu sein.
Was wären falsche Reaktionen?
Einerseits Überheblichkeit. Zu lange haben viele so getan, als seien wir im Westen auf ewig der Nabel der Welt. Oder behauptet, China könnte nur kopieren, nicht aber eigenständige Innovation. Quatsch. Zweitens sollten wir nicht wie Donald Trump auf Totalkonfrontation setzen und auch nicht auf ein „Decoupling“ von der chinesischen Wirtschaft. Europa muss Kooperationschancen nutzen, seine Interessen dabei aber kantiger vertreten und darf sich die Risiken nicht schönreden. China ist eben auch, wie die EU zu Recht feststellte, ein systemischer Rivale. Im Innern verfolgt China eine Gesellschaftsordnung, die mit unserer nichts zu tun hat. Und es gibt Ansätze zum Autoritarismusexport. China redet von Multilateralismus, untergräbt ihn aber durch die Belt&Road-Initiative und durch seine Großmachtpolitik. Es verursacht regionale Instabilität im Südchinesischen Meer oder durch eine aggressivere Taiwan-Politik. All das aber nur zu kritisieren, hilft nicht weiter. Europa muss an seiner eigenen Weltpolitikfähigkeit arbeiten, wie Präsident Juncker das nannte. Dazu gehört, nochmal, Kooperation, wo möglich.
Was kann Europa tun?
Europa sollte zum Beispiel seine eigene Konnektivitätsstrategie als Antwort auf die Neue Seidenstraße ernst nehmen. Wir können in Asien bessere Partner sein als bisher, intensiver etwa mit Japan kooperieren. Statt sich über chinesische Spaltungsversuche in Europa zu beklagen, muss die EU darauf achten, selbst keine Spaltungen zu verursachen wie etwa mit der deutsch-russischen Gaspipeline Nord Stream 2. Wir brauchen auch eine gemeinsame europäische Industriepolitik statt einer bloß deutschen, wie sie das Bundeswirtschaftsministerium verfolgt.
Wo prallen die beiden aufeinander?
Überall dort, wo wir nicht fragen, wie wir die Kooperation mit europäischen Partnern voranstellen können. Uns wird es in Deutschland auf Dauer nur gut gehen, wenn es uns nicht allein gut geht. Die Länder und Märkte am Rande der EU dürfen nicht die Bindung zum Kern verlieren. Große Anstrengungen zur Digitalisierung für den deutschen Mittelstand sind notwendig, aber warum daraus nicht eine gemeinsame Strategie mit anderen EU-Staaten machen?
Was heißt das für den Umgang mit Huawei?
Auch diese Frage der technologischen Souveränität sollte die EU gemeinsam beantworten. Die Bundesregierung müsste da führen. Aber es fehlt der Mut zu einer klaren Entscheidung wie in Australien, das Huawei aus seinem 5G-Netz ausschließt.
Die EU agiert schwerfällig, China dynamisch. Ist das ein Nachteil?
Gelegentlich ist das so. Andererseits ist zum Beispiel das Projekt Neue Seidenstraße nicht durchweg erfolgreich. Und Europa stellt manchmal sein Licht unter den Scheffel. Beispiel Investitionen: nur in zwei Seidenstraßen-Ländern liegt China bei Investitionen an erster Stelle. Wir sollten nicht auf den Propagandatrick hereinfallen, dass Chinas Aufstieg zu hegemonialer Rolle sowieso unvermeidbar sei. Europa kann mit Wettbewerbsgeist reagieren. Es gibt keinen Grund für Fatalismus und Lethargie. Mal von China eine Lektion anzunehmen ist auch nicht verboten. China deckt mit der Seidenstraßen-Initiative Fehler des Westens auf, der Infrastrukturbedarfe in vielen Ländern ignorierte. Das sollte uns motivieren, besser zu werden und bessere Alternativen anzubieten.
Welche Risiken nehmen Sie besonders ernst?
Eine zu hohe ökonomische Abhängigkeit Europas von China, Chinas Appetit auf exklusive Technologieführerschaft, die Bedrohung der multilateralen und der Werteordnung, das Anpreisen eines totalitären Gesellschaftsmodells. In Australien hat China versucht, über Korruption mehr Einfluss zu gewinnen; als Australien das mit Gesetzen bekämpfte, behauptete Peking, das sei anti-chinesisch. Die Souveränität eines Landes zu verteidigen wird als Unbotmäßigkeit diskreditiert. Das ist starker Tobak. Wir müssen damit rechnen, dass Peking sein „SocialCredit System“, mit dem es loyale Bürger und Unternehmen belohnen und Nichtbefolgung seiner Regeln sanktionieren will, auch außerhalb Chinas anwenden wird. Wie reagieren wir darauf? Extraterritorialisierung der U.S.-Politik kritisiert Europa seit langem; von Chinas Seite zieht so etwas auch herauf.
China wirbt mit seiner Kooperation in der Klimapolitik.
Einerseits, ja. Im Rahmen der Neuen Seidenstraße plant Peking andererseits so viele Kohlekraftwerke, dass die Pariser Emissionsgrenzen bereits gerissen werden, wenn sie nur die Hälfte davon bauen. Ganz schlicht: China kann und muss mehr für Klimaschutz tun. Ich hoffe, China lässt sich überzeugen, ehe wir den „Point of no return“ beim Klima überschritten haben.
Ist Äquidistanz zwischen den USA und China eine Option für die EU?
Das hielte ich für absurd. Selbst eine durch Trump verhunzte Demokratie in den USA steht uns näher als der Totalitarismus von Xi Jinping. In den USA gibt es viele Mechanismen der Selbstkorrektur. Große Staaten wie New York und Kalifornien machen eine andere Klimapolitik, „Sanctuary Cities“ eine andere Migrationspolitk als Trump. Die „Me too“-Bewegung wehrt sich wirksam gegen Frauenfeindlichkeit. Gerichte fallen der Regierung in den Arm. Wenn der Geheimdienst NSA von Apple verlangt, den Datenschutz aufzuheben, kann Apple vor Gericht ziehen und hat gute Chancen zu gewinnen. All das gibt es in China nicht. Was in vielen Jahren der chinesischen Reform- und Öffnungspolitik an Grauzonen geduldet wurde, hat heute keine Chance mehr. Der Herrschaftsanspruch der KP Chinas ist seit deren letztem Parteitag radikaler als je zuvor.
Wo ist Europas Platz in dieser Welt?
In Europa gibt es bekanntlich nur kleine Länder und Länder, die noch nicht wissen, dass sie klein sind. Hoffentlich gelingt es, eine Weltordnung mit multilateraler Grundstruktur zu erhalten, in der auch kleinere Länder eine selbst bestimmte Rolle spielen können, weil die Herrschaft internationalen Rechts gilt. Sonst entsteht G0, eine Welt ohne Ordnung, oder es kommt zu G2, einer Welt mit zwei Supermächten, USA und China, zwischen deren Gefolgschaftsverlangen alle anderen zerrieben zu werden drohen. Europa als eigene Supermacht, wie Frau Mogherini in Brüssel manchmal schwärmt, kann ich mir nicht vorstellen. Weder ist das realistisch, noch ein erstrebenswertes Ziel.