Deutsch-chinesisches Verhältnis: Für eine vertiefte Zusammenarbeit
Angela Merkel besucht China zum zwölften Mal. Ein Gastbeitrag des chinesischen Botschafters in Deutschland über das Verhältnis zur Bundesrepublik.
Wu Ken ist Botschafter der Volksrepublik China in Deutschland.
In dieser Woche bricht Bundeskanzlerin Merkel zu ihrem zwölften offiziellen Besuch nach China auf, der mit dem 70. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik China fast zusammenfällt. Keine andere amtierende Führungspersönlichkeit der westlichen Länder hat China so oft besucht, was eine ganze Reihe weiterer „Rekorde“ in den chinesisch-deutschen Beziehungen ins Gedächtnis ruft.
Die chinesisch-deutschen Regierungskonsultationen sind der einzige und ranghöchste derartige Mechanismus zwischen China und einem westlichen Land, der von den Regierungschefs beider Länder geleitet wird und bei dem Minister mit am Tisch sitzen.
Drei Jahre in Folge ist China Deutschlands größter Handelspartner weltweit, und auch im ersten Halbjahr 2019 hat es diesen Rang behauptet. In diesem Zeitraum lag das bilaterale Handelsvolumen bei fast 100 Milliarden Euro, was einem Drittel des Handels zwischen China und der EU entspricht. Seit der Einführung der Reform- und Öffnungspolitik Chinas haben sowohl China als auch Deutschland stark davon profitiert. Nachdem China in letzter Zeit neue Öffnungsmaßnahmen ergriffen hat, gehören deutsche Firmen wie BASF, BMW und Allianz zu den ersten Profiteuren. Deutschland ist der größte Anteilseigner der Asiatischen Infrastrukturinvestmentbank (AIIB) außerhalb der Region. Mehr als 15.000 Fahrten von Güterzügen wurden zwischen China und Europa durchgeführt, ungefähr 40 Prozent davon zwischen China und Deutschland, womit sich dieses Projekt als ein äußerst effektives Beispiel beim gemeinsamen Aufbau der Neuen Seidenstraße erwies.
Darüber hinaus steigt Deutschlands Beliebtheit als Studienland ständig an. China stellt mit seinen 60.000 in Deutschland lebenden Studierenden und Forschenden hierbei die größte Gruppe. Man kann also sagen, dass die chinesisch-deutschen Beziehungen sowohl in der Häufigkeit und Breite des Austauschs als auch in der Tiefe der Zusammenarbeit ein nie dagewesenes Niveau aufweisen, das es gemeinsam zu schätzen und zu schützen gilt.
Unsere Welt durchläuft derzeit einen beispiellosen Wandel. Eine neue technische und industrielle Revolution ist auf dem Vormarsch und erweist sich als maßgebliche Kraft bei der Umgestaltung der Weltordnung. Doch gleichzeitig breiten sich Unilateralismus und Protektionismus aus, Wirtschaftsordnung und Freihandel in der Welt sind ernsten Angriffen ausgesetzt und die globalen Produktions- und Lieferketten massiv gestört. Die von den USA verfolgte „Einschüchterungspolitik“ beeinträchtigt nicht nur die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen China und den USA, sondern verdunkelt auch das weltweite Geschäftsklima. Deutschland bleibt nicht verschont. Das BMWi hat schon die diesjährige Wachstumsprognose der deutschen Wirtschaft auf 0,5 Prozent korrigiert. Es ist offensichtlich, dass ein wesentlicher Grund für den drohenden Abschwung der deutschen Wirtschaft in den Handelskonflikten zu suchen ist.
Öffnung oder Abschottung sind die Alternativen, mit denen wir uns konfrontiert sehen. Chinas Antwort ist klar und eindeutig. Ein noch offeneres China und eine noch stärkere Verflechtung mit der Welt werden sowohl China als auch der Welt noch mehr Fortschritt und Wohlstand bringen. Beim G-20-Gipfel in Osaka hat der chinesische Staatspräsident Xi Jinping eine Reihe von Maßnahmen zum Ausbau der Öffnung Chinas angekündigt, nach denen China die Märkte weiter öffnen, die Importe proaktiv ausweiten, das Geschäftsumfeld kontinuierlich verbessern, die Gleichbehandlung umfassend umsetzen und die Wirtschafts- und Handelsgespräche nach Kräften vorantreiben werde.
China will Dialog, nicht Konfrontation
China optiert für den Dialog und verwirft die Konfrontation. Wir hoffen, dass die USA und China durch gemeinsame Anstrengungen aufeinander zugehen können, um den Konsens der beiden Staatschefs auf dem Gipfel von Osaka umzusetzen. Wir bestehen stets darauf, auf der Grundlage von Gleichheit und gegenseitigem Respekt durch Dialog und Verhandlungen Lösungen zu finden. Solche Verhandlungen erfordern Aufrichtigkeit, Glaubwürdigkeit und Respekt vor Regeln. Es darf nicht sein, dass die USA ihr Wort abermals brechen. Die Ergebnisse der Verhandlungen müssen zum gegenseitigen Vorteil sein. Im Zeitalter der wirtschaftlichen Globalisierung sind Kooperation und Wettbewerb in den internationalen Beziehungen gängige Phänomene. Nur wenn wir die Vorstellung vom Nullsummenspiel über Bord werfen, kann aus einer vertieften Zusammenarbeit gemeinsamer Nutzen erwachsen. Die Welt, in der wir leben, ist groß genug und verträgt es durchaus, dass alle Länder gemeinsam zu Wohlstand kommen.
Ich habe sehr wohl bemerkt, dass Deutschland in den letzten Zeiten die Kriterien für die Überprüfung ausländischer Investitionen ständig verschärft, und die Berichte deutscher Medien wahrgenommen, nach denen die chinesischen Investitionen in Deutschland im ersten Halbjahr dieses Jahres um 95 Prozent zurückgegangen sind. Den Daten des chinesischen Handelsministeriums zufolge sind im gleichen Zeitraum die deutschen Investitionen in China um 81,3 Prozent gestiegen. In der aktuellen Lage der angestiegenen Unsicherheit und Instabilität in der Weltwirtschaft sollte es unsere vordringlichste Aufgabe sein, den Kuchen der Zusammenarbeit größer zu machen, statt die Mauer des Protektionismus höher zu bauen.
Kooperation statt Protektionismus
Ich bin zuversichtlich, dass die politische Führung unserer beiden Länder bei diesem Besuch das gegenseitige Vertrauen festigen und eine konkrete Richtung für die Ausweitung der Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil aufzeigen wird, um auf diese Weise die chinesisch-deutschen Beziehungen auf eine noch substanziellere und effektivere Ebene zu heben und den Konsens über den sowohl zwischen China und Europa als auch zwischen China und Deutschland vertretenen Freihandel und Multilateralismus zu vertiefen. Die chinesische Seite hegt die Hoffnung, dass die deutsche Seite weiterhin an einer selbstständigen, fairen und gerechten Position festhält und die Kooperation mit China in Bereichen der Zukunftstechnologie einschließlich des Aufbaus des 5G-Netzes verstärkt. China begrüßt eine aktive Rolle Deutschlands bei den Kooperationen im Rahmen der Neuen Seidenstraße. Die Perspektiven für die Zusammenarbeit in Zukunftstechnologien und innovativen Techniken wie Digitalisierung, künstlicher Intelligenz, intelligenter Fertigung und Elektromobilität sind breit und vielfältig. Sie werden sich in der bilateralen Kooperation zu Wachstumstreibern entwickeln.
Seit einiger Zeit fallen mir in deutschen Medien Berichte auf, die sich mit der aktuellen Lage in Hongkong befassen und oft genug gewaltsame Proteste beschönigen oder die gesetzmäßigen Maßnahmen diskreditieren, durch die die Hongkonger Regierung die Gewalt einzudämmen und die Ordnung wiederherzustellen sucht. Man kann sich leicht ausmalen, wie die Reaktionen auf derart böse Vorkommnisse wie gewalttätige Angriffe auf Parlament und Polizeistationen, Nötigung von Journalisten, Prügeleien mit Polizisten sowie Lahmlegung von Verkehrseinrichtungen im Westen ausfiele. Unwillkürlich muss ich an den G-20-Gipfel in Hamburg denken sowie an die kurz zuvor in Frankreich entstandene Gelbwesten-Bewegung. Als es hier zu Gewalttaten kam und die Polizei entschlossen eingriff, um die Gewalt zu unterbinden, richtete sich die öffentliche Meinung sehr nachdrücklich gegen die Gewalttäter mit dem Argument, dass die Polizei zum Schutz von Recht und Gesetz handele. Wieso aber kommt sie angesichts desselben Gesamtbildes zu unterschiedlichen Folgerungen, sobald von Hongkong die Rede ist?
Die wechselseitige Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil auf der Basis gegenseitigen Respekts zu vertiefen, voneinander zu lernen und dafür einzutreten, dass die umfassende strategische Partnerschaft zwischen den beiden Ländern sich Stufe um Stufe weiterentwickelt, liegt in der gemeinsamen Verantwortung beider Länder und entspricht den gemeinsamen Interessen beider Seiten. Als chinesischer Botschafter in Deutschland werde ich hierfür mein Bestes tun.
Wu Ken