zum Hauptinhalt
Ein Militäraufmarsch in Peking.
© GREG BAKER / AFP

China, das Schattenreich: Das Land ist auf dem Weg zurück in Maos Zeiten

Die Herrscher wollen China eine hypermoderne Fassade verschaffen. Die Wahrheit sind totale Überwachung, Arbeitslager und Gewalt.

Woran erkennt man, dass das wichtigste jährliche Treffen der politischen Führung Chinas im Sommer im ostchinesischen Badeort Beidaihe angefangen hat? Wenn Staatschef Xi Jinping und andere bedeutsame Mitglieder der Kommunistischen Partei nicht mehr in den täglichen Nachrichten zu sehen sind. Einen anderen Hinweis, eine offizielle Terminverkündigung gar, gibt es nicht.

Und woran erkennt man, dass die Zusammenkunft zu Ende ist? Wenn die Nachrichten wieder neue Bilder von Xi Jinping zeigen. Noch schwieriger ist es, herauszufinden, was genau Chinas inoffizielle Führung bei dem mehrtägigen Treffen in den Villen mit Meeresblick beschlossen hat. Experten beobachten kleinste Veränderungen in offiziellen Berichten und Reden und schließen daraus auf mögliche politische Änderungen.

Der jährliche Volkskongress ist nur ein Scheinparlament

Geheim, undurchsichtig und informell – das ist die Art und Weise, wie in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt und der neben den USA wichtigsten politischen Macht der Welt Entscheidungen getroffen werden. Der jährliche Volkskongress ist nur ein Scheinparlament, das die auf intransparente Weise zustande gekommenen Beschlüsse abnickt.

China hat im Jahr 2019 zwar ein hypermodernes Antlitz bekommen, ist aber weiterhin ein autoritärer Staat mit totalitären Zügen.

In seinem Buch „Das Politische System der Volksrepublik China“ schreibt Sebastian Heilmann: „Informelle Verfahren der Machtausübung sowie politisches Handeln, das offiziellen Regeln in Parteistatut, Verfassung, Gesetzen und Regierungsverordnungen zuwiderläuft, sind durchgängige Grundmerkmale der Regierungspraxis“ in der Volksrepublik. Das bekommt zurzeit auch Hongkong zu spüren.

"Hongkong ist zu einem autoritären Polizeistaat geworden.“

Die Sonderverwaltungszone wird seit der Rückgabe an China 1997 nach dem Prinzip „ein Land, zwei Systeme“ regiert. Das bedeutet, dass Hongkong zwar zu China gehört, aber der ehemaligen britischen Kronkolonie bis 2047 demokratische Rechte wie Meinungs-und Versammlungsfreiheit sowie ein hohes Maß an Autonomie zugestanden wird.

Doch die seit drei Monaten anhaltenden Demonstrationen für Demokratie beweisen, dass dies in der Realität nicht eingehalten wird. Nach den Festnahmen wichtiger Führungsfiguren der Demokratie-Bewegung schrieb der Demokratie-Aktivist Nathan Law auf Twitter: „Hongkong ist zu einem autoritären Polizeistaat geworden.“

Polizeikräfte nahmen am 1. September in Hongkong Positionen ein, während sich prodemokratische Demonstranten vor dem Flughafen in Hongkong versammelten.
Polizeikräfte nahmen am 1. September in Hongkong Positionen ein, während sich prodemokratische Demonstranten vor dem Flughafen in Hongkong versammelten.
© dpa/Kin Cheung

Zudem werden offenbar die wichtigsten politischen Entscheidungen nicht in Hongkong, sondern in Peking getroffen. In dieser Woche ist eine heimlich mitgeschnittene Tonaufnahme der umstrittenen Verwaltungschefin Carrie Lam aufgetaucht. Darin sagt sie, dass sie zurücktreten wolle, aber es nicht könne.

Sie habe „unglücklicherweise zwei Herren zu dienen, der Zentralregierung und dem Volk von Hongkong“. Peking hat ein massives Interesse, sie im Amt zu halten. Die Wahl eines neuen Verwaltungschefs würde die Stadt weiter destabilisieren, die Aufmerksamkeit würde wieder auf den undemokratischen Wahlprozess fallen, der 2014 die ersten Demokratie-Demonstrationen ausgelöst hatte.

Aktivisten fordern demokratische Wahlen und die Freilassung der Demonstranten

Carrie Lam widersprach später ihren eigenen Äußerungen, sie habe nicht an Rücktritt gedacht und habe das auch nicht mit der Regierung in Peking besprochen. In einer Demokratie allerdings hätten die Ereignisse der vergangenen drei Monate möglicherweise zu ihrem Rücktritt geführt.

Am Mittwoch versuchte sie, Schadensbegrenzung zu betreiben, indem sie das Auslieferungsgesetz, das die Proteste Anfang Juni ausgelöst hatte, offiziell zurückzog. Doch es dürfte die Demonstrationen nicht eindämmen. Die Aktivisten haben inzwischen weitere Forderungen, darunter demokratische Wahlen, die Freilassung aller festgenommenen Demonstranten und eine unabhängige Untersuchung der übermäßigen Polizeigewalt.

Die Hongkonger Polizei hatte sich in der Vergangenheit auch in Xinjiang fortgebildet. Das ist jene westchinesische Provinz, die zu einem Polizei- und Überwachungsstaat mit modernster Technik mutiert ist, um die muslimische Minderheit unter dem Vorwand der „Terrorbekämpfung“ und des Kampfes gegen den radikalen Islam zu kontrollieren.

China befindet sich wieder auf dem Weg zurück in Maos Zeiten

Mehr als eine Million Uiguren befinden sich in den Lagern, deren Existenz China zunächst geleugnet hat und die es inzwischen als „Umerziehungslager“ deklariert. Es gibt allerdings Berichte von Folter und Misshandlungen, Zwangssterilisationen und Zwangsmedikationen in den Lagern. Peking widerspricht derartigen Berichten.

Als 20 Länder – darunter Deutschland, aber nicht die USA – im Juni vor dem UN-Menschenrechtsrat China in einem Brief aufforderten, die Massenverhaftungen in Xinjiang zu beenden, sprachen im Gegenzug 37 Länder China ihre Unterstützung aus. Dass auch muslimische Länder wie Ägypten und Saudi-Arabien die Maßnahmen gegen die muslimische Minderheit gutheißen, zeugt von Chinas großer politischer Macht. Und die wird von militärischer Aufrüstung begleitet. In diesem Jahr fließen offiziell 156 Milliarden Euro in die Modernisierung der Armee, nur die USA geben jährlich noch mehr Geld für das Militär aus.

Der tatsächliche Wert dürfte Experten des Friedensforschungsinstitutes Sipri zufolge noch um 50 Prozent höher liegen. China lässt im Südchinesischen Meer, das es zu 90 Prozent für sich beansprucht, bereits seine Muskeln spielen. Und wenn Xi Jinping in seiner Neujahrsansprache Taiwan, das von China als abtrünnige Provinz betrachtet wird, mit einer gewaltsamen Wiedervereinigung droht - dann ist das unbedingt ernst zu nehmen.

Xi Jinping darf seit einer Verfassungsänderung 2018 auch Staatspräsident auf Lebenszeit sein – was Deng Xiaoping durch eine Begrenzung auf zehn Jahre hatte verhindern wollen. So ließ der Mann, der die Volksrepublik von 1979 bis 1997 faktisch führte, nach den katastrophalen Erfahrungen mit Maos Kulturrevolution ein Verbot von „jeder Art von Personenkult“ in die Parteiverfassung schreiben. Doch nun befindet sich China wieder auf dem Weg zurück in Maos Zeiten.

Inzwischen darf, wie die japanische Zeitung „Nikkei Asia Review“ feststellt, Xi Jinping sogar „Führer des Volkes“ heißen – ein Ehrentitel, den einst allein Mao Zedong innehatte. Dies solle den Staatspräsidenten im Handelskrieg und der Auseinandersetzung um Hongkong stärken, schreibt die Zeitung. Sie vermutet übrigens, dass Xi Jinping die Genehmigung zum Führen dieses Titels beim diesjährigen Treffen der politischen Führung in Beidaihe bekommen haben dürfte.

Zur Startseite