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"Herzensanliegen": Sahra Wagenknecht Mitte März in Hamburg im Einsatz für "Aufstehen".
© imago images/News4HH

Sammlungsbewegung "Aufstehen": "Sektiererisches Anhimmeln von Sahra"

Wagenknechts Sammlungsbewegung "Aufstehen" gilt als gescheitert. Der Alt-Grüne Ludger Volmer rechnet ab, auch mit der Initiatorin.

Sahra Wagenknechts Sammlungsbewegung "Aufstehen" versucht es mit Durchhalteparolen. "Niemals aufgeben, lass uns dieses Land verändern", schreibt die Initiative in einer am Sonntagabend versandten Rundmail an ihre angeblich rund 170.000 Anhänger. Und: "Nichts hätten die Mächtigen in diesem Land wohl lieber, als dass wir aufgeben. Das wird nicht geschehen. Lasst uns dieses Land verändern!"

Der Rundbrief ist die Antwort auch auf heftige Auseinandersetzungen in der Bewegung, die offen ausbrachen, nachdem Wagenknecht vor zwei Wochen ankündigte, sich aus der Führung von "Aufstehen" zurückzuziehen - noch bevor sie bekanntgab, im Herbst auch nicht mehr als Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag zu kandidieren. Die Initiative gibt in ihrer Rundmail zu: "Wo Neues probiert wird und Menschen arbeiten, geschehen auch Fehler. Konflikte in Gremien unserer Bewegung lähmten uns. Für die Fehler und Pannen entschuldigen wir uns." Und: "In der Krise von Aufstehen liegt auch die Chance, es nun mit frischen Gesichtern besser zu machen."

Doch lässt sich wirklich noch etwas kitten? Oder ist die Sammlungsbewegung, so wie sie die Linken-Politiker Wagenknecht und Oskar Lafontaine auf den Weg gebracht haben, gescheitert?

Von Variante zwei geht ganz offenbar der Alt-Grüne Ludger Volmer aus, der im September 2018 bei der offiziellen Präsentation der Sammlungsbewegung mit auf der Bühne war. "Zum Scheitern der Bundesebene von Aufstehen" hat er Volmer ein vierseitiges Papier überschrieben, das er vergangene Woche an die bisherigen Unterstützer der Initiative verschickte, adressiert "liebe Freundinnen und Freunde, Mitstreiterinnen und Mitstreiter, Gegnerinnen und Gegner". Eine "Wiedervorlage" des Vorhabens Sammlungsbewegung kann sich Volmer allenfalls nach der Bundestagswahl 2021 vorstellen, dann aber, wie er betont, "ohne Sektierer, Stalinisten und Heiligenverehrer".

Anfang September 2018 präsentiert Ludger Volmer die Pläne von "Aufstehen" vor der Bundespressekonferenz.
Anfang September 2018 präsentiert Ludger Volmer die Pläne von "Aufstehen" vor der Bundespressekonferenz.
© Imago/Jens Schicke

Ausführlich fasst Volmer in seinem Papier die Kritik zusammen, die vor ihm auch andere Aktivisten geäußert hatten, beispielsweise der aus der SPD ausgetretene Bundestagsabgeordnete Marco Bülow oder der Liedermacher und Kabarettist Florian Kirner. Volmers Vorwürfe wiegen deshalb besonders schwer, weil der ehemalige Mitgründer der Partei - neben Antje Vollmer - das einzige bekannte Gesicht aus den Reihen der Grünen war, das sich der Sammlungsbewegung angeschlossen hatte. Ähnlich wie Wagenknecht meint auch Volmer, SPD, Linke und Grüne hätten die Chance von "Aufstehen" nicht erkannt.

Vorfeldorganisation einer Strömung der Linkspartei

Volmer kritisiert die starke Dominanz von Mitgliedern und erklärten Anhängern der Linkspartei sowohl im Trägerverein der Bewegung als auch in den "Schlüsselpositionen der Bewegungskommunikation". Statt einer sich "von unten frei entfaltenden, parteiunabhängigen Bewegung mit offener strategischer Zielsetzung" sei aus "Aufstehen" faktisch eine "politische Vorfeldorganisation einer bestimmten Strömung der Partei Die Linke" geworden. Volmer spricht von "einer destruktive Gemengelage sich überschneidender Motive: ein zur Geltungssucht übersteigertes Verantwortungsgefühl einzelner Akteure, strategische Manöver einer Strömung der Linkspartei, sektiererisches Anhimmeln von Sahra durch ihre Boyfans". Als "Sammlungsbewegung mit Äquidistanz zu allen Parteien" - gemeint sind SPD, Linke und Grüne - sei "Aufstehen" gescheitert.

Reformversuche des politischen Vorstandes - ihm gehörte auch Volmer an - seien blockiert worden, heißt es weiter in der Mail. Der Alt-Grüne spricht von "offener Sabotage" und "denunziatorischen Ausfällen" des Wagenknecht-Umfelds.

Talkshow-Auftritte statt aktiver Bündnispolitik

Noch einmal kritisiert auch Volmer als "verhängnisvoll", dass Wagenknecht im Oktober 2018 im Vorfeld Vorbehalte gegen die große #unteilbar-Demonstration gegen Rechtsruck und Rassismus in Berlin geäußert hatte, bei der letztlich 240.000 Menschen auf der Straße waren. Eine Politik, die für neue Mehrheiten sammeln wolle, könne nicht auf die linksliberale Mitte der Gesellschaft verzichten, schreibt der seit Jahren nicht mehr aktive Grünen-Politiker. "Und sie darf sich nicht dem Missverständnis hingeben, aktive Bündnispolitik sei durch gute Talkshow-Auftritte zu ersetzen."

Fragen des Tagesspiegels an Wagenknecht zur Kritik Volmers ließ "Aufstehen" am Montag unbeantwortet. Auch von bei "Aufstehen" aktiven Linken-Politikern Sevim Dagdelen, Oskar Lafontaine und Fabio de Masi war keine Stellungnahme zu erhalten. Auf der Startseite der Initiative im Internet prangt derweil ein Foto von Wagenknecht. In einem dort verlinkten Youtube-Video versichert die Gründerin, auch nach Rückzug aus dem operativen Geschäft werde sie "Aufstehen" weiter unterstützen, dies sei ihr ein "Herzensanliegen".

In der Rundmail an die Anhänger verspricht "Aufstehen", aufgebaut werden solle nun "eine stärker regionalisierte demokratische Struktur". Es sei "deutlich mehr Transparenz der Prozesse" notwendig, "Aufstehen gehört den Aktiven". Wie wenig an diesem Versprechen dran ist, zeigt eine Blick in die Liste der neuen Beauftragten für den Aufbau der Organisation in den Bundesländern: Mehr als die Hälfte der Länder-Ansprechpartner ist in der Linkspartei aktiv, manche von ihnen als Funktionär. Auch drei Mitarbeiter der Linken-Politikern Heike Hänsel, Sevim Dagdelen und Oskar Lafontaine - alle aus dem direkten Umfeld von Wagenknecht - gehören zu dem Kreis.

Volmer hatte diese Entwicklung in seiner bitteren Abrechnung bereits prophezeit: "Statt durch Selbstorganisation der Basis von unten soll die Regionalisierung durch Kader von oben strukturiert werden." Und: "Darüber schwebt kraft ihrer öffentlichen Bedeutung Sahra Wagenknecht quasi als Präsidentin und Exegetin linker Politik."

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