Punktuelle Fahrverbote: Schwarzer Peter für die Städte
Der Bund will punktuell Fahrverbote ermöglichen, dementiert aber eine „Blaue Plakette light“. Städte und Gemeinden warnen vor einem Flickenteppich an Regeln.
Das Bundesverkehrsministerium ist in Erklärungsnot geraten. Nachdem am Wochenende bekannt geworden war, dass die Behörde an einer neuen Rechtsgrundlage für punktuelle Fahrverbote in besonders abgasbelasteten Städten arbeitet, stellte am Montag ein Sprecher klar: Es geht nicht um eine „Blaue Plakette light“. Diese lehnt der geschäftsführende Minister Christian Schmidt (CSU) ebenso ab wie sein Vorgänger und Parteifreund Alexander Dobrindt. Und auch dessen wahrscheinlicher Nachfolger Andreas Scheuer, noch CSU-Generalsekretär, hält nichts davon.
Wie aber der Plan aus Berlin umgesetzt werden soll, noch in diesem Jahr „streckenbezogene Verkehrsverbote oder -beschränkungen“ für Dieselfahrzeuge auf Basis der Straßenverkehrsordnung zu ermöglichen, ist völlig unklar. Das müsse man noch mit Ländern und Kommunen diskutieren, räumte der Ministeriumssprecher ein. Es gehe um „passgenaue, maßgeschneiderte Lösungen“ für „hoch belastete Strecken“.
Die Städte bevorzugen den Ausbau des ÖPNV
Einen Tag vor dem an diesem Dienstag erwarteten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu Fahrverboten war die Überraschung bei Städten, Kommunen, Grünen und Umweltverbänden über den Berliner Vorstoß so groß wie dessen Ablehnung. „Das Vorhaben sorgt für Verwirrung, statt die Probleme mit der Luftreinhaltung in den Städten zu lösen“, sagte ein Sprecher des Städte- und Gemeindebundes dem Tagesspiegel. „Der Bund schiebt den Kommunen den schwarzen Peter zu.“ Die Konsequenz sei ein „riesiger Flickenteppich“ unterschiedlicher Verkehrsregeln für Dieselfahrzeuge in den Innenstädten. „Das ist Autofahrern kaum zumutbar.“ Außerdem würde die vorübergehende Sperrung einzelner Straßen nur dazu führen, dass der Verkehr in benachbarte Straßen ausweiche. Damit sei das Problem der Luftverschmutzung nicht gelöst. Der Städte- und Gemeindebund hält stattdessen einen Ausbau des ÖPNV, eine bessere Verkehrsführung sowie technische Nachrüstungen von Diesel-Bussen und -Pkw für sinnvoller.
Umwelthilfe spricht von einer Bankrotterklärung
Das Bundesverwaltungsgericht fällt an diesem Dienstag sein Urteil zu der Frage, ob Kommunen schon jetzt im Rahmen ihrer Luftreinhaltepläne Fahrverbote erlassen dürfen, oder ob dazu eine bundesweite Regelung nötig ist. Der Vorstoß zur Straßenverkehrsordnung, die noch 2018 geändert werden solle, habe damit nichts zu tun, sagte der Sprecher des Bundesverkehrsministeriums. Gleichwohl könnte er den Richterspruch beeinflussen.
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH), die unter anderem für einen besseren Gesundheitsschutz in insgesamt 60 Kommunen geklagt hatte, kritisierte den Vorstoß der Regierung als Bankrotterklärung. „Unmittelbar vor der drohenden Verurteilung kündigt man jetzt panisch an, doch eventuell eine entsprechende Regelung machen zu wollen“, sagte DUH-Chef Jürgen Resch. „Es ist der Versuch, das Gericht zu beeinflussen.“ Der ökologische Verkehrsclub VCD erklärte, die anstehende Entscheidung der Bundesrichter scheine „bereits politische Wirkung zu erzielen“. Es stelle sich allerdings die Frage, ob der Regierungsvorstoß „Nebelkerze oder späte Einsicht“ sei. Der Grünen-Verkehrspolitiker Matthias Gastel, auf dessen Anfrage hin das Verkehrsministerium über seine Pläne Auskunft gegeben hatte, sagte: „Die Bundesregierung gesteht damit ihr eigenes Versagen in Sachen Luftreinhaltung ein.“ Er warnte davor, die Verantwortung in die Städte abzuschieben.
Fünf Kommunen sollen Modellstädte reiner Luft werden
Beobachter sehen in den Bemühungen der Bundesregierung, generelle Fahrverbote zu verhindern, auch den Versuch, die EU-Kommission gnädig zu stimmen. Sie droht damit, Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen, weil in mehr als 70 deutschen Städten und Kommunen die gesetzlichen Grenzwerte für die Stickoxidbelastung (NOx) überschritten werden.
Aus diesem Grund hatte die Bundesregierung auch in einem Brief an EU-Umweltkommissar Karmenu Vella, der vor zwei Wochen bekannt wurde, Brüssel überraschend Überlegungen für einen kostenlosen ÖPNV vorgestellt. Am Montag loteten Regierungsvertreter mit Bürgermeistern aus fünf Städten Wege dafür aus. In Bonn kamen Vertreter des Umweltministeriums mit den Spitzen von Bonn und Essen (Nordrhein-Westfalen) sowie Mannheim, Reutlingen und Herrenberg (Baden-Württemberg) zusammen. Diese fünf Kommunen sollen „Modellstädte zur Luftreinhaltung“ werden. Einen Test für einen komplett kostenlosen öffentlichen Nahverkehr wird es aber nicht geben. Ein so weitgehender Versuch sei in keiner der fünf Städte geplant, sagte der Bonner Oberbürgermeister Ashok Sridharan (CDU) nach dem Treffen.
750 Millionen kommen vom Bund, 250 Millionen von der Autoindustrie
Um künftig mehr elektrische Busse auf die Straße zu bringen sowie die Ladeinfrastruktur auszubauen, hat der Bund einen „Mobilitätsfonds“ aufgelegt, aus dem die Umrüstung und Anschaffung unter anderem finanziert werden sollen. 750 Millionen Euro des Fonds-Budgets kommen insgesamt vom Bund, 250 Millionen Euro zahlt die Autoindustrie ein. Die EU-Kommission billigte einen Teil der Beihilfen am Montag. Deutschland darf demnach Elektrobusse und Ladestationen in Städten mit insgesamt 70 Millionen Euro fördern. Dabei können bis zu 80 Prozent der Investitionsmehrkosten gefördert werden. (mit dpa)
Henrik Mortsiefer