Diesel-Fahrverbote: Fahren oder nicht fahren
Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet über Diesel-Fahrverbote. Welche Folgen hätte ein solches Urteil? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Das Bundesverwaltungsgericht will am 27. Februar ein Urteil über Diesel-Fahrverbote fällen, das seit Monaten mit Spannung erwartet wird. In knapp 70 deutschen Städte könnte der Richterspruch unmittelbar massive Auswirkungen auf den Verkehr in der Innenstadt haben, wenn ältere Diesel dort nicht mehr fahren dürften. Aber auch bundesweit hat das Leipziger Urteil Signalwirkung, wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass Fahrverbote für ältere Dieselwagen nach geltendem Recht generell zulässig sind.
Warum besteht jetzt Handlungsbedarf?
Der zunehmende Pkw-, Bus- und Lkw- Verkehr hat dazu geführt, dass die Schadstoffgrenzwerte an besonders stark befahrenen Straßen deutlich überschritten werden – zum Beispiel in Berlin an der Frankfurter Allee, am Stuttgarter Neckartor oder an der Landshuter Allee in München. Für die Gesundheit besonders schädlich sind Stickoxide (NOx), die vor allem von Diesel-Fahrzeugen ausgestoßen werden. In hoher Konzentration sind sie giftig, können Atemwege und Augen reizen, Herz- Kreislauf- oder Lungenerkrankungen auslösen. Anders als beim Feinstaub hat die Belastung durch NOx an stark befahrenen Straßen zugenommen. Von mehreren Zehntausend Toten pro Jahr, die auf NOx-Gifte zurückzuführen sind, ist die Rede. Da der Verkehrsbereich für rund 60 Prozent der NOx-Belastung verantwortlich ist, besteht hier der größte Handlungsbedarf. Zwar ist die Belastung zuletzt dank günstiger Witterungsbedingungen etwas zurück gegangen. Doch in 35 Städten wurden in den ersten sechs Wochen des Jahres die gesetzlichen Grenzwerte von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid (NO2) pro Kubikmeter Luft weiter überschritten, wie das CAR-Institut der Universität Duisburg-Essen ermittelt hat. Dazu wurden die Daten von insgesamt 399 bundesweiten Messstationen ausgewertet.
Warum entscheiden nun Richter
und nicht die Politik?
Umweltverbände und zahlreiche belastete Städte fordern seit langem eine bundesweit gültige „Blaue Plakette“. Diesel- Fahrzeuge, die den modernsten Abgasnormen, also Euro 6, genügen, wären dann von Fahrverboten ausgenommen. Die Kontrolle und Ausnahmeregelungen für bestimmte Fahrzeuge, etwa Rettungswagen, Feuerwehr Taxis, Busse oder Handwerkerfahrzeuge, wären mit einer Blauen Plakette ähnlich wie in den Umweltzonen einfacher. Die Polizei hält wirksame Kontrollen ohne eine Blaue Plakette für unmöglich. Doch das Bundesverkehrsministerium hat eine solche Plakette in der vergangenen Legislaturperoide abgelehnt. Die Deutsche Umwelthilfe verklagte daraufhin rund 60 Städte auf Luftreinhaltung. Auch die EU-Kommission macht Druck und droht mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. IG-Metall- Chef Jörg Hofmann appellierte am Montag erneut an die Politik: „Die Bundesregierung darf sich nicht weiter verstecken. Sie muss endlich handeln.“ Die Gewerkschaft fürchtet, dass Gewerbetreibende, Beschäftigte und Pendler von einem Fahrverbot in den Innenstädten massiv beeinträchtigt wären.
Städte und Kommunen haben zwar versucht gegenzusteuern. Doch alle Maßnahmen im Rahmen ihrer jeweiligen Luftreinhaltepläne waren unter dem Strich nicht ausreichend – die Luft wurde nicht besser. Auch das Milliardenprogramm des Bundes „Saubere Luft“ kam für die Kommunen zu spät. Immer mehr und immer größere und PS-stärkere Dieselfahrzeuge sind in den Städten unterwegs und verpesten an vielen Hauptstraßen die Luft. „Die Bundesregierung, zumindest das Verkehrsministerium, scheint das Thema auszusitzen. Das landet im Ergebnis dann in unseren Rathäusern und da gehört es nicht hin“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, Helmut Dedy, am Wochenende.
Welche Folgen hätten Fahrverbote?
Die Autoindustrie spricht von einer „Erziehungsdiktatur“ und der millionenfachen „Enteignung“ von Dieselfahrern, die ihr Auto künftig nicht mehr wie gewohnt bewegen könnten. Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), der im Aufsichtsrat von Volkswagen sitzt, warnte am Montag ebenfalls vor Diesel-Sperrzonen. Damit würden Dieselfahrer „in unverhältnismäßig harter Weise belastet“, sagte Weil der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“. Dies könne außerdem zu einer „Verschlimmbesserung der Umweltlage“ führen, wenn dann stattdessen die Zahl der Benziner und damit die CO2- Emissionen stiegen. Tatsächlich wären Millionen Autobesitzer von Verboten betroffen, die noch ältere Diesel-Modelle mit den Abgasnormen Euro 3, 4 oder 5 fahren. Kommunale Spitzenverbände und die Wirtschaft warnen davor, dass das städtische Leben lahmgelegt würde, Einzelhändler nicht mehr beliefert werden, Handwerker nicht mehr zu ihren Kunden gelangen könnten. Außerdem ist die Sorge groß, dass ein Flickenteppich unterschiedlicher Regelungen entstehen könnte, wenn jede Stadt oder Kommune andere Fahrverbote einführt. So wären komplette Einfahrverbote möglich, aber auch temporäre Sperrungen von Straßenzügen oder Stadtzonen.
Was unternimmt die Industrie?
Die Fahrzeughersteller haben vor allem ein Interesse: den Abwärtstrend bei den Diesel-Neuzulassungen stoppen. Nach dem VW-Dieselskandal ist die Technologie in Verruf geraten, die monatelange Unsicherheit, ob es Fahrverbote geben wird, hielt Neuwagenkäufer zusätzlich ab. Die Industrie hat deshalb neben kostenlosen Software-Updates für Euro- 5- und ältere Euro-6-Diesel Abwrackprämien angeboten. Außerdem zahlen die Hersteller zusammen 250 Millionen Euro in den Mobilitätsfonds des Bundes ein, mit dem die Umrüstung von Bussen und Taxen sowie die Verflüssigung der Verkehrsströme finanziert werden sollen. Nicht ausgeschlossen ist, dass die künftige Regierung Hardware-Nachrüstungen bei Dieselwagen fordert. Das würde einige Milliarden kosten – für die am Ende womöglich auch der Steuerzahler aufkommen müsste.