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Das Duell Merkel gegen Schulz
© AFP

TV-Duell Merkel gegen Schulz: Aufholen ohne einzuholen

Es war das einzige direkte Aufeinandertreffen von Angela Merkel und Martin Schulz im Wahlkampf. Für dessen guten Ausgang haben wohl beide gebetet.

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Der Sieger steht schon in der Nacht zum Sonntag fest. „Martin Schulz hat das TV-Duell für sich entschieden“, verbreitet die SPD in einer Google-Anzeige. Leider hat bloß das TV-Duell in dem Moment noch gar nicht stattgefunden. Irgendjemand hat irgendwo auf einen Knopf gedrückt, und jetzt steht die Siegesbotschaft gute 20 Stunden zu früh online. Aus der SPD-Zentrale kommen zerknirschte Eingeständnisse. „Peinlicher Fehler“, twittert das Willy-Brandt- Haus, ein Dienstleister habe sich vertan. „Nicht unser Stil.“

Stimmt, Absicht war das sicher nicht. Aber unfreiwillig verrät die Panne dann doch etwas über den Druck, unter dem die Truppen des Herausforderers stehen. Drei Wochen bis zur Wahl. Martin Schulz und seine SPD liegen weit abgeschlagen. Es muss etwas geschehen. Heute. Jetzt. Am Sonntagabend steht das CDU-Präsidium fast vollzählig im Studio G in Berlin-Adlershof. Die Sozialdemokratie lässt sich auch nicht lumpen, von der Ministerpräsidentin Manuela Schwesig bis zum Generalsekretär Hubertus Heil sind alle da. Im Studio G, einer riesigen Halle mit eigens aufgebauter Lounge-Atmosphäre, dürfen die Polit-Touristen das Duell im Nachbarstudio H auf der Leinwand verfolgen und bei der Gelegenheit den Journalisten sagen, wie sie die Lage so sehen.

Der Parteinachwuchs schwingt höhnische Schilder

Die Auskünfte sind natürlich ein bisschen gefärbt – dazu später noch einiges –, andererseits aber doch differenzierter als die Sprechchor-Kriege, die eine kleine Hundertschaft der Jungen Union draußen gegen eine mit Trommeln verstärkte kleine Hundertschaft Jungsozialisten austrägt. Angela Merkels Parteinachwuchs schwingt Deutschlandfahnen und höhnische Schilder: „Möge die Bessere gewinnen!“ Martin Schulz’ Jugendmannschaft singt entschlossen dagegen an: „Jetzt geht’s lo-oos!“
Was es dann pünktlich nach der „Tagesschau“ ja auch tut. Die Kamera schwenkt von oben ins Studio H, auf die beiden Moderatorenpaare an zwei Pulten - Maybritt Illner für das ZDF, Peter Kloeppel für RTL, Sandra Maischberger für die ARD und Claus Strunz für Sat1 – und die Duellanten an ihren Pulten gegenüber. Beide tragen blau. Bei Merkel fällt der Farbton etwas schriller aus, bei Schulz gedeckter; aber jedenfalls herrscht, rein optisch gesehen, schon mal mehr Koalition als Differenz.

Merkel schüttelt leise den Kopf

Das ist ein Eindruck, der sich noch vertiefen wird. Vielleicht liegt es daran, dass als Erstes der Punkt „Migration“ auf dem Programm steht. Bei dem Thema waren sich die Kanzlerin und der seinerzeitige EU-Parlamentspräsident in den großen Zügen immer schon einig.

Schulz versucht trotzdem, eine Differenz zu schaffen. Merkels Grenzöffnung gut und schön, humanitäre Tat, sicher, aber es sei doch ein Fehler gewesen, nicht vorher alle europäischen Partner einzubeziehen. Merkel schüttelt leise den Kopf. „Die Menschen kamen zu Fuß!“, sagt die CDU-Chefin. „Es gibt Momente im Leben einer Bundeskanzlerin, da müssen Sie entscheiden.“ Schulz versucht es nochmal: Man hätte diese Flüchtlingsströme lange vorher sehen können. Merkel nickt. „Im Nachhinein haben wir uns zu wenig gekümmert“, sagt sie. „Das gilt für mich wie für die jeweiligen Außenminister.“

Die „jeweiligen Außenminister“ werden in Merkels Antworten noch öfter in dieser leicht hinterhältigen Beiläufigkeit erwähnt werden. Die Herren kommen bekanntlich aus der SPD. Deshalb sind sie sehr praktische Puffer. Immer, wenn der SPD-Kandidat attackiert, prallt er sozusagen an den Parteifreunden ab. Nächster Versuch: Die Türkei und ihr Präsident Recep Tayyip Erdogan. Kann diese Türkei noch Mitglied der EU werden? „Wenn ich Kanzler bin“, donnert Schulz, „werd’ ich die Verhandlungen abbrechen!“

Merkel schaut wieder mit diesem freundlich strengen Gesicht nach links. „Leisetreterei ist das letzte, was man braucht“, gibt sie zurück. „Aber wenn man Staatsbürger frei kriegen will, muss man auch noch im Gespräch bleiben.“ Und dass sie jetzt nicht die Absicht habe, die diplomatischen Beziehungen abzubrechen, bloß weil hierzulande gerade Wahlkampf herrsche. Das habe man in der Regierung gerade genau so besprochen mit – na, mit wem? Richtig: Dem Außenminister.

Sozialdemokraten wollen das Wunder herbeireden

Vielleicht ist an dieser Stelle ein kleiner Einschub angebracht. Vor diesem Duell haben sie bei den Sozialdemokraten das Ereignis in einer Weise mit Erwartungen aufgeladen, dass man sich unwillkürlich gefragt hat, wie der arme Schulz sie überhaupt erfüllen will. Dieser Fernsehabend, prophezeite etwa der SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann, werde für die Unentschlossenen der Moment der Entscheidung sein und für die SPD der Beginn einer Aufholjagd: „Wir werden am Sonntag eine Veränderung der Umfragen bekommen!“

Oppermann wirkte in dem Moment so, also wollte er mit aller Macht das Wunder von Würselen wieder erwecken. Das bräuchte es ja auch in etwa, wenn Martin Schulz Kanzler werden soll. In den Umfragen ist die SPD ungefähr wieder da angekommen, wo sie vor seiner Nominierung stand; Schulz müsste mithin zweistellig aufholen für einen Sieg.

Er müsste – darin sind sich am Sonntagabend die sozialdemokratischen Sekundanten im Studio G mit den christdemokratischen ausnahmsweise einig – in die Attacke gehen, glänzen, den Unentschlossenen draußen im Land die Chance geben, ihn besser zu finden als die ewige Kanzlerin oder doch wenigstens – anders.

Aber mit der Attacke ist es so eine Sache. Manchmal blendet die Fernsehregie die beiden Duellanten gleichzeitig ein, Merkel links, Schulz rechts. Meistens nickt Merkel nachdenklich-zustimmend. Oft sagt Schulz: „Da sind wir ja einer Meinung!“ Einmal – es geht gerade um Terroranschläge und darum, dass beide finden, dass man Täter ausweisen müsse –, einmal also bricht die Moderatorin Maischberger kurzerhand das Thema ab: „Gerade ergänzen Sie sich so gut, dass wir über den Punkt gar nicht weiter reden müssen.“

Attacke ist schwierig bei so viel Einigkeit

Zu den Moderatoren ist sonst noch zu sagen, dass sie speziell zum Kandidaten Schulz nicht immer nett sind. „Ich seh’ Herrn Schulz vor sich hin köcheln“, sagt Kloeppel einmal. „Nicht köcheln!“ wehrt sich Schulz. „Dampfen“, schlägt der RTL-Mann vor. Schulz sagt lieber nichts mehr dazu. Nur die Aufforderung, er möge sich bitte für die nächste Frage nicht wieder bedanken wie für die fünf, sechs Fragen davor, lässt ihn kurz empört gucken.

Ansonsten versucht er seine Punkte zu machen: Die Bildung, die Rente … Immer wenn er einen seiner Kernsätze vorbringt, klatschen die Sekundanten im Nebenstudio demonstrativ Beifall. Aber die Kernsätze gehen oft unter in dem Wortschwall, der sich aus den Lautsprechern ergießt, einmal schwappt kurz die „Musterfeststellungsklage“ hoch, dann der Diesel-Skandal, bei dem sie sich aber auch wieder beide einig sind, dass das ein Skandal sei, die 900 000 Arbeitnehmer in der Autoindustrie aber darunter nicht leiden dürfen.

„Großkoalitionär perfekt“, sagt nach einer Dreiviertelstunde eine der Moderatorinnen. Sie meint konkret den Stand der Stoppuhren: 30 Minuten und 28 Sekunden Redeanteil präzise für jeden der beiden.

Die CDU-Sekundanten klatschen übrigens praktisch nicht. Sie freuen sich mehr im Stillen über den Eindruck, dass der Angriff in diesem Duo da vorne noch am ehesten von links kommt. Am Ende soll jeder eine Frage mit Ja oder Nein beantworten. Ist es richtig, dass Gerhard Schröder beim russischen Rosneft-Konzern anheuert? „Nein“, sagt Schulz. „Nein“, sagt Merkel. „Er untergräbt die Sanktionen der EU.“ Schulz ärgert sich, er will dann jetzt auch noch etwas sagen. „Gerhard Schröder hat sich um dieses Land große Verdienste erworben!“ Das Nein zum Irak-Krieg!

Ein, zwei Punkte reichen Schulz nicht

Und dann ist es schon vorbei, es bleibt das Schlusswort. „Wie viel Zeit hab’ ich?“ fragt Schulz nach. 60 Sekunden. „In 60 Sekunden verdient eine Krankenschwester weniger als 40 Cent“, sagt er, ein Manager mehr als 30 Euro. „Wir leben in einer Zeit der Umbrüche“, sagt er, „und in einer Zeit des Umbruchs ist das beste Mittel die Nutzung des Aufbruchs.“ Zukunft gestalten, nicht die Vergangenheit verwalten.

Dann ist Merkel dran. Mit ihrer „Mischung aus Erfahrung und Neugier aufs Neue“ werde man es schaffen, „wir“, sagt die Kanzlerin. „Herzlichen Dank, und ich wünsche Ihnen einen guten Abend.“ Und dann ist es vorbei, und die Meinungsforscher werden jetzt sehr schnell vermessen, wer einen Punkt gemacht hat im Studio H. Unter den Sekundanten ist die Zufriedenheit überschaubar. Man kann auch sagen: sie schimpfen. Schulz’ Kernthemen, ärgert sich ein SPD-Mann, seien hier gar nicht verhandelt worden. Stattdessen ein Nachhutgefecht über die Maut.

Na schön, das hat Schulz ausführlich mitgeführt. Aber ob es reicht für ihn? Er hätte im Studio H nicht bloß einen Punkt machen oder zwei oder drei. Er muss einen Wendepunkt finden. So gesehen sind die Vorab-Erwartungen zwar irgendwie verrückt, aber doch von einem verzweifeltem Realismus: Wenn die Wende nicht jetzt kommt, dann gar nicht mehr.

Irgendwann ist Merkel die Frage gestellt worden, ob sie heute in der Kirche war. „Nein“, sagt die CDU-Chefin. Schulz war immerhin in einer Friedhofskapelle, am Grab des „FAZ“-Herausgebers Frank Schirrmacher. Aber wahrscheinlich, sagt der SPD-Chef, „haben wir beide im stillen Kämmerlein gebetet.“ Mehr bleibt jetzt ja auch nicht mehr. Noch drei Wochen.

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