Peter Altmaier im Interview: "Ich erlebe eine Kanzlerin voller Energie und Gestaltungswillen"
Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) spricht im Interview über Regierungsoptionen, Merkels Vorbereitung auf das heutige TV-Duell und seine Art, Programme zu schreiben.
- Antje Sirleschtov
- Robert Birnbaum
Unmittelbar vor dem TV-Duell von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Kandidat Martin Schulz hat Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) die große Koalition, in der Union und SPD miteinander regieren, gelobt. „Die große Koalition war nicht so schlecht, wie manche denken“, sagte Altmaier. Union und SPD hätten „alle großen Vorhaben erfolgreich umgesetzt und viele Herausforderungen gemeinsam bewältigt“. Wenn die SPD sich davon distanziere, sagte der CDU-Politiker, dann „distanziert sie sich von ihrer eigenen Arbeit“.
Herr Altmaier, als sich Angela Merkel auf das TV-Duell an diesem Sonntag vorbereitete, wurde Ihnen einen Bart angemalt und Sie spielten den Kontrahenten Martin Schulz von der SPD?
Nein (schmunzelt). Die Kanzlerin ist in den vergangenen Fernsehduellen immer gut damit gefahren, dass sie keine einstudierten Rollen spielte, sondern einfach sie selbst war. Angela Merkel braucht niemanden, mit dem sie Posen ausprobiert.
Frau Merkel bereitet sich gar nicht auf das TV-Duell vor?
Die Kanzlerin nimmt weiter ganz normal ihre Aufgaben wahr, leitet Kabinettssitzungen, empfängt Besucher und ist als Wahlkämpferin unterwegs. Das schließt nicht aus, dass sie – wie jeder von uns – vor wichtigen Terminen noch einmal die Fakten und die Aussagen der Beteiligten anschaut. Es ist ja bei unseren Mitbewerbern von der SPD nicht immer leicht zu erkennen, welche Aussagen dort gerade Konjunktur haben.
Sie wissen nicht genau, ob der Kandidat Martin Schulz heißt oder Sigmar Gabriel?
Doch, das wissen wir schon und respektieren es auch. Ich habe bisher nur vergeblich versucht zu verstehen, was die Kernbotschaften im SPD-Programm sind. Aber vielleicht lag das an mir.
Das geht umgekehrt Ihren Gegnern mit der Union genauso. Martin Schulz wird der Kanzlerin heute vor einem Millionenpublikum sicher wieder vorwerfen, dass sie in diesem Wahlkampf abgehoben in den Wahlsieg zu segeln versuche.
Ich erlebe eine Kanzlerin und Parteivorsitzende, die voller Energie und Gestaltungswillen ist. Der Vorwurf der Abgehobenheit hat ja auch auf Twitter und Facebook für viel Belustigung gesorgt, weil jedem klar ist, dass diese Bundeskanzlerin immer geerdet war und sich nicht um Ideologien kümmert, sondern um die konkreten Probleme der Menschen und des Landes.
Na ja, der Eindruck ist aber doch weit in der Öffentlichkeit verbreitet, dass die CDU ohne konkreten Plan für die nächsten vier Jahre antritt.
Dass es anders ist, kann jeder nachlesen oder im CDU-Programmhaus persönlich erleben. In unserem Regierungsprogramm geben wir sehr konkrete Antworten auf die Herausforderungen der nächsten Jahre: mehr Geld für Familien, mehr Bildung, Steuern senken für alle. Richtig ist aber auch, dass viele Menschen sich stark dafür interessieren, ob sie wieder eine Bundeskanzlerin bekommen, der sie seit Langem vertrauen können. Es mag sein, dass die Programmdebatten deshalb in der Öffentlichkeit nicht so stark wahrgenommen werden. Allerdings ist es der SPD schon gar nicht gelungen, mit ihren Vorschlägen die inhaltliche Debatte zu beleben.
Aber ist das denn gut, wenn sich Wähler immer mehr für Personen interessieren und weniger für Inhalte?
Was soll daran schlecht sein? Ich habe den Eindruck, dass das Interesse an Politik heute höher ist als noch vor vier Jahren. Dennoch ist es für viele Bürgerinnen und Bürger aufwendig, sich so detailliert durch inhaltliche Positionen zu arbeiten wie zum Beispiel ein Journalist, der sich hauptamtlich mit Politik befasst. Es ist deshalb ganz natürlich, dass viel vom Vertrauen in die Spitzenkandidaten abhängt. Umso mehr müssen wir aber darauf achten, dass wir seriöse und verständliche Inhalte anbieten. Unser Wahlprogramm soll man ohne Fremdwörterlexikon verstehen. Dass uns dies besser als allen anderen Parteien gelungen ist, hat uns erst kürzlich die Studie einer angesehenen Universität bescheinigt.
Was nützt das lesbarste Programm, wenn es nicht umgesetzt wird? Im letzten Wahlkampf ist uns das digitale Paradies angekündigt worden mit Internet überall in Deutschland. Aber zwischen Berlin und Hannover herrscht noch immer Funkwüste.
Wir sind bei den Breitbandanschlüssen sehr vorangekommen. Das Ziel war, bis Ende 2018 flächendeckend 50-MBit-Internet anbieten zu können. In weiten Teilen Deutschlands ist das erreicht...
...dann sind wir bloß zufällig immer in den falschen Gegenden?
Die Aufgabe ist noch nicht abgeschlossen. Wir wollen das Glasfasernetz flächendeckend ausbauen. Wir wollen die Ersten sein mit einem schnellen 5G-Mobilfunknetz, das Telemedizin oder autonomes Fahren erst ermöglicht. Ich ärgere mich auch, wenn ich auf der Autobahn von einem Funkloch ins nächste fahre. Da haben aber die Provider unterschätzt, wie schnell der Mobilfunk wächst.
Das noch größere Problem ist nicht das Autotelefon, sondern das Auto selbst. Hat die Bundesregierung nicht gemeinsam mit der Automobilindustrie die Zukunft der modernen Antriebe für Fahrzeuge verschlafen?
Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht, um die Elektromobilität anzuschieben. Wir haben hunderte Millionen in die Lade-Infrastruktur investiert und bieten umfangreiche Kaufanreize. Diese Mittel werden aber nur zögerlich abgerufen, weil die Autoindustrie die Zeichen der Zeit erst spät erkannt hat und offenbar noch nicht genügend attraktive E-Autos auf dem Markt sind.
Auch die Politik konnte voraussehen, dass Gerichte mit Fahrverboten für die Innenstädte dem Diesel den Garaus machen könnten. Wie wollen Sie das abwenden?
Beim Diesel-Gipfel im August sind erste Maßnahmen vereinbart worden. Die reichen nicht aus, ein zweiter Gipfel wird für weitere Fortschritte sorgen. Es wird aber nicht reichen, nur über Pkw-Nachrüstung zu reden. Es gibt viele Feinstaubquellen – die Fahrzeuge in Fuhrparks und im öffentlichen Nahverkehr oder auch in Hamburg und Kiel die Schiffe, die mit ihren Dieseln Strom erzeugen, obwohl wir dort erneuerbare Energie in Fülle haben. Wir werden am Montag mit den besonders betroffenen Städten beraten, wie wir Fahrverbote verhindern können.
Und wie konkret wollen Sie das machen? Abwrackprämien für Busse und kommunale Müllautos zahlen?
Wir brauchen individuelle Pläne für jede Stadt. Die sehen in Kiel anders aus als in München, Stuttgart oder Berlin. Es ist gut, wenn jetzt viele Städte Elektrobusse bestellen, aber so schnell können die gar nicht gebaut und geliefert werden. Wir brauchen schnelle Besserung und da kann zum Beispiel auch die Nachrüstung vorhandener Busse helfen. Ohne zusätzliches finanzielles Engagement aller Seiten wird es jedenfalls nicht gehen.
Warum setzt die Regierung keinen Rahmen: Bis zum Jahr 20xx ist Schluss mit dem Verbrennungsmotor – danach wird keiner mehr neu zugelassen? Dann hat die Industrie klare Vorgaben und kann sich darauf einstellen.
Wir haben das diskutiert und waren uns mit dem damaligen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel einig, dass sich der Übergang über Jahrzehnte erstrecken muss. Die Elektromobilität steht noch ganz am Anfang. Weltweit haben Hersteller noch Lieferfristen von Monaten. Wir wollen aber nicht, dass Bürger ihr altes Auto aus Verunsicherung immer weiterfahren, statt es jetzt gegen einen neuen, sauberen Verbrenner einzutauschen.
Zurück zum Wahlkampf. Frau Merkel wird regelmäßig mit „Hau ab“-Geschrei konfrontiert, der Bundespräsident sieht durch AfD-Sprüche einen „Tiefpunkt“ der Auseinandersetzung erreicht. Radikalisiert sich das Land?
Ich würde es nie wagen, dem Bundespräsidenten zu widersprechen. Aber die Zahl der Schreihälse und Störer ist weit geringer als in den 70er oder 80er Jahren, damals von Links- wie von Rechtsextremen. Heute treten auf den Marktplätzen nur einige wenige mit Trillerpfeifen und Sprechchören auf unter tausenden Menschen, die der Kanzlerin zuhören und sich ihre Meinung bilden wollen.
Der parlamentarische Arm der Störer könnte aber nach heutigem Stand als drittstärkste Kraft in den Bundestag einziehen.
Wir müssen gelassen bleiben und dürfen uns nicht von denen irritieren lassen, die unser demokratisches System beschädigen wollen. Gerade bei rechtspopulistischen Parteien haben wir oft erlebt, dass sie schnell wieder aus den Parlamenten verschwinden, wenn ihre Wähler merken, dass es die leichten Lösungen nicht gibt, die ihnen versprochen wurden.
Politiker von Union und SPD – die ja seit Jahren miteinander koalieren – beteuern immer wieder, wie schlecht eine erneute große Koalition für die Demokratie wäre. Nun sieht es danach aus, als würden Sie genau dieses Bündnis aber fortsetzen müssen. Wie kann für diesen Fall Schaden von der Demokratie abgewendet werden?
Die große Koalition war nicht so schlecht, wie manche denken: Wir haben alle großen Vorhaben erfolgreich umgesetzt und viele Herausforderungen gemeinsam bewältigt. Wenn die SPD sich davon dauernd distanziert, distanziert sie sich von ihrer eigenen Arbeit. Ob sie noch einmal fortgesetzt werden soll, hängt von der Entscheidung der Wähler und von den Alternativen ab, die sich nach der Wahl bieten.
Die zweite – nach den Umfragen – realistische Option für eine Koalition nach der Bundestagswahl wäre ein Jamaika-Bündnis von Union, FDP und Grünen. Sowohl CSU-Chef Horst Seehofer als auch die Grünen haben dafür die Hürden schon mal hoch gelegt. Ist Jamaika überhaupt eine Alternative zur großen Koalition?
CDU/CSU, FDP, SPD, Grüne sind grundsätzlich untereinander koalitionsfähig, wie man in den Bundesländern sehen kann. Wir als CDU haben nur die Zusammenarbeit mit AfD und Linkspartei kategorisch ausgeschlossen. Die schlechten Zustimmungswerte der SPD hängen auch damit zusammen, dass sie einer Koalition mit der Linkspartei keine Absage erteilt, obwohl eine solche Koalition unser Land um Jahre zurückwerfen würde.
Drei Wochen nach der Bundestagswahl wird in Niedersachsen gewählt. SPD und Grünen wird es schwerfallen, vor diesem Tag in Sondierungsgespräche im Bund einzutreten. Wie schwer wird die Bildung der nächsten Bundesregierung?
Es ist wichtig, dass nach der Bundestagswahl kein Vakuum eintritt, das können wir uns angesichts der internationalen Entwicklung gar nicht erlauben. Deshalb gibt es eine staatspolitische Verantwortung, dass wir stets handlungsfähig sind und möglichst schnell eine neue Regierung bilden, nicht in den ersten Tagen nach der Wahl, aber eine Hängepartie müssen wir vermeiden.
Eine letzte Frage: Ist die CDU so knapp an Personal, dass ein Kanzleramtschef ihr das Parteiprogramm schreiben muss?
Ich bin Mitglied der CDU und gewähltes Mitglied im Parteivorstand, so wie andere Regierungsmitglieder in ihren jeweiligen Parteien auch. Deshalb schreiben in jeder Regierung auch Bundesminister an den Parteiprogrammen mit. Arbeitsministerin Andrea Nahles hat das SPD-Rentenkonzept mitformuliert, Familienministerin Manuela Schwesig das SPD-Familienkonzept. Das ist in unserer Demokratie normal. Die Inhalte haben wir übrigens unter Vorsitz von Angela Merkel und Horst Seehofer gemeinsam erarbeitet, meine Aufgabe war es, die Ergebnisse in ein Programm zu gießen und zu tippen. Häufig nachts, bei offenem Fenster und viel Kaffee. Meine Aufgaben als Kanzleramtsminister habe ich übrigens zu jedem Zeitpunkt erfüllt.