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Die Generalsekretärin der Bundes-SPD, Katarina Barley
© dpa/Lino Mirgeler

SPD-Generalsekretärin Katarina Barley: "Schulz gibt eine Antwort auf das Gefühl der Unsicherheit"

SPD-Generalsekretärin Katarina Barley über die Macht der Gefühle in der Politik, den Personenkult um Martin Schulz und den Politikstil Angela Merkels.

Frau Barley, lassen Sie uns über Gefühle in der Politik reden. Wird die Macht der Emotionen unterschätzt?

Die Zeiten sind vorbei. Wie mächtig Gefühle sind, zeigt die Wahl von Donald Trump, der Brexit, das Erstarken von Rechtspopulisten in den Niederlanden, in Frankreich und auch bei uns. Diese Entwicklung wurde nicht in erster Linie von Fakten bestimmt, sondern von Emotionen getrieben. Vor allem von Wut und Angst.

Was lernt die SPD daraus?

Wir dürfen nicht wegschauen, wenn Menschen sich in sozialer und kultureller Hinsicht abgehängt und ausgegrenzt fühlen. Martin Schulz formuliert es immer so: Viele Menschen haben das Gefühl, dass sich in der Politik keiner für sie interessiert. Wenn Sie den Eindruck haben, dass wir uns nicht kümmern, wenden sie sich von der Demokratie ab. Im Grunde geht es um Empathie.

Wie kommen Sie selbst mit wütenden oder verängstigten Wählern ins Gespräch?

Es ist nicht leicht, aber es geht. Wer mit der AfD liebäugelt, will zunächst meist gar nicht über Inhalte diskutieren. Wenn man diesen Menschen aber offen begegnet, dann sind etliche doch für vernünftige Argumente zugänglich.

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz zeichnet das Bild einer verunsicherten, von Abstiegsängsten geplagten Gesellschaft. Werden diese Ängste dadurch nicht noch verstärkt?

Nein, die Abstiegsangst ist real. Die meisten Deutschen sagen zwar, dass es ihnen gut geht. Die große Mehrheit aber ist sich überhaupt nicht sicher, dass das so bleiben wird. Auf dieses Gefühl der Unsicherheit eine Antwort zu geben – das ist wichtig. Das tut Martin Schulz. Er hat ein feines Gespür. Darauf beruht sein Erfolg.

Geht es bei der Korrektur der Hartz-IV-Reformen auch um Emotionen, weil SPD-Anhänger sich dadurch verraten und gekränkt fühlten?

Richtig, es geht um ein Gefühl. Aber nicht um Kränkung, sondern um Unsicherheit. Die Menschen leben im Bewusstsein: Sie strengen sich an, arbeiten jahrzehntelang hart, können sich aber trotzdem nicht sicher sein, dass sie im Fall von Arbeitslosigkeit nicht doch noch abstürzen. Diese Angst wollen wir ihnen nehmen.

Die SPD reklamiert das Erbe der Aufklärung für sich, ist aber trotzdem die sentimentalste deutsche Partei. Woher kommt das?

Ja, es gibt ein sentimentales Moment in der deutschen Sozialdemokratie, und das mag ich sehr. Wir sind eine Partei mit großer Tradition und hohen Ansprüchen an uns selbst. Wer sich in der Sozialdemokratie engagiert, will die Welt ein Stück besser machen. Daher rührt unsere Leidenschaft.

Sind Sie selbst sentimental?

Ja, klar. Vor Kurzem habe ich mit einer 88-jährigen Frau gesprochen, die jetzt in die SPD eingetreten ist. Sie sagte, sie habe von den sozialdemokratischen Bildungsreformen der 70er Jahr profitiert und wolle der SPD nun etwas zurückgeben. So etwas geht mir ans Herz!

Zur SPD gehört auch, dass sie Gefühlsschwankungen unterliegt ...

Sie übertreiben …

Noch vor wenigen Wochen wirkte Ihre Partei zutiefst deprimiert, kaum jemand glaubte an einen Wahlsieg. Jetzt schweben die Genossen auf Wolke sieben. Finden Sie das normal?

Wir haben immer gesagt, dass es bei den 20 Prozent in den Umfragen nicht bleiben wird. Wir wussten schon im Herbst letzten Jahres, dass unser Wählerpotenzial so groß ist wie das der Union. Wir wussten auch, dass viele Menschen wollen, dass wir die Regierung führen. Aber wir hatten in der Öffentlichkeit auf Bundesebene einen Verliererstempel auf der Stirn. Der ist jetzt weg, und darüber darf man sich doch freuen.

Hat dieser Stimmungsumschwung nicht auch etwas Irrationales?

Nein. Das ist nicht vom Himmel gefallen, das ist kein „Hype“. Auf das, was nun passiert, hat die SPD lange hingearbeitet. Jetzt ist der Mehltau weggeblasen. Jetzt wird wieder gewürdigt, wofür wir stehen und was wir können. Aber wir waren vor der Ausrufung von Martin Schulz keine andere Partei.

Der SPD-Personenkult um Martin Schulz

Um Schulz hat sich mittlerweile ein regelrechter Personenkult entwickelt. Woher kommt der?

Gute Frage. Von uns ist das weder angestoßen noch gesteuert worden. Ich kenne die Leute nicht einmal, die im Netz für ihn werben. Aber diese Kreativität und Aufbruchsstimmung ist natürlich cool.

Schulz hat ganz oben in der Politik mitgemischt, zählt für viele aber nicht zum Establishment. Wie schafft er das?

Es stimmt, dass Martin Schulz lange an herausgehobener Stelle Politik gemacht hat. Aber er hat auch ganz andere Zeiten durchmachen müssen. Er kennt das Leben aus sehr unterschiedlichen Perspektiven. Das ist sein Erfolgsgeheimnis. Er war nie abgehoben. Anders als alle Präsidenten vor ihm hat er die Bedeutung des Europäischen Parlaments massiv ausgeweitet. Und er hat immer Haltung gezeigt. Das wissen die Leute. Sie erinnern sich, wie er zum Beispiel Silvio Berlusconi die Stirn geboten hat.

Als EU-Parlamentspräsident hat Schulz aber auch versucht, einem Vertrauten gute Jobs zu verschaffen – und zwar gegen die Regeln.

Einspruch! Die Antworten des Chefs der Parlamentsverwaltung – übrigens ein ehemaliger Mitarbeiter der CDU-Parteizentrale – auf die Fragen einer CDU-Abgeordneten zeigen: Die Vorwürfe gegen Martin Schulz sind haltlos.

Ein enger Schulz-Mitarbeiter kam in den Genuss hoher Auslandszulagen, obwohl er gar nicht in Brüssel, sondern in Berlin arbeitete. Auch ganz normal?

Das Verfahren war absolut regelgerecht, auch das bestätigt die Verwaltung des Parlaments. Dass die Union daraus unbedingt einen Skandal machen will, zeigt doch nur, dass ihr nichts anderes mehr einfällt.

Nicht nur Unionspolitiker werfen Schulz vor, inhaltlich vage zu bleiben und vor allem auf Stimmungen zu setzen. Wann wird er konkret werden?

Moment mal! Martin Schulz ist jetzt schon viel konkreter, als es Angela Merkel in fast zwölf Jahren je war. Er legt außerdem großen Wert darauf, vor der heißen Phase des Wahlkampfs jetzt auf seiner Deutschlandtour zuzuhören, zu lernen und zu spüren, was die Deutschen umtreibt.

Die SPD setzt auf Martin, Martin Schulz.
Die SPD setzt auf Martin, Martin Schulz.
© dpa

Schulz weckt bei vielen Hoffnungen wie kaum ein Sozialdemokrat auf Bundesebene seit Willy Brandt. Hat das auch mit seiner Gegenspielerin zu tun?

Angela Merkel ist ein eher distanzierter Mensch, sie will oder kann keine Gefühle wecken. Sie hat sich oft nicht einmal die Mühe gemacht, ihre Politik zu erklären. Viele fühlen sich von ihr nicht ernst genommen. So ist ein emotionales Vakuum entstanden, das Martin Schulz jetzt ausfüllt. Die ganze Union hat sich in Merkels Regierungszeit kaum um Empathie und Mitgefühl bemüht. Um es salopp zu sagen: Er ging ihr nie darum, sich in die Schuhe der Leute zu stellen.

Glauben Sie, dass die Deutschen Angela Merkel inzwischen satthaben?

Merkel hat ihre Verdienste. Aber für die Zukunft hat sie keinerlei Idee. Das spüren die Menschen. Viele sind mit dieser Kanzlerin schon durch.

Um Gefühle geht es auch im aktuellen Konflikt mit der Türkei. Macht die türkische Regierung bewusst Stimmung gegen Deutschland, weil sie aus dem Gefühl der Kränkung von Türken und Deutschtürken durch Deutsche Kapital schlagen will?

Erdogan betreibt gerade bewusste Provokation. Das ist ein altbekanntes Spiel. Wenn es innenpolitisch nicht gut läuft, versucht man den Konflikt nach außen zu tragen, um von den eigenen Problemen im Land abzulenken. Erdogan fürchtet offenbar zu Recht darum, dass ihm die Mehrheit der Türken bei seiner umstrittenen Verfassungsreform nicht folgen wird. Wir sollten uns auf sein Spiel nicht einlassen.

Hat der langjährige Widerstand von Angela Merkel und ihrer Union gegen eine Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union das Gefühl der Kränkung erst angestachelt, da sich viele Türken zurückgestoßen fühlten?

So weit würde ich nicht gehen. Aber sicherlich haben die konservativen Parteien in Europa – inklusive der Union und Frau Merkel – die vielen Reformanstrengungen in der Türkei in den zurückliegenden Jahren nicht gewürdigt. Das hat sicherlich auch dazu beigetragen, dass sich die Türkei jetzt von Europa abwendet.

Was bedeutet in diesem Zusammenhang die Entscheidung des CDU-Parteitags gegen die doppelte Staatsbürgerschaft?

Diese Entscheidung war nicht nur eine herbe Klatsche für Frau Merkel, sondern auch eine Beleidigung für Millionen Menschen mit Migrationshintergrund, die sich diesem Land wirklich zugehörig fühlen. Ich besitze selbst zwei Staatsangehörigkeiten. Deshalb kann ich den emotionalen Konflikt gut nachvollziehen, wenn ich eine von beiden abgeben müsste. Das hat viel mit Identität und Zugehörigkeitsgefühl zu tun. Die Entscheidung des Parteitages zeigt deutlich, welchem überkommenen Bild von Nation die CDU immer noch nachhängt.

Das heißt: Die Union ist mitverantwortlich dafür, dass der deutsch-türkische Konflikt heute so verfahren ist?

Wie gesagt: Angela Merkel und die Union haben sich in den letzten Jahren nicht wirklich um ein gutes Verhältnis mit der Türkei geschert. Das ist aber keine Entschuldigung für das indiskutable Verhalten von Erdogan und seiner AKP-Regierung, wenn es beispielsweise um Presse- und Meinungsfreiheit geht.

Am Dienstag reist die Kanzlerin in die USA zu Donald Trump. Was erwarten Sie von der deutschen Regierungschefin?

Frau Merkel muss Trump deutlich machen, dass wir an guten Beziehungen zu den USA interessiert sind, dafür aber nicht unsere Werte opfern werden. Ich erinnere in diesem Zusammenhang immer an das „Nein“ von Gerhard Schröder zum Irakkrieg im Jahr 2003. Da haben wir klargemacht: Auch Solidarität hat Grenzen.

Die Union bekennt sich wegen des Drucks von Trump nun zum Nato-Ziel, zwei Prozent des Bundeshaushalts für Verteidigung auszugeben. Macht die SPD mit?

Nur weil man mehr Geld in die Rüstung steckt, bedeutet das noch lange nicht mehr Sicherheit. CDU und CSU bleiben auch die Erklärung schuldig, wo das Geld dafür herkommen soll. Wir reden hier immerhin von rund 25 Milliarden Euro zusätzlichen Militärausgaben pro Jahr. Das ist doch Wahnsinn! Die Ersten in der Union haben ja schon angeregt, dafür bei Sozialleistungen zu sparen. Das ist mit der SPD nicht zu machen. Deutschland muss seiner internationalen Verantwortung gerecht werden, keine Frage. Das gilt vor allem in der Entwicklungszusammenarbeit.

Spielt die SPD mit antiamerikanischen Gefühlen, wenn sie im Wahlkampf auf Distanz zu Trump geht?

Mit Gefühlen spielen wir grundsätzlich nicht. Die Menschen wollen ehrliche Antworten, wenn es darum geht, wie wir zu Trump und seiner Politik stehen. Da bewahren wir Haltung und stehen zu unseren aufgeklärten und humanistischen Werten. Ich finde unser Außenminister Sigmar Gabriel macht gerade im Umgang mit den USA – übrigens auch mit Russland – einen hervorragenden Job.

Frau Barley, werden wir noch eine Phase erleben, in der Gefühle in der Politik wieder eine geringere Rolle spielen?

Gefühle waren schon immer ein mächtiger Faktor in der Politik – heute mehr denn je. Das wird sich nicht ändern. Im Umkehrschluss heißt das für mich, dass wir den Menschen noch mehr als bisher zuhören und unsere Politik besser erklären müssen. Das nehmen wir sehr ernst.

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