"Arbeitslosengeld Q": Martin Schulz plant bis zu zwei Jahre länger ALG I bei Qualifizierung
Wer an einer Weiterbildung teilnimmt, soll nach Vorstellung der SPD bis zu 48 Monate Arbeitslosengeld I beziehen können. Arbeitsministerin Andrea Nahles hat einen entsprechenden Plan erarbeitet.
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat seine angekündigten Korrekturen an der Agenda 2010 konkretisiert. Wie die „Süddeutsche Zeitung“ und die Nachrichtenagentur Reuters übereinstimmend berichten, soll das Arbeitslosengeld I von momentan bis zu 24 Monaten auf maximal 48 Monate ausgedehnt werden. Voraussetzung ist allerdings, dass sich die Arbeitslosen weiterbilden lassen. Offiziell will die SPD ihre Vorschläge für Änderungen an der Reformagenda Gerhard Schröders am Montag vorstellen.
„Wir wollen ein Recht auf Weiterbildung einführen“, heißt es in einer Beschlussempfehlung, die maßgeblich Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles für den SPD-Parteivorstand ausgearbeitet hat. Finden Arbeitslose binnen drei Monaten keine neue Stelle, sollen sie ein Angebot für eine „Qualifizierungsmaßnahme“ bekommen. Zuständig wäre nach den Vorstellungen der SPD die Bundesagentur für Arbeit, die in Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung umbenannt werden soll.
Für die Dauer der Qualifizierung soll der Teilnehmer ein neues „Arbeitslosengeld Q“ in Höhe des Arbeitslosengeldes I bekommen. Nach Ende der Qualifizierung bezöge der Betroffene dann wieder das normale Arbeitslosengeld. Neu daran wäre, dass die Bezugsdauer des „Arbeitslosengelds Q“ nicht auf die Zeit angerechnet würde, für die ein Betroffener Anspruch auf Arbeitslosengeld I hat.
Zeitraum der Zahlung von ALG I verringert sich
Nach der bisherigen Regelung verringert sich der Zeitraum der Zahlung von ALG I um die Hälfte der Dauer einer Qualifikationsmaßnahme. Eine berufliche Weiterbildung eines Arbeitslosen von sechs Monaten verringert beispielsweise den ALG-I-Anspruch um drei Monate. Nach den Vorstellungen der SPD würde diese Maßnahme künftig die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes erhöhen, im genannten Beispiel also um sechs Monate. Wenn der Arbeitslose nicht älter als 50 Jahre wäre, bekäme er in diesem Fall zwölf Monate Arbeitslosengeld I plus sechs Monate Arbeitslosengeld Q.
Maximal soll die Arbeitsagentur Teilnehmer von Qualifizierungsmaßnahmen bis zu 24 Monate zusätzlich finanziell unterstützen. Weil Arbeitslose über 58 Jahren auch bis zu 24 Monate das reguläre Arbeitslosengeld I beziehen können, wäre im äußersten Fall eine Bezugsdauer von 48 Monaten für beide Leistungen zusammen denkbar.
SPD will auch Schonvermögen bei Hartz IV erhöhen
Die SPD will zudem den Kreis derjenigen ausweiten, die Anspruch auf ALG I haben. Derzeit müssen dafür innerhalb von zwei Jahren mindestens zwölf Monate lang Beiträge in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt worden sein. Künftig sollen zehn Beitragsmonate innerhalb von drei Jahren reichen. Dadurch "profitieren mehr Beschäftigte von dem Schutz der Arbeitslosenversicherung", heißt es in dem Papier.
Auch für den Fall, dass Arbeitslose trotz aller Anstrengungen am Ende auf Hartz IV zurückfallen, sollen die Härten gemindert werden. Die SPD will das geschützte Schonvermögen von bislang 150 auf 300 Euro pro Lebensjahr erhöhen. Bei einem 60-Jährigen bliebe demnach Erspartes von bis zu 18.000 Euro unangetastet. Zudem soll die Schwelle sinken, von der an Arbeitslosengeld gezahlt wird.
Zu den Kosten verlautete der „Süddeutschen Zeitung“ zufolge aus SPD-Kreisen, dass die Arbeitslosenversicherung mit etwa einer Milliarde Euro pro Jahr belastet werden könnte. Das Nahles-Papier enthält dazu keine Angaben. Das ALG I wird aus der Arbeitslosenversicherung aus den Beiträgen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern bezahlt. In der Regel beträgt es etwa 60 Prozent (bei Verheirateten 67 Prozent) des letzten Nettoverdientes. Derzeit führen sie dafür monatlich drei Prozent des Bruttoverdiensts an die Bundesagentur ab.
Kritik von Arbeitgeberseite
Nach Ansicht der Linkspartei sind die Pläne des SPD-Kanzlerkandidaten nicht ausreichend. "Ein längerer Bezug von Arbeitslosengeld I ist gut. Aber zu einem wirklichen Bruch mit Agenda 2010 und Hartz IV gehört die Abschaffung der Sperrzeiten und der Hartz-IV-Sanktionen", sagte Parteichefin Katja Kipping der Nachrichtenagentur AFP. "Sie stehen für Schikane und wirken wie existenzielle Daumenschrauben."
Die Grünen begrüßten grundsätzlich das Vorhaben, die Verlängerung des ALG-I-Bezugs an Qualifizierungsmaßnahmen zu knüpfen. "Wirklich neu ist das aber nicht, denn das Prinzip gilt schon heute", erklärte die arbeitsmarktpolitische Sprecherin Brigitte Pothmer. Größtes Manko des Konzepts sei, dass die Bezieher von Arbeitslosengeld II nichts davon hätten. "Damit fallen fast zwei Drittel aller Arbeitslosen hinten herunter", sagte Pothmer. Eine Neuberechnung des ALG-II-Regelsatzes fehle in dem Schulz-Konzept völlig. "Arbeitslosengeld-II-Bezieher passen offenbar nicht in sein Schema vom 'hart arbeitenden Menschen' und spielen deswegen bei seinen Gerechtigkeitsvorstellungen keine Rolle", kritisierte die Grünen-Politikerin. Das trage zur weiteren Stigmatisierung von Arbeitssuchenden bei.
Kritik erntet das Konzept von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz auch von Arbeitgeberseite. "Die rückwärtsgewandten Vorschläge verführen zu Warteschleifen, an deren Ende nicht Beschäftigung, sondern Frühverrentung steht", sagte BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter am Samstag der Nachrichtenagentur AFP in Berlin. Qualifizierungsmaßnahmen bei Arbeitslosen seien zweifelsohne wichtig, "führen aber nur in rund der Hälfte aller Fälle zu einer nachhaltigen Integration".
Schulz verteidigt seine Pläne
Schulz selbst verteidigte bei einer SPD-Regionalkonferenz in Würzburg seinen Ansatz, die Reformen der Agenda 2010 in Teilen zu korrigieren. Als diese entworfen wurde, habe es über fünf Millionen Arbeitslose gegeben, heute gebe es dagegen einen wachsenden Mangel an Fachkräften, argumentierte er. Daher müsse es mehr um Qualifizierung gehen. "Heute ist das Schlüsselwort, egal wo in der Welt der Arbeit, Qualifizierung und Weiterbildung", sagte er. Er werde daher mit Nahles ein Konzept vorschlagen, mit dem er die Bundesagentur für Arbeit zu einer "Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung" weiterentwickeln wolle. Dieser Bereich müsse dort zu einem gleichberechtigten Standbein werden. "Wir wollen auch, dass es einen Rechtsanspruch für Qualifizierung gibt", ergänzte er. Anstrengungen in diesem Bereich seien der Schlüssel, um Deutschland wirtschaftlich stark zu halten.
ALG I ist für Ältere gestaffelt
Mit der Agenda 2010 war unter dem damaligen Kanzler Schröder (SPD) die Hartz-IV-Regelung eingeführt worden. Arbeitslose erhalten seither in der Regel nach einem Jahr ohne Job das Arbeitslosengeld II und somit deutlich weniger als mit ALG I. Die Bezugsdauer von ALG I für Ältere ab 50 wurde bereits vor Jahren wieder verlängert. Die Leistung gibt es für sie 15, 18 oder 24 Monate - je nach Dauer der Beschäftigung und Alter. Jüngere erhalten nach mindestens 24 Monaten Beschäftigung zwölf Monate ALG I.
Bevor die Einzelheiten des SPD-Konzepts bekannt wurden, hatten sich die Gewerkschaften positiv über das den Kanzlerkandidaten geäußert. Mit der Gerechtigkeitsfrage habe Martin Schulz das richtige Thema, sagte Verdi-Chef Frank Bsirske im Tagesspiegel-Interview. Die Linke, möglicher Partner in einer rot-rot-grünen Koalition, zeigte sich hingegen zunächst skeptisch. Es gebe "von Seiten der SPD wenig Anzeichen, dass ihre neue Gerechtigkeits-Rhetorik mehr ist als der übliche SPD-Vorwahlkampf", schrieb Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht ihren Anhängern. (Tsp, dpa, Reuters)
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