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Wunden lindern. Der Limburger Bischof Georg Bätzing spricht bei der Abschlusspräsentation des Projekts "Betroffene hören - Missbrauch verhindern" in der Frankfurter Paulskirche (13.6.2020).
© Thomas Frey / dpa

Prävention bei sexuellem Missbrauch: Schulen, Schutz und Scheu

Ohne die Mitarbeit aller Kitas und Schulen lassen sich Kinder vor sexuellen Übergriffen auf Dauer nicht retten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Caroline Fetscher

Aufklärung hat im Deutschen eine doppelte Bedeutung. Mit Kant bezeichnet das Wort den Ausgang aus der eigenen Unmündigkeit. Außerdem steht Aufklärung für das Vermitteln der Fakten zur Fortpflanzung an Minderjährige.

Der Online-Leitfaden einer Krankenkasse verheißt Eltern: „Aufklärung: So macht man es richtig“. In der Bundesrepublik haben seit 1969 auch Schulen die Aufgabe, zu erklären, woher die Babys kommen, wie man verhütet und wovor man sich hüten sollte. Mit dem Fach Sexualkunde wichen die berühmten Bienen und Blumen dem Vorhaben, die Dinge beim Namen zu nennen.

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Doch gemieden wird das Vermitteln klarer Informationen an Kinder und Jugendliche über ihr sexuelles Selbstbestimmungsrecht und über sexualisierte Gewalt. Der aktuelle Münsteraner Fall ist extrem, aber zu Recht wird jetzt oft die Statistik zitiert, wonach in jeder Schulklasse ein bis zwei missbrauchte Kinder sitzen, die meisten übrigens an Grundschulen.

Das Problem ist endemisch – und endemisch ist auch der mangelnde Wille zur Prävention. Eine Studie des Deutschen Jugendinstituts von 2018 ergab, dass nur 13 Prozent der befragten Schulen ein Schutzkonzept zu Missbrauch entwickelt hatten.

Leben in einem stummen Krieg

Nur Prävention kann Wandel bewirken, und nur an Kitas und Schulen können alle Kinder erreicht werden. Sexuell instrumentalisierte Kinder leben in einem stummen Krieg. Viele sehen sich allein, schuldig und beschämt. Was soll sich daran ändern, wenn die Betroffenen die Dimension des Unrechts nicht einordnen können und keine Auswege kennen, wenn sie keiner hört – so wie die Kinder in Münster nicht gehört wurde?

Eine Broschüre des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) mit dem Titel „Was muss geschehen, damit nichts geschieht?“ bereitet Schulen auf Probleme vor. Es „könnten Bedenken entstehen, ob ein offen kommuniziertes Schutzkonzept“ andeute, „dass die Schule ein Problem hat“.

Es könne zu „Unmut im Kollegium“ führen, dass auch schulinterne Fälle im Interventionsplan auftauchen, es könne Angst vor einem „Generalverdacht“ entstehen. Schulen sollten externen Rat nicht scheuen, heißt es, und bitte nicht fürchten, dass ihnen dadurch das Heft aus der Hand genommen wird.

Indirekt wirft der Text ein Licht auf das Minenfeld massiver Abwehr an den Schulen bei diesem Thema. Sie wollen nicht. Dabei spart die diplomatisch formulierte Broschüre das tabuisierte Hauptproblem noch aus: Kinder werden zu über 90 Prozent im nahen Umfeld missbraucht.

Bitte keine Halbwahrheiten

Wirksame Aufklärung bedeutet, genau diese Tatsache in absoluter Klarheit anzusprechen: „Auch deine Eltern, deine Verwandten, deine Nachbarn dürfen dich sexuell nicht berühren und benutzen. Tun sie es, solltest du mit Leuten sprechen, die dir helfen. Wir sorgen dafür, dass du das kannst.“ Alles andere verharrt bei Halbwahrheiten, etwa wie einst mit den Bienen und Blumen.

Die essenzielle Wahrheit wird ausgeblendet, selbst in den meisten Ratgebern. Schulen fürchten das heikle Thema, das Misstrauen der Eltern, das offene Sprechen mit den Kindern. An sich müsste es das Ziel sein, die Mehrheit der Lehrerschaft und der Eltern von Schutzkonzepten zu überzeugen.

Allerdings kann Kinderschutz nicht warten, bis alle Schulleitungen und Eltern an Bord klettern. Soll der Schutz von Minderjährigen wirksamer werden, müssen die Bildungsministerien ihn verpflichtend machen und entschlossen das Machtwort gegen sexualisierten Machtmissbrauch sprechen. Auf dieses Wort kommt es an.

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