„Depressionen oder Psychosen drohen“: Auswertung von Kinderpornos - für Ermittler eine Zumutung
Zu sehen, wie Kinder gequält werden, ist eine hohe psychische Belastung. Wie schützen sich die Ermittler? Ein Interview mit einem Polizeiseelsorger.
„Vier erwachsene Männer vergehen sich an zwei kleinen Jungs, wechselseitig und aufs Schlimmste. Es werden Gegenstände benutzt, Sie können es sich nicht vorstellen", sagte Kriminalhauptkommissar Joachim Poll am Wochenende über den neuen Missbrauchsfall in Münster. Die Ermittler hätten „unfassbare“ Bilder sehen müssen, sagte er weiter. Es gehe um sexuelle Handlungen schwerster Art an Kindern in einer Gartenlaube.
Jetzt Münster, zuvor Lügde und Bergisch Gladbach - die Ermittler in Nordrhein-Westfalen haben aktuell mit mehreren großen Missbrauchskomplexen zu tun. Die Worte des Kriminalhauptkommissars lassen erahnen, dass die Sichtung und Auswertung kinderpornografischer Videos auch für Ermittler eine emotionale Herausforderung sein muss.
Dietrich Bredt-Dehnen ist seit zehn Jahren Landespolizeipfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland. Er unterstützt die Ermittler im Landeskriminalamt als Seelsorger - darunter auch die Mitarbeiter der Zentralen Auswertungs-und Sammelstelle für kinderpornografisches Material.
Herr Bredt-Dehnen, der Kriminalhauptkommissar sprach am Samstag von „schockierenden Bildern“, die die Ermittler hätten ansehen müssen. Was können solche Szenen auslösen?
Es handelt sich hierbei um potenziell traumatisierendes Material. Hier wird man mit Situationen konfrontiert, die zu Alpträumen oder zu selbstschädigendem Verhalten führen können - etwa wenn man zu Alkohol oder Tabletten greift. Es kann sein, dass man ist nicht in der Lage ist, das Gesehene zu bewältigen. Das führt zu einer Hilflosigkeit, die seelisch und körperlich beeinträchtigend sein kann.
Es geht aber auch subtiler: Sexualität wird in diesen Videos pervertiert, ist mit Herabwürdigung und massiver Gewalt verbunden. Das kann Einfluss auf die eigene Sexualität oder den Umgang mit Kindern haben. Zum Beispiel traut man sich nicht mehr, ein Kind anzufassen oder man erträgt es nicht, ein Kind nackt in der Badewanne planschen zu sehen. Das alles kann zu Depressionen und psychotischen Schüben führen. Zum Glück haben wir hier noch niemanden in eine therapeutische Behandlung schicken müssen.
Was muss man denn für ein Mensch sein, um das emotional aushalten zu können?
Zu etwa 95 Prozent sagen selbst Polizisten: Nee, das kann ich mir nicht angucken. Das ist auch völlig in Ordnung. Es ist gut, wenn man vorher erkennt, dass man dazu psychisch nicht in der Lage ist. Im Landeskriminalamt NRW arbeiten rund 50 Menschen in der Auswertungs-und Sammelstelle. Die beschäftigen sich fast ausschließlich mit kinderpornografischem Material.
Dafür braucht man tatsächlich eine psychische Grundfestigkeit. Es handelt sich dabei um Menschen, die darin eine sinnstiftende Arbeit sehen, weil sie womöglich Kinder retten können. Dafür nehmen sie die eigene psychische Belastung in Kauf. Aber natürlich brauchen diese Menschen auch Unterstützung, damit sie eben keine traumatische Störung erleiden.
Wie genau sieht dann Ihre Arbeit aus? Wie helfen Sie den Ermittlern? Wie bereiten sie diese auf diese gewalttätigen und abscheulichen Bilder vor?
Ganz wichtig ist eine gute Teamstruktur. In einem gesicherten kollegialen Umfeld sind Menschen resilienter. Der direkte Austausch ist hier das A und O. Keiner der Mitarbeiter arbeitet hier alleine. Es sind immer mindestens zwei, in vielen Fällen sechs Leute in einem Büro.
Ich wiederum versuche, immer wieder zu erinnern: Achtet auf euch! Seid aufmerksam! Sie können sich nicht acht Stunden am Tag das Material ansehen. Es sind mehr Pausen erlaut. Man muss auch mal rausgehen und frische Luft schnappen können. Dazu ermuntere ich.
Schwierig wird es, wenn es zu Trigger-Effekten kommt. Trägt zum Beispiel eines der Kinder in dem Video den gleichen Schultornister wie meine Nichte bei ihrer Einschulung, dann gibt es da plötzlich die Brücke ins eigene Leben. Ich versuche dann im Gespräch zu helfen.
Wichtig ist es, seine eigenen Ressourcen zu kennen: Was hilft mir, wenn es mir nicht gut geht? Da kann Sport oder Musik hören helfen. Der Gewalt sollte man im Privaten etwas Sanftes entgegensetzen. Das muss man sich wie auf einer Waage vorstellen. Es sollte ein inneres Gleichgewicht geben.
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Kann man denn mit der Zeit abstumpfen? Ist es möglich, dass diese Bilder so sehr zur Routine werden, dass sie einen emotional nicht mehr so stark beeinflussen?
Das Ziel muss es sein, eine innere Distanz zu entwickeln - ohne dabei unempathisch zu werden. Ich rate den Leuten, nach einem passenden Bild zu suchen, zum Beispiel gedanklich einen See zwischen sich selber und den Gewalttaten aufzubauen. Ein See, wo alles hineinplumpst, was belastet.
Mit der Zeit kommt man natürlich in eine Routine. Man sollte sich die Aufnahmen auf eine technische Art und Weise vornehmen. Es ist menschlich sich zu fragen: Was macht dieses Kind da gerade durch? In den Ermittlungen geht es aber darum, sich auf Hinweise zu konzentrieren, zum Beispiel: Wo wurde der Missbrauch aufgenommen?
Wichtig ist, dass jeder, der dort arbeitet, weiß: Ich bin damit nicht allein. Ich habe Ansprechpartner, ich bekomme Supervision. Ich darf sagen, was mich belastet.
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Allein im Missbrauchsfall Münster hat die Kriminalpolizei 500 Terabyte Material gefunden. Wie lange wird es dauern, bis die Ermittler alles ausgewertet haben?
Einer allein würde für ein Terabyte rund sieben Monate Auswertungszeit benötigen. Zum Glück ist die Technik inzwischen besser, künstliche Intelligenz hilft. Aber die Datenmengen erschlagen.
Deshalb wurden die Teams im LKA NRW und in allen Polizeibehörden auch personell aufgestockt. Inzwischen sind nicht mehr nur Polizisten, sondern auch Menschen mit einem anderen beruflichen Hintergrund eingebunden. Diese weise ich dann auch ein und sensibilisiere sie für das Thema. In NRW haben wir inzwischen vier Mal so viele Leute in diesem Bereich im Einsatz als vor einem Jahr. Kinderpornografisches Material ist leider ein Moloch."
Inwiefern kommt denn Künstliche Intelligenz bei der Auswertung des Materials zum Einsatz?
Letztlich muss ein Mensch alle Hinweise zusammenführen, doch schon heute ist natürlich ein Datenabgleich möglich. Da es sich ja auch um Tauschringe handelt, tauchen Videos auch mehrmals auf oder sie stammen aus einer bestimmten Serie. Dieser Abgleich muss aber noch viel differenzierter erfolgen.
Die Technik sollte zum Beispiel auch die Gesichter von Opfern und Tätern wiedererkennen können. Das alles ist in der Entwicklung und darf letztlich nicht an finanziellen Fragen scheitern."
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