750-Milliarden-Hilfspaket der EU-Kommission: Schulden, Schulden, Schulden – und hoffentlich künftige Einnahmen
Wie die EU-Kommission das 750-Milliarden-Euro-Hilfspaket finanzieren will. Und warum die Verhandlungen nicht einfach werden.
Die EU-Kommission schlägt vor, über die bereits beschlossenen Soforthilfen von 540 Milliarden Euro an klamme Mitgliedstaaten, Unternehmen und für Kurzarbeiterprogramme hinaus weitere 750 Milliarden Euro für den wirtschaftlichen Wiederaufbau lockerzumachen. Diese Summen sollen zum Mehrjährigen EU-Haushaltsrahmen (MFR) gehören. Der Mehrjährige Haushaltsrahmen der EU soll damit für die Jahre 2021 bis 2028 insgesamt auf ein Volumen von 1,8 Billionen Euro anwachsen.
Wie soll der Wiederaufbau finanziert werden?
Die Kommission der Europäischen Union soll an den Finanzmärkten die Summe von 750 Milliarden Euro als Schulden aufnehmen. Damit Investoren der Kommission das Geld zu günstigen Konditionen geben, sollen die Mitgliedstaaten Garantien für die 750 Milliarden aussprechen.
Sollte die Kommission nicht Zins und Tilgung zahlen, müsste jeder Mitgliedstaat höchstens in der Höhe der zuvor abgegebenen Garantien haften. Für die Garantien entstehen den Mitgliedstaaten keine Kosten. Sie sollen allerdings über ihre Mitgliedsbeiträge an die EU für die Zinsen und ab 2028 auch für die Tilgung aufkommen.
Die Kommission will zudem ihre eigenen Einnahmen stärken: Eingeplant sind die Erlöse aus dem Handel mit Verschmutzungszertifikaten, erst noch zu erhebende neue Steuern wie etwa auf Finanztransaktionen, digitale Aktivitäten sowie eine Abgabe auf Exportgüter bei der Einfuhr in die EU, um den höheren CO2-Preis auszugleichen. Für die Tilgung der Schulden sind 30 Jahre vorgesehen.
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Wer bekommt wie viel Geld?
Nach einer internen Aufstellung der Kommission sind 173 Milliarden Euro an Zuschüssen und Krediten allein für Italien reserviert. Spanien könnte bis zu 140 Milliarden Kredite und Zuschüsse bekommen. Für Deutschland sind demnach 28 Milliarden an Zuwendungen vorgesehen. Frankreich kann mit Zuschüssen von 38 Milliarden rechnen. Es heißt, dass grundsätzlich alle Mitgliedstaaten an die Gelder kommen können. Vorrang hätten aber die Gebiete, die wirtschaftlich von den Folgen der Pandemie am heftigsten betroffen sind.
Nach welchen Kriterien soll das Geld fließen?
560 Milliarden, davon 310 Milliarden als Zuschüsse und 260 Milliarden als Darlehen, stehen zur Verfügung, um die Wirtschaft in den am heftigsten getroffenen Mitgliedstaaten zu stützen. Zukunftsbranchen sollen gezielt gefördert werden, etwa im Bereich der Digitalisierung und des emissionsfreien Verkehrs. Die Gelder werden nach den Kriterien verwaltet und vergeben, wie sie bei Programmen der Europäischen Union bereits in der Vergangenheit praktiziert worden sind.
Allerdings gibt es Konditionen: Die Mitgliedstaaten sollen sich unabhängig vom konkreten Programm an die länderspezifischen Empfehlungen der EU-Kommission für Struktur-, Sozial- und Arbeitsmarktreformen halten. Dies könnte etwa bedeuten, dass ein Empfängerland gehalten ist, eine Rentenreform mit einer Erhöhung der Lebensarbeitszeit durchzuführen. Gründertätigkeiten sollen angespornt werden. Um die Kapitalausstattung von Unternehmen zu verbessern, sollen 31 Milliarden Euro freigemacht werden.
Wie will man die Zustimmung der Osteuropäer bekommen?
Die weniger hart von den Folgen der Pandemie getroffenen Staaten in Ost- und Nordeuropa befürchten, dass sie zu kurz kommen. Die Kommission schlägt daher vor, die Mittel zur Angleichung der Infrastruktur und für die Landwirtschaft im EU-Haushalt noch einmal aufzustocken. So sollen die Kohäsionsprogramme noch einmal um 55 Milliarden Euro erhöht werden.
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Kriterien für die Auszahlung sollen etwa die Jugendarbeitslosigkeit, die Stärke der Volkswirtschaft sowie die Schwere der akuten Krise sein. Außerdem sind zusätzlich 15 Milliarden Euro für die Entwicklung des ländlichen Raumes vorgesehen. Das Geld soll auch dazu beitragen, dass Landwirte die Ziele des „Green Deal“ zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft und Schutz der Artenvielfalt erreichen.
Wie geht es weiter?
Das Europaparlament muss mit Mehrheit zustimmen, im Rat müssen alle 27 Mitgliedstaaten zustimmen. Der Wiederaufbaufonds und der Mehrjährige Haushaltsrahmen werden im Paket abgestimmt. Bis Ende des Sommers muss das Paket beschlossen werden, damit Haushalt und Wiederaufbau 2021 ohne Verzögerungen starten können.
Voraussetzung ist aber, dass die Zeit der Videokonferenzen aufhört und sich die Staats- und Regierungschefs wieder persönlich treffen können. Das Volumen von 1,8 Billionen Euro legt nahe, dass die Verhandlungen schwer werden. Da wäre eine Kompromisssuche per Videoschalte chancenlos.
Gegen den Wiederaufbaufonds regt sich Widerstand von der Gruppe der selbst ernannten „sparsamen Vier“, nämlich der Mitgliedstaaten Österreich, Niederlande, Dänemark und Schweden. Sie wollen durchsetzen, dass die Hilfen nur als Darlehen vergeben werden. Das heißt, nur die Empfänger müssten die Gelder auch wieder abstottern. Beobachter gehen davon aus, dass Kompromisse möglich sind. Zumal die Kommission einen Teil der Gelder nun auch als Kredite ausreichen will. Die ersten Reaktionen im Parlament deuten darauf hin, dass die Mehrheit gesichert ist.