Ehrgeiziger Plan für den EU-Coronafonds: Wie Kommissionschefin von der Leyen die „sparsamen Vier“ ködern will
Ursula von der Leyen bringt mit ihrem Wiederaufbauplan die Vorstellungen unterschiedlicher Länder zusammen. Aber sie benötigt Hilfe aus Berlin. Ein Kommentar.
Die Summe ist gigantisch. 750 Milliarden Euro will die EU ab 2021 für die wirtschaftliche Genesung in Regionen wie der Lombardei oder dem Großraum Madrid ausgeben. Dort wütete die Corona-Pandemie besonders heftig – aber nicht nur dort: In dieser gesamten EU hat die Krise zur schwersten Rezession seit Menschengedenken geführt.
Von daher ist der Wiederaufbauplan, den EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen vorgestellt hat, auch ein Vorstoß zur Rettung des europäischen Binnenmarktes und der Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft auf diesem Kontinent.
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Von der Leyen, die zu Beginn der Krise politisch an den Rand gedrängt zu werden drohte, dürfte sich der Bedeutung des Wiederaufbauplans bewusst sein. Falls sich die EU-Staaten in den kommenden Monaten im Streit um die Milliarden zerlegen sollten, wäre die Kommissionschefin in ihrer Amtsausübung schwer beschädigt.
Sollte aber ihr Plan tatsächlich zu einer Blaupause für eine Einigung zwischen den ganz unterschiedlichen Interessen der 27 Mitgliedstaaten werden, hätte von der Leyen damit den Beweis erbracht, dass sie ihrer Aufgabe an der Spitze der Brüsseler Behörde gewachsen ist.
Die Chancen, dass von der Leyen das Kunststück einer Einigung gelingt, stehen dabei nicht schlecht. Ihr Plan sieht zum Großteil nicht rückzahlbare Zuschüsse an besonders betroffene Staaten wie Italien und Spanien vor. Dies dürfte die Akzeptanz im Süden der EU erhöhen.
Einen Teil der Milliarden aus Brüssel sollen die Empfängerländer aber zurückzahlen müssen. Dies wiederum ist ganz im Sinne der „sparsamen Vier“ – Österreich, Niederlande, Dänemark und Schweden -, die sich für eine Kreditlösung stark gemacht haben.
Als zusätzlichen Köder für die „sparsamen Vier“ hat von der Leyen in ihren Plan eine strikte Überwachung durch die EU-Kommission bei der Mittelvergabe eingebaut. Sie will keine Wirtschaftszweige in der EU fördern, die auch schon vor der Pandemie keine Zukunft hatten. Vielmehr hat sich die Kommissionschefin das ehrgeizige Ziel gesetzt, mit dem riesigen Förderprogramm die Klimafreundlichkeit und die Digitalisierung in Europas Unternehmen voranzutreiben.
Die Kommissionschefin benötigt die Hilfe der Kanzlerin
Ganz allein wird von der Leyen im absehbaren Streit zwischen den EU-Staaten über Dinge wie Förderkriterien und Obergrenzen bei der Mittelvergabe für einzelne Länder nicht bestehen können. Es ist eine gute Fügung, dass die Phase der Entscheidung in die bevorstehende deutsche EU-Präsidentschaft fallen wird.
Als dienstälteste Regierungschefin in der EU hat Kanzlerin Angela Merkel die Aufgabe, in den kommenden Monaten sowohl beim neuen Corona-Fonds als auch beim europäischen Mehrjahresetat für die Jahre zwischen 2021 und 2027 einen Konsens hinzubekommen.
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Besonderes Fingerspitzengefühl werden Merkel und von der Leyen dabei nicht nur im Umgang mit den „sparsamen Vier“ an den Tag legen müssen. Zudem müssen die osteuropäischen EU-Mitglieder überzeugt werden, dass EU-Hilfen künftig nur noch in Länder fließen können, in denen auch die rechtsstaatlichen Kriterien eingehalten werden. So sieht es von der Leyens Plan vor. Und das ist zunächst einmal eine bittere Pille für Staaten wie Polen und Ungarn, gegen die EU-Verfahren laufen.
Von einem Brüsseler Handstreich kann keine Rede sein
Eines ist der Plan von der Leyens jedenfalls nicht: ein europapolitischer Handstreich aus Brüssel. Denn es waren zunächst einmal Merkel und Frankreichs Präsident Macron gewesen, die die Idee ins Spiel gebracht haben, dass sich die EU mit dem Wiederaufbaufonds erstmals im großen Stil verschulden soll.
Und wie diese Schulden ab 2028 wieder zurückgezahlt werden – über höhere Einzahlungen in die EU-Kasse oder beispielsweise über eine neue EU-Steuer für Digitalkonzerne -, liegt am Ende auch wieder in der Entscheidungsgewalt der Nationalstaaten.