Altkanzler in Moskau: Schröder zu Gesprächen bei Putin – Bundesregierung nicht informiert
Altkanzler Schröder hat auf eigene Faust in Moskau mit Russlands Präsidenten Putin über dessen Ukraine-Krieg gesprochen. Die Umstände der Reise sind nebulös.
Altkanzler Gerhard Schröder ist in Moskau, um mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin Gespräche über den Ukraine-Krieg zu führen. Ein erstes Gespräch zwischen Putin und Schröder soll am Donnerstagabend stattgefunden haben, berichtet die Deutsche Presse-Agentur. Schröders Ehefrau Soyeon Schröder-Kim veröffentlichte auf ihrer Instagram-Seite ein Foto von sich mit gefalteten Händen und geschlossenen Augen, im Hintergrund ist die Basilius-Kathedrale am Roten Platz zu sehen. Der Eindruck: Sie betet in Moskau für den Frieden, während Schröder Putin trifft.
Kremlsprecher Dmitri Peskow bestätigte jedoch ein Gespräch Schröder-Putin nicht. Auf die Frage nach einem Treffen des SPD-Politikers mit dem Kremlchef sagte Peskow am Freitag in Moskau der Agentur Interfax zufolge: „Ich habe keine Informationen zu Schröder. Ich kann Ihnen nichts sagen.“Nach Tagesspiegel-Informationen war vorab weder die SPD-Spitze noch die Bundesregierung in eine mögliche Schröder-Mission eingeweiht. „Keine Information, keine Rücksprache“, hieß es hierzu aus Regierungskreisen.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte dazu am Rande eines EU-Gipfels im französischen Versailles: „Ich möchte das nicht kommentieren“.
Wie das Nachrichtenmagazin „Politico“ berichtet, sollen ukrainische Politiker Schröder um die Vermittlung gebeten haben und Schröder zunächst in Istanbul gewesen sein und sich mit einem ukrainischen Vertreter getroffen haben, der zu der Delegation für die Gespräche über eine Konfliktlösung mit Russland gehört.
In der Türkei verhandelten auch die Außenminister der Ukraine und Russlands am Donnerstag zunächst ergebnislos über eine Waffenruhe und Fluchtkorridore - es war das bisher ranghöchste Treffen.
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„Einer der wenigen, die noch direkten Draht zu Putin haben“
Von ukrainischer Seite gab es zunächst keinen Kommentar zu der Moskau-Reise Schröders. Was Schröders Mission bringen könnte, war völlig unklar. Bisher ist kein Einlenken der russischen Seite zu erkennen, trotz diplomatischer Versuche gehen die Bombardements auch gegen zivile Einrichtungen in der Ukraine weiter, die Hauptstadt Kiew rüstet sich für einen Großangriff.
„Die Ukraine will sehen, ob Schröder eine Brücke für den Dialog mit Putin bauen kann“, sagte dem unbestätigten Bericht zufolge eine der Quellen zu „Politico“. Zuvor hatte der Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, Schröder als Vermittler vorgeschlagen. Allerdings wusste er auf Tagesspiegel-Anfrage nichts von der Schröder-Mission. „Er ist einer der wenigen hier in Deutschland, die womöglich noch einen direkten Draht zu Herrn Putin haben. Es gibt keinen, der so etwas hat in Deutschland und den anderen europäischen Ländern“, hatte Melnyk vor einer Woche der „Bild“ gesagt.
Schweiz, Istanbul, Moskau: Die Stationen der angeblichen Schröder-Mission
Der Kontakt zu Schröder soll laut „Politico“ über den Schweizer Ringier-Verlag hergestellt worden sein, für den Schröder als Berater gearbeitet hatte. Er sei dann mit seiner Frau am Montag nach Istanbul geflogen. Der Abgeordnete des ukrainischen Parlaments, Rustem Umerov, habe ihm mitgeteilt, dass Präsident Wolodymyr Selenskyj auf seine Beziehungen zu Putin setze, um zumindest eine Feuerpause zu erreichen.
„Die Ukrainer gaben Schröder Hinweise zu mehreren wichtigen Punkten, über die sie bereit wären zu verhandeln, darunter die NATO-Bestrebungen der Ukraine, den Status der Krim und die Zukunft der Donbass-Region, die Russland wenige Tage vor seiner Invasion als unabhängig anerkannt hatte“, berichtete das Portal „Politico“.
Ein Flugzeug aus Moskau?
Schröder habe nach dem Treffen auf dem Weg zum Flughafen eine Person aus Putins Umfeld kontaktiert und über das Gespräch berichtet. Er habe gefragt, ob Putin ihn treffen würde. „Zehn Minuten später erhielt Schröder grünes Licht, sollte aber bis Mittwoch in Istanbul warten, bis ein russisches Flugzeug ihn abholen würde“, heißt es in dem Bericht.
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Vorsichtige Zustimmung aus der SPD
Aus der SPD-Spitze gab es nach Bekanntwerden der Reise vorsichtig optimistische Stimmen. SPD-Chef Lars Klingbeil sagte in der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“: „Alles was hilft gerade, um diesen furchtbaren Krieg zu beenden, ist ja willkommen“, sagte er. Ob es etwas nütze, werde man sehen. Auf jeden Fall aber sei gerade jede Gesprächssituation „erstmal was Vernünftiges“.
Auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth (SPD), sagte im ZDF: „Jede Chance sollte ergriffen werden, um die Waffen zum Schweigen zu bringen. Und da geht's mir nicht um Gerhard Schröder oder irgendjemand anderen. Es geht mir um die Menschen in der Ukraine, die hätten das nämlich verdient. Deswegen drücke ich die Daumen.“
Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer zeigte sich ebenfalls aufgeschlossen. „Ich glaube, dass alle Möglichkeiten genutzt werden müssen, um Gesprächskanäle herzustellen“, sagte Nehammer in der Nacht zum Freitag am Rande des EU-Gipfels in Versailles bei Paris. Die Qualität der Vermittlungsbemühungen werde man bewerten müssen, wenn Schröder dann über Ergebnisse berichte.
In russischen Diensten
Schröder ist Aufsichtsratschef beim staatlichen russischen Energiekonzern Rosneft und hat auch Führungspositionen bei den Pipeline-Projekten Nord Stream 1 und Nord Stream 2. Wegen seiner Nähe zu Putin hatte der ehemalige Bundeskanzler (1998 - 2005) immer mehr Rückhalt verloren, vor allem auch in der SPD.
Schröders fünfte Ehefrau, die Südkoreanerin So-yeon Schröder-Kim, hatte den Altkanzler erstmals kurz vor Kriegsbeginn bereits als Friedensvermittler ins Spiel gebracht. „Viele haben sich bei mir gemeldet, ob mein Mann nicht mit Herrn Putin über die Ukraine-Krise reden könnte. Das ginge nur, wenn die Bundesregierung das ernsthaft wollte. Davon ist aber nicht auszugehen“, schrieb die Schröder-Gattin in einem Instagram-Post..
Nach Kriegsbeginn war er auch für SPD-Politiker kaum noch zu erreichen und wurde schon als "Geist von Hannover" bezeichnet. Weil er sich bis zuletzt weigerte, seine Aufsichtsratsmandate nach Putins Überfall auf die Ukraine abzugeben und er im Juni auch noch in den Aufsichtsrat des Gazprom-Konzerns einziehen soll, ist die SPD stark auf Distanz zu ihm gegangen. Ihm droht ein Parteiausschlussverfahren.
Die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Klingbeil sowie acht ehemalige SPD-Chefs forderten zuletzt in einem gemeinsamen Schreiben den früheren Bundeskanzler ultimativ zur Distanzierung von Kreml-Chef Wladimir Putin auf.
„Handle und sage klare Worte“, heißt es in dem Brief. Angesichts des Kriegs in der Ukraine gehe es jetzt darum, „unmissverständlich sich auch gegen das kriegerische Handeln von Präsident Putin zu stellen“. Er selbst entscheide, ob er auch zukünftig ein geachteter Sozialdemokrat bleiben wolle. Wenn Schröder nicht öffentlich eine Erklärung abgebe, werde man sich „in diesem Sinne“ äußern.
Zuvor verlor er bereits alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seines Bundestagsbüros, auch seinen langjährigen Büroleiter und Weggefährten Albrecht Funk. Schröder hatte der Ukraine noch Ende Januar "Säbelrasseln" vorgeworfen und wiederholt betont, alle Seiten hätten Fehler gemacht, Putin werde nicht die Ukraine angreifen.
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Putin schickt zu Schröders 60. einen Kosakenchor
Schröder verbindet - wie er es darstellt - eine Freundschaft mit Putin. 2004 nannte er ihn einen "lupenreinen Demokraten". Immer wieder war Schröder mit seiner damaligen Ehefrau Doris Schröder-Köpf bei Putin zu Gast, die Besuche hatten fast privaten Charakter, man strahlte um die Wette.
Zu Schröders 60. Geburtstag brachte der russische Präsident Putin einen Kosakenchor mit nach Hannover. Und das Ehepaar Schröder durfte zwei russische Kinder adoptieren.
Als es jetzt im Februar dann doch zur Invasion der Ukraine kam, schrieb Schröder in seiner einzigen Stellungnahme dazu in dem Netzwerk LinkedIn: „Der Krieg und das damit verbundene Leid für die Menschen in der Ukraine muss schnellstmöglich beendet werden“. Das sei die Verantwortung der russischen Regierung, schrieb Schröder ohne Putin namentlich zu nennen.
In den vergangenen Jahren sei häufig „über Fehler und Versäumnisse im Verhältnis zwischen dem Westen und Russland“ gesprochen worden. „Und es gab viele Fehler - auf beiden Seiten“, schrieb er, als wolle er den Überfall Putins relativieren. „Aber auch Sicherheitsinteressen Russlands rechtfertigen nicht den Einsatz militärischer Mittel.“
Putin lobt Schröder, Scholz auf maximaler Distanz
Beim Besuch von Kanzler Olaf Scholz (SPD) gut eine Woche vor Putins Kriegsbefehl hatte der russische Präsident Schröder über die Maßen gelobt, die Deutschen sollten sich bei ihm für lang Zeit niedrige Gaspreise bedanken. Scholz kommentierte nur kühl, er wolle „die privatwirtschaftlichen Aktivitäten eines früheren Politikers nicht weiter kommentieren. Er spricht nicht für die Bundesrepublik Deutschland, sondern für sich.“
Schröder hat Putin in der Kanzlerschaft und danach alle Türen geöffnet, um mit neuen Pipelines durch die Ostsee die Gas-Milliarden zu mehren. Auch dank der deutschen Zahlungen wurde das russische Militär in die Lage versetzt, in der es heute ist.
Es entpuppt sich jedoch heute als ein Fehler und Irrglaube der deutschen Russlandpolitik und der SPD, dass sich Putin durch Gasgeschäfte einhegen lassen konnte und dass Nord Stream ein rein privatwirtschaftliches Projekt sein werde. Das hatte Schröder vorangetrieben, unter Angela Merkel wurde dann das nun gestoppte Projekt einer weiteren Ostseepipeline, Nord Stream 2, vorangetrieben. (mit dpa)