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Auch die Aktivistin Eren Keskin (M.), hier bei einer Demonstration in Istanbul im Jahr 2012, muss sich vor Gericht verantworten.
© Bulent Kilic/AFP

Türkei: Schriftsteller wegen Terrorismus vor Gericht

Am Donnerstag beginnt in Istanbul ein Prozess gegen Autoren und Menschenrechtler, die angeblich der PKK nahe stehen sollen.

Seit vier Monaten sitzen die türkischen Schriftstellerinnen Asli Erdogan und Necmiye Alpay in Untersuchungshaft, weil sie sich bei der pro-kurdischen Zeitung „Özgür Gündem“ engagiert hatten. In Istanbul beginnt an diesem Donnerstag der Prozess gegen Erdogan, Alpay und sieben weitere Mitglieder des Redaktionsbeirats von „Özgür Gündem“, darunter den bekannten Verleger Ragip Zarakolu sowie den Herausgeber der Zeitung. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen wegen ihrer Mitarbeit bei der pro-kurdischen Zeitung versuchten Umsturz der staatlichen Ordnung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor.

Zu den Angeklagten zählt auch die Vorsitzende des türkischen Menschenrechtsvereins, Eren Keskin, die früher Chefredakteurin von „Özgür Gündem“ war. Jeden Sonntag geht Eren Keskin zur Polizeiwache in der Innenstadt von Istanbul und leistet eine Unterschrift. Die Vorsitzende des türkischen Menschenrechtsvereins ist nur unter Auflagen auf freiem Fuß, darf das Land nicht verlassen und muss sich regelmäßig bei der Polizei melden. Der Prozess gegen den Redaktionsbeirat von „Özgür Gündem“ ist nicht das einzige Verfahren gegen Eren Keskin. 140 Strafverfahren sind gegen sie anhängig, die meisten wegen ihrer Tätigkeit als Chefredakteurin von „Özgür Gündem“.

Asli Erdogan soll es im Gefängnis sehr schlecht gehen

Dennoch findet Eren Keskin die Zeit, sich um viele der Untersuchungshäftlinge zu kümmern, mit denen die türkischen Gefängnisse überfüllt sind. Als Anwältin hat sie einige von ihnen in der Haft besuchen können, darunter die 70-jährige Sprachwissenschaftlerin Necmiye Alpay und die 49-jährige Romanautorin Asli Erdogan, die mit ihr angeklagt sind.

Insbesondere der jüngeren Frau gehe es im Gefängnis sehr schlecht, berichtet Eren Keskin. Die Schriftstellerin habe eine chronische Darmkrankheit und bekomme von der meisten Gefängniskost sofort Durchfall. „Psychisch ist sie auch in schlechter Verfassung, denn sie kann einfach nicht verstehen, warum sie im Gefängnis ist“, sagt Keskin. „Sie ist ein sehr in sich gekehrter Mensch mit wenig sozialen Kontakten – wenn solch ein Mensch plötzlich als Mitglied einer Terrororganisation eingesperrt wird, dann verursacht das ein Trauma.“

Alleine, indem sie ihr großes Renommee als Romanautorin bei „Özgür Gündem“ einbrachte, habe Asli Erdogan sich der Terrorpropaganda schuldig gemacht, heißt es in der Anklageschrift. In ihren Kolumnen habe sie zudem PKK-Mitglieder als normale Bürger dargestellt und das Vorgehen der Sicherheitskräfte im Kampf gegen die kurdische Terrorgruppe kritisiert.

Gegen Eren Keskin werden in der Anklageschrift noch schwerere Vorwürfe erhoben: Als Chefredakteurin von „Özgür Gündem“ sei sie, so wörtlich, „eine PKK- Kämpferin mit der Feder“ gewesen. Gewalttaten oder Aufrufe zur Gewalt werden freilich keinem der Angeklagten vorgeworfen – der Terrorismusvorwurf stützt sich vielmehr darauf, dass die Zeitung die politischen Ziele der PKK teile.

"Wir leben in einem Albtraum"

Für Eren Keskin sind solche Anklagen nicht neu. Die kurdische Rechtsanwältin engagiert sich seit drei Jahrzehnten in der Menschenrechtsbewegung, ist zweimal Ziel bewaffneter Anschläge gewesen und hat auch schon im Gefängnis gesessen. Besonders schwierig seien die 90er Jahre gewesen, als die Sicherheitskräfte im PKK-Krieg brutal gegen alle kurdischen Aktivisten im Südosten des Landes vorgingen – aber noch schwerer sei es jetzt, sagt sie.

Selbst in den 90er Jahren habe man zumindest noch die Gerichte anrufen können. „Aber jetzt gibt es das nicht mehr: Unter dem Ausnahmezustand kann man keine Rechtsmittel mehr einlegen gegen Verfügungen der Behörden“, klagt Keskin. „Es gibt einfach keinen Rechtsweg mehr. Ich weiß wirklich nicht mehr, wie das weitergehen wird.“

Vieles seien Veteranen der türkischen Menschenrechtsbewegung gewohnt, sagt Eren Keskin: Verhaftungen, Folter und Gefängnis. In diesen Tagen kämen aber neue Formen der Repression hinzu. Wer aufbegehre, verliere seine Arbeit, sein Einkommen und seine Rente, oft sein ganzes Hab und Gut. „Die Leute fürchten sich heutzutage, einen Mucks zu machen, denn jeder hat Kinder und Familie zu ernähren“, sagt Keskin, deren Freunde und Bekannte im öffentlichen Dienst fast alle schon entlassen worden sind. „Was sollen diese Leute machen, wie sollen sie überleben?“, fragt sie. „Viele stützen sich noch auf Verwandte, oder Freunde sammeln Geld für sie, aber auf Dauer kann man so nicht leben. Die treiben die Leute in den Selbstmord.“

Der Druck im Kessel der türkischen Gesellschaft steige, glaubt Eren Keskin. Die Frage sei nur, wie lange es noch dauert bis zur Explosion – und wie viele Menschen bis dahin noch eingesperrt würden. „Ich rechne damit, dass etwas passiert, denn so kann es einfach nicht weitergehen – wir leben in einem Albtraum.“

Seit Jahrzehnten arbeitet die couragierte Anwältin in der Menschenrechtsbewegung, „aber ich kann mich nicht erinnern, jemals so hoffnungslos und hilflos gewesen zu sein“. Eren Keskin rechnet damit, dass sie am Ende dieses Prozesses im kommenden Jahr ins Gefängnis kommen wird. „Und dann komme ich nie wieder raus.“

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